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„Ohne den Unterhalt ginge es nicht“ – So geht es Alleinerziehenden in Deutschland

90 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen. Sophie* ist eine von ihnen und erzählt unserem Partner ze.tt von ihrer täglichen Herausforderung.

Mutter, Vater, Kind?

Alle zwei Wochen sitzen Sophie und ihre Tochter Greta* gemeinsam im Kinderzimmer und packen Gretas Lieblingskuscheltiere in einen Rucksack. Es ist Papa-Wochenende, das heißt Greta wird die nächsten vier Nächte bei ihrem Vater verbringen. Das ist für die Vierjährige ganz normal. Ihre Eltern haben sich getrennt, als sie ein Jahr alt war. Seitdem ist Sophie alleinerziehend. So wie ihr geht es deutschlandweit 1,6 Millionen Menschen, die ihre Kinder ohne Partner*in großziehen. 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen.

Das konservative Familienmodell, bestehend aus Mutter, Vater und Kind, bildet damit in vielen Fällen nicht die Realität ab. Jedes fünfte Kind wächst bei nur einem Elternteil auf. Doch obwohl alleinerziehende Eltern in Deutschland längst Normalität sind, finden die Belange von betroffenen Familien auf politischer Ebene kaum Gehör. Dabei gäbe es in einigen Punkten Verbesserungsbedarf.

In Deutschland leben fast zwei Millionen Kinder in Armut. Doch während das Risiko zu verarmen bei Kindern aus Paarbeziehungen seit 2007 gesunken ist, gehören Alleinerziehende noch immer zur größten Risikogruppe. Durch Verweigerung der Unterhaltszahlungen, fehlende Betreuungsmöglichkeiten und verständnislose Arbeitgeber*innen, leben viele Alleinererziehende unter der Armutsgrenze. Die prekäre finanzielle Situation wirkt sich unweigerlich auf die Kinder aus: Fast 44 Prozent der armen Kinder in Deutschland leben in Haushalten mit nur einem Elternteil.

Verheiratete zahlen weniger als Alleinerziehende

Doch selbst wenn Alleinerziehende genug verdienen, um gut für sich und ihr Kind sorgen zu können, werden sie steuerlich nahezu genauso behandelt wie kinderlose Singles. Denn in Deutschland liegt der Fokus bei steuerlichen Vorteilen bisher vor allem darauf, ob eine Person verheiratet ist. Das sogenannte Ehegattensplitting erlaubt es, das Gehalt der Person, die mehr verdient, mit einem sehr geringen Steuersatz zu belangen. Ob ein Paar Kinder hat, ist dabei irrelevant. So kommt es, dass eine alleinerziehende Person mit einem Bruttogehalt von 2.000 Euro im Monat 145,33 Euro Steuern zahlen muss. Als kinderloser Single wären es knapp 44 Euro mehr. Eine verheiratete Person, die das sogenannte Ehegattensplitting beansprucht, zahlt nicht mal 6 Euro.

„So kommt es, dass eine alleinerziehende Person mit einem Bruttogehalt von 2.000 Euro im Monat 144,33 Euro Steuern zahlen müsste. Eine verheiratete Person, die das sogenannte Ehegattensplitting beansprucht, zahlt nicht mal 6 Euro.“

Sophie empfindet das als Ungerechtigkeit: „Es kann doch nicht sein, dass ich fast genauso viele Steuern zahlen muss, wie jemand ohne Kind!“ Sie arbeitet als führende Kraft im Projektmanagement eines kleinen Unternehmens in Hamburg, ist aber finanziell auf die Unterhaltszahlungen von Gretas Vater angewiesen. Die Tatsache, dass sie nach der Geburt ihrer Tochter problemlos in Teilzeit einsteigen konnte, sieht sie als Privileg: „Ich kriege das bei anderen alleinerziehenden Mamas in meinem Freundeskreis schon mit, dass es auch Unternehmen gibt, die absolut nicht familienfreundlich aufgebaut sind.“ Doch trotz der Unterstützung ihres Arbeitgebers empfindet sie den Spagat zwischen Kita, Arbeit und Haushalt immer wieder als belastend. Und Urlaube kann sich die Familie nur leisten, weil Sophie das Glück hat, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, sowie Provisionen, zu erhalten.

Bedingungsloses Grundeinkommen für Kinder

Miriam Hoheisel weiß von den finanziellen Problemen, die viele Alleinerziehende belasten. Sie ist Bundesgeschäftsführerin beim Verband alleinerziehender Mütter und Väter und empfindet die aktuelle steuerliche Situation als unfair. Der Entlastungsbeitrag, der Alleinerziehenden gestattet wird, würde unterm Strich nicht viel bringen: „Zumindest viel weniger als das Ehegattensplitting. Dieses fördert außerdem das sogenannte Ernährermodell, Teilzeit der Mütter ist das häufigste Vereinbarkeitsmodell in Paarfamilien. Die Mütter tragen dadurch weiterhin überwiegend das finanzielle Risiko einer Scheidung.“ Sie sieht die Lösung des Problems in der Abschaffung des sogenannten Ehegattensplittings und der Kindergrundsicherung – also einem bedingungslosen Grundeinkommen für Kinder.

