Foto: Ein (fast) nackter Po? Skandal!

Nackt auf Instagram: „Hast du es wirklich so nötig?“

Wenn eine Frau sich nackig macht, dann ist das auf jeden Fall billig und peinlich, oder? Nein, aber genau das wird der Bloggerin Lina Mallon immer wieder vorgeworfen. Nun antwortet sie auf diese Vorwürfe.

Frauen mit kurzen Röcken? Machen sich zum Freiwild!

Es war in der elften Klasse. Ich dementsprechend 17 Jahre alt. Letzte Reihe, blauer Hefter, Rechtskunde in der siebten und achten Stunde am Mittwoch. Ich verfolgte damals noch meinen ersten Berufswunsch: ich wollte Anwältin werden, Jura studieren. Aus keinem anderen Grund hätte ich sonst freiwillig in einem Wahlkurs bis in den späten Nachmittag gesessen und während des Frontalunterrichts von der Tafel abgeschrieben.

Fälle zu recherchieren, zu lösen, über verschiedene Kausalketten zu debattieren, das hatte mir immer Spaß gemacht – aber die klassische Theorie, die wir alle drei Wochen erarbeiteten, in der man gängige Argumentation von Anklage, Verteidigung, Richter oder Täter abschrieb, um sie und ihre Kern- oder Schwachpunkte als auch die korrekte Widerlegung oder Stärkung auswendig zu lernen, als wäre es ein Schachzug, das hatte mich immer gelangweilt. Das meiste konnte man sich denken. Für einen Täter, gab es genau zwei große, übergeordnete Rechtfertigungsgründe. Immer die Gleichen. Gesetzlich verankert. Der Rest war immer hinfällig.

Also brachte ich gelangweilt die sechs Stichpunkte auf meinen Linienblock, die Frau Hofmann gerade noch einmal dem Kurs erläuterte. Es ging um Sexualstraftaten. In erster Linie Nötigung. Und auf einmal stockte ich. „Bekleidung der Frau“, stand dort unter „Täterargumente.“ und als Erklärung das Zitat: „Na, sie hatte ja einen sehr kurzen Rock an.“ 
„Entschuldigung…?“, fragte ich offen verwirrt dazwischen. „Ja Lina?“ „Ich verstehe Punkt drei nicht.“ „Na, der erläutert ich doch von selbst, oder? Der Täter sieht seine Tat darin gebilligt, dass die Frau einen zu kurzen Rock getragen hätte.“ „Hä? Wieee?“

Ich weiß noch genau, wie absurd und unsinnig mir diese Zeile vorkam, sodass ich vollkommen davon überzeugt war, dass ich sie nicht richtig verstanden haben konnte. „Aber das ist ja keine Verteidigung? Wie soll denn eine Frau an einer sexuellen Nötigung Schuld haben, wenn sie einen kurzen Rock trägt?“ „Der Täter empfindet einen kurzen Rock in seiner Perspektive als Aufforderung, als Einladung.“ „Die Frau anzufassen? Oder zu nötigen?“ „Ja.“ „Das ist doch absurd. Das macht doch überhaupt keinen Sinn und war vielleicht vor 60 Jahren mal ein Punkt. Aber sowas sagt doch in der Praxis niemand mehr?“

                       

Victim Blaming: Erst betroffen, dann unheimlich wütend

Und dann rüttelte der Kurs zum ersten Mal an meinem Weltbild und ich war mir unsicher, ob ich nun unheimlich naiv und viel zu behütet in dieser Kleinstadt aufgewachsen bin oder aber meine innere, ganz natürliche, unbedarfte, feministische Überzeugung so stark, dass ich es für unmöglich hielt, dass man noch so über Frauen denken oder sie derartig aburteilen, sie und ihren Körper, ihre Entscheidung oder aber ihre Motive auf ein Kleidungsstück reduzieren würden. Für mich war diese Perspektive so weit weg, so absurd, dass ich sie nicht in Betracht gezogen hatte. Und auf einmal mit ihr konfrontiert zu werden und sie auch noch mehrfach bestätigt zu wissen, das machte ich an diesem Tag erst betroffen und dann unheimlich wütend. Die Reaktion meines Umfeld: „Klar ist das scheiße. Aber das kann doch jetzt kein Schock für dich sein?“ Doch, war es.

