Mira Mühlenhof ist Führungskräfte-Coach und erklärt bei uns, warum es der Karriere dienen kann, auch mal männliche Rituale zu bedienen.
Big Deals und dabei den Weinkeller leertrinken
„Pass auf die Stoffservietten auf“ – das hat mir der Chef des Restaurants, in dem ich während des Studiums gejobbt habe, fast täglich eingebläut: ein italienischer Nobel-Schuppen, in dem ich mir von meinem Bafög noch nicht mal eine Vorspeise hätte leisten können. Dort verschwanden – zu später Stunde – regelmäßig die Stoffservietten in den Jacketts der männlichen Gäste. Dass das auf Dauer ins Geld ging, war mir klar. Doch warum war das so? Weil auf den Servietten Verträge fixiert wurden! Nachdem man vorher den halben Weinkeller ausgetrunken hatte…
Ich verstand schnell: Hier werden die „Big Deals“ gemacht. Nicht tagsüber auf der Messe oder in Meetings. Nein: Die großen Jungs trafen sich bei uns zum ausufernden Genuss. Sie frönten ungebremst ihren kulinarischen Gelüsten und kamen sich dann auf der Beziehungsebene näher, auf der sie sich begegnen mussten, um sich gegenseitig vertragliche Zugeständnisse machen zu können.
Bestimmte Dinge ändern sich nie!
Heute, mehr als 20 Jahre später, beobachte ich in meiner Tätigkeit als Führungskräfte-Coach exakt dieselben Rituale – immer dann, wenn es sich um Bosse der „alten Schule“ handelt. Den grauen Eminenzen. In den jüngeren Managerkreisen erkenne ich ein anderes Verhalten, man schießt sich nicht bei jeder passenden Gelegenheit ab. Daraus schließe ich, dass wir es hier durchaus mit einer Generationsthematik zu tun haben, frei nach dem Motto: „Mit wem ich nicht gefeiert habe, dem vertraue ich auch nicht.“
Was sich aber nicht verändert hat: Männer brauchen scheinbar einen Katalysator, um sich auf der Beziehungsebene begegnen zu können. Wir Frauen – so meine These – können das auch ohne Alkohol. Und auch tagsüber. Darum verstehen wir vielleicht auch nicht, dass manche männliche Kollegen uns auf der Beziehungsebene nicht an sich ran lassen. Weil wir auf ihre Rituale keine Lust haben, nicht mitspielen. Stattdessen erwarten wir, dass sich die Männer auf unsere Form des Beziehungsaufbaus einlassen. Doch darauf können wir, fürchte ich, noch lange warten!
Ähnlich verhält es sich in der Frage nach der Funktion des Grillens: Männer stellen über gemeinsame Aktivitäten oder Interessen (Fußball!) eine Beziehungsebene her, auf der sie sich füreinander öffnen. Sie outen und öffnen sich für andere Meinungen, akzeptieren auch andere Vorlieben (jedem sein Verein) und fördern den Austausch auf einer emotionalen Ebene. Wir Frauen verstehen das nicht. Wir bauen Beziehungen in der Regel auf andere Art und Weise auf: Indem wir zuhören, uns füreinander interessieren, uns unterstützen und Komplimente machen. Na ja, zumindest im Idealfall.
Muss ich mich mit den Kollegen unter den Tisch trinken?
Im Coaching komme ich mit Frauen ins Gespräch, die sich von Männern nicht respektiert und/oder abgelehnt fühlen. Schlimmer noch: Sie fühlen sich ausgegrenzt, belächelt und klein gemacht. Ich frage dann, ob diese Haltung der männlichen Kollegen vielleicht daraus resultieren könnte, dass sie bei den entscheidenden Momenten, in denen Entscheidungen gefällt und
Verabredungen (zum Beispiel über zu besetzende Positionen) getroffen werden, nicht dabei sind? Und nach einer kurzen Reflexionszeit kommt häufig die Antwort: „Da mögen Sie Recht haben. Aber was soll ich denn machen? Ich will mich mit den Kollegen nicht ständig unter den Tisch trinken.“ Sollen sie auch gar nicht. Aber ab und zu schadet es nicht, dabei zu sein. Im Gegenteil.
