Foto: Woman with iPhone at Sao Paulo von Bruno Gomiero Lizenz: CC0

Wie ich die Handy Mandy in mir besiegt habe

Du hängst zu viel am Handy? Deine Freunde sind total abgenervt? Dann solltest du die nächsten Zeilen lesen.

 

Es ist Samstag und wir haben Freunde zu Besuch. Nach dem Essen greifen die Einen zu einer zweiten Flasche Bier, die Anderen holen sich Weingläser – der Abend geht in die nächste Phase. Ich setze mich auf die Couch, weil ich noch schnell zwei anderen Freundinnen antworten muss. Wir hatten seit ein paar Stunden so ein Witzding im Chat am Laufen, da muss ich noch einen nachlegen. Dann geht es zu Instagram, wieder zwei Likes mehr für mein Foto vom Nachmittag. Und da ist noch eine Benachrichtigung auf Facebook, die sich als uninteressant herausstellt. Und dann höre ich es zum ersten Mal, diesen auf meine Stirn gedrückten Stempel: “Ey Handy Mandy, sei mal nicht so asozial!”. 

Laut gerufen, sodass jeder zu mir rüberschaut, denunziert als jemand, der sich in geselliger Runde abkapselt und sich ins Digitale flüchtet. Ich wollte nie so jemand werden, aber die Sogwirkung des immer verfügbaren Digitalen hatte auch mich erfasst.

Ein paar Monate zuvor brummte noch ein altes Nokia in meiner Tasche, wenn eine SMS kam. Viel mehr konnte man damit auch nicht machen, außer telefonieren und ein pixeliges Spiel zocken, wenn einem auf der Toilette langweilig wurde. Und es war der einzige Wecker, den ich benutzte. 

All die nützlichen Dinge

Dann tauschte ich das alte dumb phone gegen ein Smartphone – gefühlte Jahre später als mein Freundes- und Bekanntenkreis. Weil ich auch endlich dieses digitale mobile Leben wollte, in dem man überall und immer alles schnell nachschauen konnte.

Wie war ich nur so lange klar gekommen, ohne meine Mails auch unterwegs checken zu können? Ohne gestreamte Musik in der U-Bahn hören zu können? Ohne die Möglichkeit, Fotos aus meinem Alltag gleich posten und wild verhashtaggen zu können? Auch ich würde nun wissen, wie das Wetter in 2 Stunden sei, wann die nächste U-Bahn käme und wie mein Kontostand genau in diesem Moment aussah. Aber das wichtigste: Wenn ich etwas nicht wusste, schlug ich es einfach im größten Lexikon der heutigen Zeit nach – bei Wikipedia. 

All die fiesen Ablenkungen

Was dann wirklich kam, war Twitter, Instagram, eine Lichtschwert- und eine Furz-App. die BVG-App wurde installiert und fristet seitdem ein einsames Dasein. Wikipedia nutze ich, aber nicht so häufig, wie ich es erwartet hatte. Vielleicht musste ich mich erst einmal austoben, bevor ich mein Smartphone auch wirklich smart nutzen würde. 

Brumm! Blink! Ping!

Schnell nervte es mich, dass jede noch so kleine Aktivität in einer der Apps ein Brummen, Blinken oder Pingen hervorrief, also schaltete ich fast alle Signale aus. Seit kurzem aktiviere ich nachts sogar den Schlafmodus – ein mega-cleverer Schachzug – weil niemand mehr ein Gefühl dafür zu haben scheint, dass wenn man 3 Uhr nachts etwas in eine Whatsapp-Gruppe schreibt mal eben 12 Handys von 12 Freunden brummen, blinken oder pingen. Und dennoch lassen viele diese Benachrichtigungen angeschaltet, weil sie entweder nicht wissen, wie man sie ausschaltet oder eben weil sie immer gleich wissen wollen, wenn ihnen jemand etwas geschrieben hat. Aus der Angst heraus, etwas zu verpassen, der sogenannten “Fear of Missing out”, auch FOMO genannt.

