Auf Pornoseiten im Internet gibt es immer mehr Videos von Frauen, die ohne ihr Wissen auf der Toilette gefilmt wurden. Durch die Arbeit der NDR-Reporterin Patrizia Schlosser konnten bereits zwei Spanner identifiziert werden. Wir haben mit ihr über die verdeckte Recherche im Spannernetzwerk gesprochen.
Aufnahmen, die den Intimbereich entstellen
Versteckte Kameras auf der Toilette – eine Horrorvorstellung, die in den vergangenen Jahren auch für manche Frauen in Deutschland zur Realität wurde. Hinter solchen Aufnahmen steckt ein Netzwerk aus Spanner*innen. Wie viele Frauen genau betroffen sind, ist unbekannt. Doch Beratungsstellen für Frauen gegen sexualisierte Gewalt vermuten, dass die Dunkelziffer hoch ist. Die demütigenden Aufnahmen werden auf Pornoseiten wie xHamster verbreitet. Die Aufnahmen werden in öffentlichen Toiletten oder Duschen, aber auch von Privatpersonen, die mit dem Opfer befreundet sind, gemacht. Dabei sind die Kameras am inneren Rand der Klobrille angebracht, wodurch Aufnahmen entstehen, die den Intimbereich unwissender Frauen filmen und jegliche Grenze der Privatsphäre überschreiten.
Die NDR-Reporterin Patrizia Schlosser recherchierte fast zwei Jahre lang undercover und spricht in einer fünfteiligen Podcastreihe über ihre Einblicke. Durch den direkten Kontakt zu einem Spanner hat sie aufgedeckt, dass ein Teil dieser Videos auf dem bei Berlin gelegenen Festival „Monis Rache“ entstanden ist. Doch wie können sich Frauen vor solchen Aufnahmen schützen und wie sollten sich Betroffene verhalten? Wir haben mit Patrizia über den Umgang mit Betroffenen und Gewissensbisse bei der Undercover-Recherche gesprochen.
Ich habe vor deiner Recherche noch nie von solchen Spannervideos gehört. Wie bist du auf dieses Thema gestoßen?
„Darauf gestoßen bin ich durch meine Kollegin Isabell Beer. Sie hat über dieses Thema für das ,Zeit‘-Magazin einen Artikel geschrieben. Ich fand es total wahnsinnig, dass so etwas existiert und wollte dann mehr darüber herausfinden, wer diese Leute sind, die sowas machen. Ich wollte einfach wissen, wer hinter solchen erniedrigenden Aufnahmen steckt.“
Du hast daraufhin ein Profil erstellt und dich selbst bei xHamster angemeldet, um tiefer in die Szene einzutauchen. Gab es Momente, in denen du deine Recherche bereut hast?
„Bereut habe ich das nie. Ich finde es sehr wichtig, dass darüber berichtet wird und das Thema an Aufmerksamkeit gewinnt. Aber es war trotzdem hart. Ich musste mich ja selbst zum Köder machen, indem ich mir dieses Profil anlegte und dann selbst ein Video von mir hochgeladen habe. Ich habe also meinen eigenen Körper benutzt und das hat sich sehr schmutzig und ekelhaft angefühlt. Das lässt sich vor mir als Privatperson und als Journalistin nur so rechtfertigen, dass ich so Teil des Spannernetzwerks wurde und Kontakt mit den Tätern aufnehmen konnte. Wenn ich Täter identifizieren will, muss ich eben in diesen Kreis rein. Natürlich war das unangenehm für mich selbst. Aber was mir später noch schwererfiel, war dann, Kontakt mit den betroffenen Frauen aufzunehmen. Ich wusste eben, dass das, was ich ihnen erzähle, deren gesamtes Leben durcheinanderbringt und sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch traumatisiert. Wie erzählt man sowas? Den Umgang mit den betroffenen Frauen fand ich nochmal viel herausfordernder.“
Was hast du beim Umgang mit Opfern solcher Straftaten gelernt? Wie erzählt man es Leuten richtig?
