Foto: Doris Spiekermann-Klaas | Verlag Der Tagesspiegel

„Ein partnerschaftliches Familienmodell wirkt auf viele immer noch ungewöhnlich“

Heute startet der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin. Wir haben mit der Geschäftsführerin Sirkka Jendis über die Funktion des Kirchentags und ihr partnerschaftliches Familienmodell gesprochen.

 

Kirchentag = Kirche?

Vom 24. bis zum 28. Mai findet der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin statt. Hierbei denken viele Menschen an eine Großveranstaltung der Kirche, die fast ausschließlich mit Gottesdiensten und Priestern und Priesterinnen gefeiert wird. Allerdings ist der Evangelische Kirchentag, anders als sein Name vermuten lässt, eine unabhängige Bewegung evangelischer Christen, die seit 1949 alle zwei Jahre für fünf Tage zusammenkommen. Dabei steht nicht die Kirche im Vordergrund, sondern gesellschaftspolitische Fragen der heutigen Zeit.

Wir haben mit Sirkka Jendis über die Rolle des Kirchentages gesprochen, die seit 2012 den Deutschen Evangelischen Kirchentag als Geschäftsführerin leitet. Und da Gleichberechtigung nicht nur ein aktuell bleibendes gesellschaftspolitischen Thema ist, sondern auch auf dem Kirchentag eine Rolle spielen wird, hat sie uns auch von ihrem partnerschaftlichen Familienmodell erzählt, das es ihr auch ohne die Hilfe von Nannys möglich macht als Mutter von zwei Kindern eine Führungsposition in Vollzeit auszufüllen. Denn was längst selbstverständlich sein sollte, ist es leider immer noch nicht.

Was möchten Sie dem Kirchentag, durch Ihre Arbeit beisteuern?

„Es gibt viele Menschen mit einem christlichen Glauben, die den Kirchentag besuchen. Mein persönliches Herzensthema ist allerdings, auch Menschen mit anderen Ansichten für den Kirchentag zu begeistern. Wer mir fünf Minuten gibt, dem erzähle ich, was der Kirchentag noch alles hergibt. Ich glaube, dass es, besonders in der jetzigen politischen Situation, eine große Zielgruppe für den Kirchentag gibt. Wir beschäftigen uns nämlich auch ganz viel mit den Themen Klima und Inklusion, natürlich auch mit dem Thema Gleichberechtigung. Es gibt hier seit Ewigkeiten eine theologisch-feministische Basisfakultät. Am Kirchentag selbst wird es ganz viel zu gesellschaftspolitischen Themen und Gender geben, dabei schauen wir, was passiert in Europa und mit der Demokratie.  Es wird außerdem ganz viel Kultur, Musik und Konzerte geben. Kirchentag ist also mehr als nur Gottesdienste und eher etwas, das ganz stark danach fragt: ‚Wie wollen wir leben?‘“

Inwiefern spielt Religion in ihrem Leben eine Rolle?

„Das ist natürlich eine sehr persönliche Frage. Ich würde sagen, ich bin typisch kritisch protestantisch erzogen worden. Das heißt, dass der Gesellschaftspolitische- und der Verantwortungsaspekt des christlichen Glaubens im Vordergrund standen. Also Dinge wie: ‚Wie wollen wir Schwächeren helfen?‘ ‚Wie kann man sich engagieren?‘ Das war für mich damals wichtiger, als der sonntägliche Gottesdienst. Ich bin so aufgewachsen, dass man sich ebenso kritisch mit religiösen wie gesellschaftspolitischen Themen auseinandergesetzt hat. Dennoch finde ich es wichtig, dass man Kindern beibringt, warum man Ostern feiert und dass es mehr beinhaltet als nur Ostereier suchen.“

Wie vermitteln Sie dieses Wissen an Ihre Kinder?

„Indem wir es ihnen erzählen. Mein sechsjähriger Sohn weiß schon, wer Martin Luther ist. Zumindest weiß er ganz grob, dass er etwas mit der evangelischen Kirche gemacht hat und er weiß auch, was an Ostern passiert ist. Dazu gehen wir mit den Kindern auch ab und an in den Kindergottesdienst. Zusammengefasst denke ich aber, dass ich es genauso mache, wie es mir selber beigebracht wurde: dass Kirche auch skeptisch betrachtet werden darf. Mir ist es sehr wichtig, die christlichen Inhalte ganz frei und ohne Zwang zu vermitteln. Denn generell möchte ich meinen Kindern ein positives und fröhliches Kirchenbild vermitteln, das ihnen, wenn sie möchten, auch Halt geben kann. Dieses Jahr werden meine Kinder auch zum ersten Mal mit meinem Mann den Kirchentag besuchen.“

Sie haben Freiheit angesprochen. Diese haben sie sich im Beruf besonders durch ihr partnerschaftliches Familienmodell erlangen können, da sie sich die Kinderbetreuung mit ihrem Mann gleichberechtigt aufteilen.