„Mütter tragen weiterhin überwiegend das finanzielle Risiko einer Scheidung“ – Miriam Hoheisel

Außerdem fordert sie, sich bei der Familienpolitik nicht mehr auf die Familienform der Eltern zu konzentrieren, sondern die Kinder mehr in den Mittelpunkt zu rücken. „Alleinerziehende und ihre Kinder wollen als die selbstverständliche und gleichwertige Familienform anerkannt und wertgeschätzt werden, die sie heutzutage sind. Unterschiedliche Familienformen sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern gleichwertig nebeneinander stehen.“ Nur so könne man die sozialen Dynamiken ändern, die Alleinerziehende und ihre Kinder häufig in Armutsverhältnisse treiben. Das gilt nicht nur, solange die Kinder klein sind, sondern bezieht sich auch auf die Altersvorsorge der Mütter. Dadurch, dass viele Alleinerziehende nur in Teilzeit arbeiten, steigt für sie die Gefahr, von Altersarmut betroffen zu sein. Der Mangel an Betreuungsmöglichkeiten, die Angst, als schlechte Mutter dazustehen, aber auch unflexible Arbeitgeber*innen machen es für viele alleinerziehende Mütter schwer, in Vollzeit zu arbeiten und steigern das Risiko für sie, in die Altersarmut abzurutschen.

Rückhalt durch das soziale Umfeld

Nicht nur politisch kommt es immer wieder zu Diskussionen darüber, was eine Familie ausmacht. Auch in Kindergärten und Schulen, auf dem Arbeitsmarkt und im Freundeskreis werden Alleinerziehende immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert. Sophie hat das am stärksten erlebt, als sie nach einer Trennung unter Zeitdruck nach einer neuen Wohnung für sich und ihre Tochter suchte. „Der Wohnungsmarkt in Hamburg ist ja schon als Single total irrsinnig. Aber wenn man dann auch noch eine junge, alleinerziehende Mutter ist, wird es fast unmöglich etwas zu finden.“ Nach kurzem Überlegen zogen Sophie und Greta deshalb in eine freie Wohnung in Sophies Elternhaus. Ohne diesen Rückhalt hätte sie nicht gewusst, wie sie mit der Situation umgehen solle, sagt Sophie. Seitdem pendelt sie jeden Tag eine Stunde von Niedersachsen zu ihrer Arbeitsstelle nach Hamburg.

Auch, wenn der zusätzliche Fahrtweg Sophies Tagesablauf veränderte, bereut sie es nicht, aus der Großstadt zurück zu ihren Eltern gezogen zu sein. „Es war es für mich einfach erleichternd, wieder zurück zu meinen Eltern zu ziehen. Durch den Umzug nach Hamburg wurde der Kontakt zu meinem sozialen Umfeld weniger, ich habe mich sehr alleine gefühlt. Gretas Umgang zu ihrem Vater hat durch die Distanz auch gelitten, was ich auf keinen Fall wollte.“ Gretas Großeltern genießen die Nähe zu ihrer Enkelin und freuen sich, wenn sie Zeit mit ihr verbringen können. Das entlastet Sophie. Von ihrem sozialen Umfeld fühlt sie sich inzwischen sehr unterstützt. Trotzdem hat sie manchmal Bedenken, ob sie die Hilfsbereitschaft von Freund*innen und Familie nicht überstrapaziert.

Auch das ist Realität für Alleinerziehende: Die tägliche Gratwanderung zwischen der Rolle als Vater*Mutter, als Arbeitnehmer*in, als Freund*in. Zeit für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse kommt dabei oft zu kurz. Dazu kommt die Tatsache, dass Alleinerziehende und ihre Kinder in vielen Kontexten noch immer nicht als Familie verstanden werden oder Betreuungsengpässe auf Unverständnis stoßen. Das Erstarken rechts-konservativer Parteien fördert zusätzlich das Festhalten an einem veralteten Familienbild von Mutter, Vater, Kind.

Sophie hat in den drei Jahren seit der Trennung von Gretas Vater gelernt, wie schwierig es sein kann, alle Entscheidungen in der Kindererziehung alleine zu tragen. Wie aufreibend es ist, gerichtlich über Aufenthalts- und Besuchsrechte zu verhandeln. Sie hat im Freundeskreis miterlebt, wie viele Alleinerziehende auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Und bei wie vielen das Geld trotzdem kaum reicht. Aber sie hat auch erfahren, wie schön das Leben als Mutter ist, ganz egal ob man eine Beziehung führt oder nicht.

*Namen auf Wunsch der Gesprächspartnerin geändert

Du bist alleinerziehend und suchst Unterstützung?

Ein Kind ohne Partner*in großzuziehen, kann viele Fragen mit sich bringen. Der Verband Alleinerziehender Mütter und Väter bietet unter 030 851 51 20 telefonische Beratung für Alleinerziehende an und hilft bei der Suche nach lokalen Beratungsstellen, die vor Ort weiterhelfen. Bei konkreten Fragen bietet der Familien-Wegweiser der Bundesregierung eine gute Übersicht zu Fördergeldern und juristischen Grundlagen. Außerdem gibt es auf Facebook zahlreiche Gruppen, in denen Alleinerziehende sich vernetzen und in einem Safe-Space Fragen stellen können.

Der Originaltext von Katharina Alexander ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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