Denn wir haben uns dazu trainiert, so schnell wie nur möglich auf die kleinsten Nachfragen zu antworten. Und genau mit diesem antrainierten Reflex unterhalte ich mich per Chat mit Freunden, obwohl unser Besuch im selben Zimmer ist. Ich habe meine Wahrnehmung für das verloren, was sozial angemessen ist.

Willkommen in der Smombie-Hölle!

Oh nein, kommt jetzt wieder so ein nicht enden wollendes Geheule über die negativen Folgen von Smartphones für unser Sozialverhalten? Und überhaupt: Smombies? Wer das Wort des Jahres von 2015 wirklich benutzt, um Leute über schlechtes Sozialverhalten wegen Handy aufzuklären, der sollte einfach sein altes Nokia wieder benutzen und dumb sterben. 

Es wird in vielen Lebensbereichen einfach akzeptiert, dass sich jemand aus einer  Gespräch herauszieht, um das Handy zu checken und zurückzuschreiben, zu posten oder einfach mal kurz die Timeline runter zu scrollen, nur um zu sehen, was die Anderen gerade so machen.  

Es gibt Leute, die teilen ihr halbes Leben in den sozialen Netzwerken – oder jedenfalls die schön fotografierbaren Seiten davon. Der Urlaub mit dem neuen heißen Freund, das Restaurant, das allein wegen des tollen Ambientes für Instagram-Fotos ausgesucht wurde, den Alltag als Schwangere und natürlich der Besuch im Fitnessstudio. 

Mit der Professionalität eines Social Media Managers bilden sie ihre Leben im Digitalen ab und sind damit oft geschickter als die PR-Abteilungen vieler Unternehmen auf deren sozialen Kanälen. 

Und das mache ich auch, in Maßen. Und ich will wissen, wie die Leute darauf reagieren, es macht einfach süchtig. 

Ich lege das Handy weg, nehme mir ein Bier und gehe zu den Anderen in die Küche. 

FOMO und die Sucht nach Likes, das ging schnell mit der Entwicklung zum Smombie – das Wort sei hier zum letzten Mal verwendet. 

Das Smartphone hat eine Menge Stress in meinen Alltag gebracht: Ich hätte nie gedacht, dass ein Ladekabel mal so wichtig für mich sein würde. Ich habe eins für Zuhause und eins für die Arbeit. Bei beiden weiß ich immer, wo sie gerade sind. Denn die knappe Ressource Akku ist zur ständigen Bedrohung geworden. 

Zugegeben, es gibt schlimmere Süchte, als täglich stundenlang am Handy zu hängen und die Likes unter den eigenen Posts zu zählen, z. B. Alkohol, Rauchen und chemische Drogen. Aber auch die sozialen Netzwerke bringen nicht gerade die besten Seiten in uns hervor. Es ist so unglaublich absurd, aber nichts streichelt die narzisstische Seite mehr in uns als 50 Likes für ein Foto – und wir wollen immer mehr!

Leider kommen mit so vielen Likes auch bald doppelt so viele Follower und die will man nicht enttäuschen, also postet man regelmäßig, gibt immer mehr von seinem Leben preis und wenn es dann nicht mehr genug für die nächste Instagram-Story zu bieten hat, dann bucht man eben schnell einen Urlaub und macht alle neidisch, die im kalten Regen daheim vor sich hin frieren oder zieht in eine neue Wohnung mit Balkon in Richtung Sonnenuntergang. 

Es ist gut, Freunde zu haben, die einem einen Spiegel vorhalten

In Zeiten, in denen die digitalen Technologien mit Siebenmeilenstiefeln über fast alle Branchen rübertrampeln verliert man leicht das Gefühl für die Regeln der  Alltagskommunikation. Auf einmal wirkt alles starr und unflexibel, wenn man nicht mal kurz sein Handy checken darf, ohne blöd angemacht zu werden. Auf einmal hat man das Gefühl, einen Knigge-Kurs für das normale Leben belegen zu müssen.  

Es war schon schwer genug, in Schule, Ausbildung oder Studium die gängigsten Verhaltensregeln und Nuancen von Unterhaltungen zwischen Small Talk und richtig deepem Shit zu erlernen. 