Zehn Jahre ist das her, dass ich mit einem, ich subtrahiere meine Gefühle aus den zwei Kursstunden mal, „WTF?!“ aus der Schule ging und gar nicht glauben wollte, dass so eine Denkstruktur im Jahr 2006 tatsächlich noch in den Köpfen von Menschen vorkommen sollte.

Seitdem ist eine Menge passiert, eine Weiterentwicklung möchte man meinen, immerhin hatten wir zehn weitere Jahre Zeit uns zu bilden, gegenseitig aufzuklären, noch definierter zu reflektieren und veraltete, überholte und schlicht untragbar absurde Annahmen auszumerzen. Und obwohl wir noch immer an so viele Stellen struggeln, scheitern, uns nicht einig sind und auf der Stelle treten (warum genau verdienen Männer in so vielen Berufen weiterhin schlicht wegen eines anderen Chromosomenpaares mehr als Frauen?), hatte ich bis vor kurzem die – ich weigere mich noch immer das Attribut „naiv“ zu benutzen, auch wenn es sich so aufdrängt – Überzeugung, dass der Feminismus als solcher, den ich noch nie als Freifahrtschein für drängelnde Frauen, sondern als Gleichberechtigung und Bewegung für das Recht auf Handlungs- und Entscheidungsfreiheit verstanden habe, vorangekommen ist, sich gestärkt und entwickelt hat.

Und plötzlich diskutieren alle über meine Brüste und meinen Hintern

Bis vor ungefähr zwei Monaten. Solange hält zumindest die Diskussion an oder kommt immer wieder auf, in der ich mich nicht nur mit meiner Überzeugung, sondern neuerdings sogar mit meiner Person befinde.

Aktuell werde ich das belastende Gefühl nicht los, dass ich noch nie so viel für meine Entscheidungsfreiheit, für meine Person als Ganzes und vor allem für weitere, größere Horizonte, gerade bei Frauen in ihrer Sicht auf andere Frauen, kämpfen musste. Im Jahr 2016. Mit 27 Jahren.

Am Anfang ging es um mein Dekolleté, später direkt um meine Brüste, dann um meinen Hintern und schließlich diskutierten dritte, vierte und fünfte Frauen stundenlang und offenbar äußerst angegriffen darüber, ob es tatsächlich „nötig“ oder „überhaupt ok“ sei, dass ich oder andere Frauen sich überhaupt im Bikini oder, Gott bewahre, sogar sinnlich oder sexy auf Bildern zeigen würden. Und – das ist das Schlimmste – was das über mich oder sie aussagen würde. Über unsere Persönlichkeiten. Über unsere Bildung, Cleverness, über unsere Glaubwürdigkeit oder unseren Wert.

Mit Polarisierung hatte ich gerechnet, aber nicht damit

Dass ein stofffreier Hintern polarisiert, dass er nicht jedem gefällt, dass nicht jeder ihn fotografiert oder geteilt hätte, das habe ich erwartet. Dafür ist Instagram nun mal kein Bildband, den sich ausgewähltes Publikum mit Sinn für Ästhetik und Bildkomposition ansieht, sondern ein soziales Netzwerk, das vorrangig in Deutschland neben schnellen Hypes, vor allem aus Kritik und schneller Bewertung besteht. Dass du aneckst, dass du jemandem nicht gefällst und dass man es dir ungefragt sagen wird – damit musst du rechnen. Und das tat ich.

Was ich aber zu 100 Prozent unterschätzt hatte, was ich nicht erwartet hatte und was mich mit dem gleichen WTF?! im Nacken und schließlich der gleichen Wut im Bauch zurückließ, waren die anmaßenden Urteile und absurden Aussagen, mit denen vor allem Frauen auf mich zukamen. Ich hatte nicht erwartet, dass ganze Online-Redaktionen sich bis zur Mittagspause in ein Urlaubsbild hineinsteigern würden, dass man mir meine Persönlichkeit oder Arbeit absprechen oder sie herablassend diskutieren würde.