Hilfreich kann sein, zunächst für sich zu reflektieren, wie man selbst Beziehungen aufbaut. Ich gebe zu, dass Freunde bis heute irritiert sind, wenn ich mich schon mal abends zu einem Vorgespräch mit einem neuen Klienten treffe. Sie meinen, so etwas „tue man nicht“, das müsse ich tagsüber machen. Steckt dahinter nicht der Gedanke, dass da gleich mehr laufen könnte? Für mich als Coach (ich korrigiere: für mich als Coach, dem die Beziehungsebene zu den Klienten immens wichtig ist), ist ein offener Austausch bei einem Essen oder Glas Wein eine vertrauensbildende Maßnahme. Aus diesem Grund gibt es ja Geschäftsessen! Das mag man/frau für unprofessionell halten – es ist nun mal meine Art. Ich bin ein neugieriger „Menschenmensch“ und mag es, mich auch in einem unkonventionellen Rahmen inspirieren zu lassen. By the way: Wer kommt auf die Idee zu hinterfragen, was ein Mann bei einem Geschäftsessen macht? Eben.
Trick 17
Ich möchte dich ermutigen, auch mal dabei zu sein, wenn die Kerle über die Stränge zu schlagen. Ohne Angst zu haben, gleich den guten Ruf zu verlieren. Dabei gibt es allerdings wichtige Punkte zu beachten:
Menge reduzieren:
Frauen vertragen nun mal weniger Alkohol als Männer, das ist wissenschaftlich belegt. Zum Glück gibt es Mittel und Wege, den Alkoholkonsum einzuschränken: Mach den Kellner zu deinem Komplizen, damit er für dich alkoholfreies Bier einschenkt oder dir Cola anstatt Ramazotti serviert. Kenn dein Limit.
Gefühle aushalten:
Sei gewappnet: Je nach Persönlichkeitsstruktur werden Männer entweder aggressiv (zum Glück nicht gegen Frauen), weinerlich (dann brauchen sie eine Schulter zum ausheulen) oder zum Grabscher. Bitte alle drei Zustände nicht
so ernst nehmen! Damit meine ich natürlich nur die harmlosen Situationen,
in denen ein angeduselter Kollege die Kontrolle über seine Körperfunktionen
verliert und mangels gesunder Selbsteinschätzung plötzlich meint, er würde bei
dir total gut ankommen. Ein scharfes „Finger weg“, gefolgt von einem charmanten Lächeln, sollte dabei reichen!
Zotige Sprüche hinterher:
Können kommen, sind aber fast nie böse gemeint. Der Respekt davor, dass man überhaupt mitgemacht hat, überwiegt. Und Zoten können wir doch aushalten, oder?
Grenzen setzen:
Der Spaß an der Sache hört natürlich an dem Punkt auf, an dem der Spaß aufhört – spätestens dann, wenn es für dich unangenehm wird und/oder du dich genötigst fühlst, irgendetwas mitzumachen, was du nicht willst. Sollte das passieren: Sofort raus da. Für mich war dieser Punkt übrigens erreicht, als eine noble Herrenrunde in genanntem Restaurant lautstark eine Wette eingeläutet und mich dazu geholt hat. Es ging um die Farbe meines Slips. Ich bin in die Küche gestürmt, habe angefangen zu heulen und wollte auf der Stelle kündigen. Mein Chef hat mir freigestellt, den Tisch nicht weiter bedienen zu müssen. Ich habe echt mit mir gekämpft. Dann bin ich zurück an den Tisch, habe die Wetteinsätze eingesammelt – und einkassiert. Keiner von den Jungs hatte richtig getippt. Und ich hatte 700 DM Urlaubsgeld in der Tasche.
Mal im Ernst: Das Spiel funktioniert natürlich nur, solange es ein Spiel bleibt. Dann kann es aber auch Spaß machen und wertvolle Informationen liefern.
Männer lassen nun mal ab einem gewissen Pegel die Hemmschwellen fallen, zeigen sich von ihrer schwachen Seite, werden gesprächiger und teilen auch mal Geheimnisse mit. So kannst du wertvolle Informationen erhalten, zu denen du im Büro keinen Zugang hast. Und die können für deine Karriere ja nur wertvoll sein.
In diesem Sinne: Kauft Euch gute Kopfschmerztabletten, Bismarckheringe und
Nux-Vomica-Tabletten, liebe Mädels. Lasst es ordentlich krachen. Und nehmt
bitte auch diesen Artikel nicht allzu ernst…
Mehr bei EDITION F
Steffi Czerny: „Vitamin B funktioniert nur, wenn es mit Kompetenz einhergeht“. Weiterlesen
Sieben Netzwerk-Tipps für Introvertierte. Weiterlesen
Warum Netzwerken sich auszahlt – nicht nur für den Job. Weiterlesen