„Ja, dazu habe ich erst kürzlich einen Tageszeitungsbeitrag geschrieben. Ich treffe nämlich viele Frauen, die glauben, dass meine berufliche Tätigkeit nur mit der Unterstützung von Nannys möglich ist, aber nicht mit der meines Mannes. Es wird noch als sehr ungewöhnliches Modell angesehen, wenn man sich wirklich alle Aufgaben mit dem Mann teilt, auch in meiner Generation.“ 

Funktioniert dieses Modell in ihrer Führungsposition?

„Im Kirchentag wurde mir sehr großes Vertrauen entgegengebracht, dass meine Leitungs- und Führungsposition mit Kindern möglich ist. Ich kann selbst entscheiden, wann ich meine Kinder abhole und wann ich länger arbeite. Dabei wurde ich von meiner Vorgesetzten sehr unterstützt, es wird darauf vertraut, dass ich da bin, wenn ich da sein muss und die Aufgaben erledigt werden. Generell ist der Kirchentag, der jedes zweite Jahr seinen Standort wechselt, ein riesen Projekt, an dem wir momentan Tag und Nacht arbeiten und somit ein eher familienunfreundliches Modell. In allen anderen Aspekten versuchen wir allerdings, sehr stark Rücksicht auf Familien und deren Organisation zu nehmen.“

Wie wurde Ihr Familienmodell aufgenommen?

„Beim Kirchentag selbst ist das kein großes Thema, ob jetzt der Mann oder die Frau die Kinderbetreuung übernehmen. Dahingehend sind wir sehr feministisch eingestellt und ich erfahre eher positive Rückmeldungen zu unserer Art der Betreuung. Es gibt einen Geschäftsführungskollegen, der sein Kind zwei Mal die Woche selber abholt. Allerdings gibt es auch das Gegenteil, nämlich Männer, die das gar nicht machen. Insgesamt, also auch im erweiterten Freundes und Bekanntenkreis, begegnet uns auch immer wieder die Ansicht, dass unser Familienmodell ungewöhnlich ist. Ich bekomme dann Aussagen entgegengebracht wie: ‚Seitdem ich Kinder habe, weiß ich was wirklich wichtig im Leben ist‘. Wenn mir so etwas gesagt wird, antworte ich meistens: ‚Dein Mann weiß das aber scheinbar nicht‘. Was ich damit sagen möchte ist, dass meine Kinder für mich natürlich das Wichtigste der Welt sind, ich aber deswegen nicht nur 50 Prozent arbeiten gehen muss oder keine Führungsposition mehr annehmen werde. Das ist für mich keine logische Schlussfolgerung, denn sonst würden ja fast alle Väter ihre Kinder nicht als das Wichtigste der Welt betrachten.“

Wie möchten Sie die Akzeptanz, die für die Annahme verschiedener Modelle und feministischer Gedanken nötig ist, auf dem Kirchentag vermitteln?

„Das ist natürlich eine große Aufgabe. Innerkirchlich und auch auf dem Kirchentag gibt es immer wieder sehr viele Frauenverbände, die sich bei uns präsentieren. Wir versuchen auch Politiker, die sich das auf die Fahne geschrieben haben, dafür zu gewinnen und das schaffen wir auch, insofern würde ich sagen, Ziel ist es auf jeden Fall. Das beginnt ja auch manchmal im kleineren, aber ich würde das auch gerne noch weiter ausbauen. Indem wir den Kirchentag weiter für Frauennetzwerke öffnen, die der Kirche und wegen der Verwechslung damit auch dem Kirchentag skeptisch gegenüberstehen. Dahin gehend würde ich das Netzwerk des Kirchentages gerne weiter erweitern.“

Was erhoffen Sie sich vom diesjährigen Kirchentag?

„Ich erhoffe mir, dass wir Menschen erreichen können, die wir bisher nicht erreicht haben. Natürlich hilft da so ein prominenter Gast, wie Barack Obama, der ehemalige Präsident der USA. Natürlich auch, dass wir ein Stück weit in die Welt tragen können, was der Kirchentag ist, wie viel er ist, wie viel verschiedene Veranstaltungen und Themen, die uns alle gesellschaftlich betreffen behandelt werden. Gutes Wetter wäre natürlich auch ganz schön.“

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