„Krass! Hast du mal überlegt, dass jetzt auch PR Menschen wissen, wie dein Busen geformt ist oder wie dein Hintern aussieht?“

Sätze, wie: „Hast du die Aufmerksamkeit der Kerle so nötig, dass du hier ständig deine Titten zeigen musst?“ oder „Früher hab ich deine Texte mal spannend gefunden, aber heute lese ich sie nicht mehr, weil ich einfach nichts damit anfangen kann, wie billig du dich hier zeigst!“, „Ich fand mal, du warst eine starke, tolle Frau, aber wer hier solche Fotos teilt, den kann ich nicht ernst nehmen“ „Krass! Hast du mal überlegt, dass jetzt auch PR Menschen wissen, wie dein Busen geformt ist oder wie dein Hintern aussieht?“ „Was bitte bezweckst du eigentlich mit den Bildern? Das man dich geil finden soll, weil du sonst nichts kannst“ „Wie kann es einem so egal sein, wie wenig man jetzt noch Ernst genommen wird?“ „Boah, alles für die Likes wa? Armselig!“ oder auch „Wer was im Kopf hat, braucht solche Bilder nicht. Offenbar brauchst du sie aber. Schade, Lina.“, sind nur eine dezente Auswahl von dem, was ich immer wieder  zu lesen bekam. Und bis heute verstehe ich nicht, warum genau sich vorrangig Frauen so angegriffen von anderen Frauen fühlen, dass sie das Bedürfnis haben, sie durch Aburteilen klein zu machen, sie zu verletzen oder zu bekämpfen.
Es war mein Hintern, es sind meine Boobs, nicht die spanische Grippe und auch nicht Donald Trump.

Wenn es nicht so wichtig wäre, wäre es lächerlich

Lisa kommentierte es mit den Worten: „Wenn die Diskussion nicht so wichtig wäre, ich fände sie so lächerlich.“ Und ich kam nicht darüber hinweg, dass es 2016 tatsächlich noch und gerade unter Frauen selbst diskutiert werden musste, was man durfte, was man nicht durfte und was ein Paar Brüste über eine Persönlichkeit aussagen konnte.“

Noch schlimmer, werden solche Urteile dann natürlich unter dem falschen Deckmantel des Feminismus oder guten Geschmacks. Frei nach dem Motto: „Alles was keine offensichtlichen Kraftausdrücke oder Beleidigungen beherbergt ist eine ehrliche Meinung und muss auch so geschätzt werden.“

Während ich den Artikel, der vor ein paar Tagen auf Journelles erschien, noch angeregt und gern las (auch wenn ich in vielen Punkten nicht zustimmen konnte), weil er als offene Diskussion, nicht so sehr als Beurteilung geschrieben und auch so behandelt wurde, gab es andere Artikel oder Äußerungen, bei denen sich mir der Magen umdrehte. Und das nicht deshalb, weil da Frauen anderer Meinung waren, als ich selbst, sondern – mal ganz distanziert betrachtet – überhaupt derlei Meinungen, Sichtweisen und Perspektiven auf Frauen besprochen und noch gegenseitig beklatscht wurden

In der Diskussion auf Journelles wurde zudem differenziert und konkret über bloße, nackte Darstellung, teilweise ohne jeden Anspruch als den körperlichen Reiz selbst, diskutiert. Zumindest da stimme ich den Mädels nämlich zu. Wenn Blumen im Schritt drapiert werden, ohne dass die Message dahinter eine Rolle spielt oder verwackelte Spiegelselfies im unaufgeräumten Wohnzimmer ausschließlich aus dem Grund geschossen werden, gepushte Brüste durchs Netz zu jagen, wenn Nacktheit nicht ein, sondern der einzige Teil der Persönlichkeit einer Frau sein soll, das einzige Ausdrucksmittel, das sie hat oder zeigt, dann hinterfrage ich auch, dann bin ich bei der Kritik dabei.

Differenzierung liegt nicht jedem

Das große Problem: so ein Artikel gelingt natürlich nicht jedem. Differenzierung ist nicht die Königsklasse des Internets und so ploppten im Nachgang dann inspirierte Stimmen auf, die jegliche, sinnlichen und reizvollen Fotos an sich und die Frauen, die sie machten, kategorisch kritisierten, herabwürdigten oder aber gleich noch Unterstellungen hinsichtlich des Motivs draufschmissen. Nacktheit kritisieren ist gerade Trend, also nicht lange nachdenken, sondern lospoltern, gehört werden.