„Ich habe gelernt, dass man einfach nicht abschätzen kann, wie die Reaktion der Konfrontierten ausfällt. Es kann alles passieren, der Mensch kann dir dankbar sein, es kann aber auch Wut und Ärger auslösen. Ich bin nun mal die Überbringerin dieser schrecklichen Botschaft. Und das ist auch völlig in Ordnung und man muss sich darauf einstellen, dass Betroffene erstmal sehr impulsiv und emotional reagieren. Das muss man dann eben aushalten und die Person weiterhin begleiten. Deshalb stehe ich auch über den Podcast hinaus mit den betroffenen Frauen in Kontakt. Man darf sich also auf keinen Fall davon abschrecken lassen, dass die Reaktion ganz anders ausfällt als man zuerst erwartet hat. Mir hat sehr geholfen, dass ich mit Beratungsstellen zu sexueller Gewalt sprach und mir dort Rat holen konnte.“
Deine Recherche und dein Einsatz haben sich ja letztendlich gelohnt, denn einer der Spanner war dann auch tatsächlich bereit, ein Gespräch mit dir zu führen. Wie hast du dich davor gefühlt?
„Das war ein sehr skurriler Moment. Ich habe ja ein Jahr lang immer wieder mit dieser Person gechattet, wusste aber nicht, was für ein Typ Mensch dahintersteckt. Wenn man diesem Menschen dann plötzlich gegenübersitzt, ist das schon verrückt. Natürlich ist das ein Mensch, dem jetzt nicht auf der Stirn geschrieben steht: Ich mache illegale, verwerfliche Dinge. Sondern das ist einfach ein ,normaler’ Typ gewesen, an dem nichts auffällig war. Und gleichzeitig war es auch echt schwer mit ihm umzugehen, weil er sich natürlich geschämt hat, als er sozusagen aus dem dunklen Internet in die reale Welt trat. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass er sich gleichzeitig in einer Opferrolle sieht und dass er mir nicht die gesamte Wahrheit erzählt. Und das alles im Kopf zu haben, während ich mit der Person gesprochen habe, war auf jeden Fall eine Herausforderung.“
Du kennst jetzt beide Seiten: Wie kann man sich als Frau vor so etwas schützen?
„Gute Frage, klare Antwort: Man kann nicht wirklich aktiv etwas dagegen tun. Klar kann man sich immer umschauen, ob da irgendwelche komischen Dinge rumstehen, aber man entdeckt solche Kameras in den meisten Fällen nicht. Also ist das Einzige, was wirklich hilft, ein Bewusstsein für dieses Phänomen zu schaffen. Die Gesellschaft sollte das nicht so hinnehmen, denn es ist absolut nicht okay. Durch die Anonymität ist es für die Täter so einfach, diese Videos zu machen. Sie haben das Gefühl, dass es ja eh niemand mitbekommt. Wenn aber eine breite Masse an Menschen diesbezüglich aufgeklärt ist, schreckt das auch mutmaßliche Täter ab. Es würde ja auch keinen Sinn machen, wenn man jetzt nur darauf eingeht, wie Frauen sich schützen können. Dann würde die Problematik nicht im Kern bekämpft werden. Das hat dann fast schon was von ,keinen kurzen Rock anziehen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.’ Das Problem sind die Täter, nicht die Betroffenen.“
Was ist seit deiner Recherche noch passiert?
„Über 90 potenziell betroffene Frauen haben Anzeige erstattet, da sie auf dem ,Monis Rache’-Festival waren. Das heimliche Filmen und Verbreiten von Toiletten- und Dusch-Videos ist nach Paragraf 201a StGB nämlich eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und deshalb strafbar. Die Polizei ermittelt und hat auch schon nach Veröffentlichung der Reportage von sich aus ermittelt. Bei einem anderen mutmaßlichen Spanner, hat eine Hausdurchsuchung stattgefunden und die dort sichergestellten Gegenstände werden momentan ausgewertet. Bei mir haben sich sehr viele Frauen gemeldet, denen ähnliches passiert ist und die total froh sind, dass das Thema endlich mal besprochen wird. Sehr viele der Opfer hatten nie das Gefühl, richtig ernst genommen zu werden. Da muss sich etwas ändern in Deutschland, denn juristisch gesehen ist das Ganze zwar eine Straftat, wird aber oft nicht genug geahndet.“
Also empfiehlst du betroffenen Frauen, hartnäckig zu bleiben?
„Auf jeden Fall. Allen Betroffenen empfehle ich, sich an eine Beratungsstelle zu wenden und gegebenenfalls auch Anzeige zu erstatten. Man sollte sich auf jeden Fall nicht in die Richtung drängen lassen, dass man sich für etwas schämt und dann nicht darüber spricht. Das ist eben das große Problem an der Sache, weshalb die Dunkelziffer auch so hoch ist. Viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen, weil sie sich so gedemütigt fühlen. Und das ist falsch!“