Und nun bringt jeder neue Kanal, egal ob Twitter, Youtube, Snapchat oder Instagram, neue Regeln der Kommunikation mit sich. Die Einen geben einem 280 Zeichen, um sich auszudrücken – eine Chance für auf’s Nötigste konzentrierte Botschaften, aber auch für inhaltlich gefährlich verkürzte Plattitüden. Andere geben einem die Möglichkeit, sich in 15 Sekunden langen Videos auszudrücken, die nach 24 Stunden wieder verschwinden. Und wieder Andere bauen Filterblasen um einen herum, aus denen man nur schwer wieder herauskommt.    

Die Handy Mandy wieder in den Griff bekommen

Es gibt ein paar einfache Methoden, und ein paar schwierigere, um das Smartphone-Leben mit dem Alltag zu synchronisieren. 

Die einfachen: WhatsApp-Gruppen, in denen zu viele Teilnehmer sind, tendieren dazu, in ausschweifende Diskussionen über die unwichtigsten Kleinigkeiten auszuarten. Es gibt aber einen fantastischen Knopf, um der Nachrichtenflut Herr zu werden: Stummschalten (für 8 Stunden, 1 Woche oder sogar 1 ganzes Jahr). Keine Angst, so oft wie wir Messenger-Dienste benutzen wird dort trotzdem keine Nachricht untergehen, aber wir können selbst entscheiden, wann wir sie uns durchlesen.  

Bei allen Apps lassen sich die Benachrichtigungen ausschalten. Wir installieren Apps ja nicht ohne Grund, aber wenn einem neue Nachrichten angezeigt werden, die sich als reine Eigenwerbung der App entpuppen ist es Zeit für eine kleine Abschalt-Tour durch die Benachrichtigungseinstellungen.

Und dann noch die Problemzone E-Mail-Postfach: “Immer auf dem Laufenden bleiben” und “keine Neuigkeiten verpassen” sind fantastische Argumente, einen Newsletter zu abonnieren. Aber Mails, die man monatelang ignoriert und die einem beim zweiten Hinsehen keinen erkennbaren Mehrwert bieten, sollte man einfach abbestellen. In jeder dieser Mails gibt es ganz unten diesen nützlichen Abbestellbutton – ganz klein und ganz unten.   

Die schwierigeren Methoden brauchst du, wenn du den Handy-Mandy-Stempel bekommen hast. Dann solltest du akzeptieren, dass du zu weit gegangen bist. Du würdest auch keine Zeitung herausholen, wenn du bei deinen Eltern zu besuch bist. Du würdest kein Telefongespräch mit Freunden beginnen, wenn du gerade mit anderen Freunden in einer Bar bist. Es braucht ein bisschen Übung, aber man kommt wieder an den Punkt, an dem man wieder erkennt, was sozial angemessen ist und was nicht. Der Punkt, an dem du merkst, wenn jemand Anderes gerade unpassenderweise am Smartphone hängt und demjenigen den Handy-Mandy-Stempel auf die Stirn drückst. 

Ich atme die verrauchte Luft in der Küche ein und erinnere mich wieder daran, wie schön diese Abende sein konnten, wenn man sich aktiv an ihnen beteiligt. Ich hatte das  Smartphone zur Seite gelegt und genieße die Gespräche. Bis jemand anfängt, von einem lustigen YouTube-Video zu erzählen: “Wie, das habt ihr noch nicht gesehen?” Er holt sein Handy raus und alle lachen über das Video. Dann fällt einer Freundin natürlich noch etwas viel Lustigeres ein und danach muss unbedingt noch dieses andere Video gezeigt werden. Da ist er, dieser tolle Abend in der Küche, der sich in einen Youtube-Abend verwandelt und erst Stunden später enden wird. Ich hole mein Handy und mache ein Foto von allen, für das nächste Mal, wenn sie mir wieder einen Stempel verpassen wollen.   

Dieser Beitrag ist zuerst bei Zeit für Zukunft erschienen.  

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