In einem Artikel auf Zukkermaedchen.de, werden zum Beispiel in pseudo solidarischer Wir-Form Frauen darüber belehrt wie die moderne Frau zu sein habe, worauf sie achten müsse und vor allem darüber: ein richtiges Maß zu finden. Aha.
 Frage: wie genau sieht das aus? Das lässt die Autorin offen. Müsse jeder für sich selbst wissen. Ist natürlich richtig. Aber wie genau soll eine junge Frau denn ihr eigenes Maß finden? Eines, in dem sie sich selbst wohl und ausgelebt fühlt, das ihr Spaß macht und das sie stärkt? Wie, wenn sie gar nicht den Mut haben darf, sich auszuprobieren, weil sie von der Angst klein gehalten wird, genau dann nämlich von solchen Artikeln und der klatschenden, weiblichen Leserschaft bewertet oder klein gemacht zu werden?

Man lässt es sich in diesem Text nämlich nicht nehmen immer wieder zwischen den geschmückten Zeilen die Unterstellung mitschwingen zu lassen, dass sinnliche oder „freizügige“ Fotos, ja schlussendlich nur aus Like-Geilheit oder Aufmerksamkeitssehnsucht geschossen werden würden und zusätzlich jedes Bild, jeder Ausschnitt, jede Rocklänge dafür stehen würde, wer wir als Frau sind. W-H-A-T-T-H-E-F-U-C-K.

Ich kann an dieser Stelle natürlich nur für mich sprechen, für meine Person, für meine Brüste und meine Fotos, aber: Ist euch jemals die Idee gekommen, dass es okay und gar nicht unbedingt hinterfragenswert ist, wenn eine Frau mit sich selbst zufrieden ist? Wenn sie sich schön findet und das möglichlicherweise sogar zeigt? Dass das nichts ist, wovon man sich angegriffen oder offended fühlen muss, sondern wofür man eigentlich ein Lächeln und Respekt übrig haben darf? Weil man sich vielleicht selbst daran erinnert, was für ein empowerndes Gefühl es ist, sich stark, vielleicht sogar mutig und auch sinnlich zu fühlen?

Ein Welpe bringt mehr Aufmerksamkeit als meine Brüste

Ich darf den Mob beruhigen: ein Welpe oder ein Sonnenuntergang bringen noch immer mehr Likes und Aufmerksamkeit als meine Brüste. Gosh, vielleicht sind die der eigentliche Feind?

Und wo wir schon mal dabei sind: ich zwänge mich nicht für Männer in Highheels, ich trage nicht für Skaterboys absichtlich lässige Sneaker, ich gebe keine 133 Euro für ein Unterwäsche-Set aus Spitze aus, weil ich davon ausgehe, dass sie Donnerstagnacht ein Typ auspacken würde und ich gehe auch nicht zum Sport in der Hoffnung, dass ich dadurch endlich attraktiv für noch mehr Männer wäre. Ihr auch nicht stimmt’s? Ja? Ihr macht das alles auch für euch selbst? OK. Wenn wir darüber d’accord sind, warum müssen wir dann aber an anderer Stelle davon ausgehen, dass Haut wiederum ausschließlich für Männer oder Aufmerksamkeit gezeigt wird und damit nicht mal den oft so gescholtenen Jungs die Option lassen, andere Frauen zu Objekten zu machen, sondern es gleich mal selbst tun?

Ich habe es nicht nötig, ich habe Spaß daran

Warum „wir“ denn „solche Fotos“ oder „Haut zeigen“ – was sind eigentlich „solche Fotos?“ Wer legt da die undifferenzierte Bewertung fest? – überhaupt nötig hätten, wird außerdem immer wieder gefragt. Wisst ihr was? Ich habe auch keinen roten Lippenstift nötig – und trotzdem mag ich ihn. Was genau sagt das jetzt über mich aus? Ich habe eigentlich auch keine Designertaschen nötig. Und doch gebe ich manchmal absurd viel Geld für sie aus, schlicht, weil ich eine Schwäche für sie habe. Um es ad absurdum zu treiben: eigentlich ist nicht einmal ein Dessert nötig, um satt zu werden. Warum man es trotzdem bestellt? Weil es fabelhaft schmeckt. Es ist für mich vollkommen sinnlos, wenn wir von tollen, sinnlichen Fotos und ästhetischer Bildsprache sprechen, eine Notwendigkeit zu definieren. Die wenigstens künstlerischen oder schönen Ding sind nötig, sie sind einfach die Kür.

Was sinnliche Aufnahmen eigentlich mit Feminismus zu tun hätten, steht dann noch im Raum. Auch hier kann ich wieder nur im Rahmen meiner eigenen Person antworten: Feminismus besteht für mich darin, dass – ich es kann, ohne dabei einen anderen Menschen einzuschränken. Weil ich es will. Weil ich mich so entschieden habe. Weil es mir gefällt. Ich habe es nicht nötig. Ich habe Spaß daran.
 Ich poste die diskutierten Fotos, weil ich meinen Körper mag, weil ich es unheimlich schön finde, endlich mit ihm zufrieden zu sein und die Bilder, die eine ästhetische Stimmung eingefangen haben oder mir schlicht gefallen, auch gerne teile. Es ist übrigens nicht das Kompliment an mich, das mir wirklich etwas bedeutet, sondern wenn mir, denn auch das ist passiert, eine andere Frau schreibt, dass sie sich dank mir oder meiner Ausstrahlung jetzt ebenso traut, zu sich selbst zu stehen oder sich sexy zu fühlen.

Sind meine Bilder schlimmer als eure Vorurteile?

Ich glaube übrigens weder daran, dass Computerspiele, Songtexte, die Vogue noch ästhetische #sensualshots allein irgendeinen Teenager ins Verderben treiben oder zu unbedarfter, ja fast erzwungener Nacktheit verleiten. Und überhaupt, wer reduziert ein Bild denn ausschließlich auf Brüste? Die Frau, die einen Ausschnitt trägt und im Sonnenuntergang vor einer traumhaften Kulisse in ihrem Abendkleid posiert? Oder die, die das Bild anschaut, alles ignoriert und sich auf ein Drittel vom Brustansatz einschießt? Ihr und eure Perspektive, seid diejenigen, die aus einer oft wunderschönen Bildkomposition etwas Plumpes machen. Und damit spreche ich bei weitem nicht nur für meine Arbeit.
 Und ja, ich finde es absurd, sogar erschreckend, dass es 2016 ernsthaft  „Stärke“ braucht, damit eine Frau „sie selbst“ sein kann.

Das lese ich nämlich immer wieder. Dass andere Frauen mich stark finden. Weil ich zu meiner Meinung stehe. Oder meinen Körper mag. Dass mir Mädels schreiben, dass sie ihre Kurven oder ihre Brüste verstecken, weil sie Angst haben, dass sie sonst als „billig“ gelten. Dass Frauen Mitte Zwanzig bis heute nicht wissen, ob sie sich selbst eigentlich sexy finden oder gar finden wollen, weil ihnen irgendwie „nicht wohl“ dabei ist, allein Unterwäsche mit Spitzenbesatz zu versuchen. Weil sie sich „lächerlich“ finden, wenn sie sich „für Männer zur Schau stellen“. Denn genau das wurde ihnen ja eingetrichtert. Dass junge Frauen sich gegenseitig bewerten, beurteilen und haten, sich slutshamen und beleidigen. Also: was ist gefährlicher? Ein Bild mit einem Brustansatz? Oder diese anmaßende, aburteilende und sehr eingeschränkte Perspektive auf andere Frauen, die ihr den Mädels da draußen vorlebt und mitgebt? In denen die ok und „richtig“ sind, die einem gewissen Maß entsprechen? Es halten? Und alle anderen? Was sind die? Was haben die es? Nötig? Ernsthaft?

Meine Freundin Nina sagte dazu sehr, sehr passend:

Das Problem ist nicht die Frau, die sich zeigt wie sie will, sondern jene, die erst sagt, dass das eigentlich ganz toll ist – aber am Ende doch ein richtiges Maß braucht, um dem zu entsprechen, was sie selbst für sich zum Maß gemacht hat.

Der größte Feind des Feminismus ist sein Aber

Während es immer mal wieder leicht fällt herablassende Bemerkungen abzuschütteln, sind es die versteckt und doch gezielt gesetzten „aber“, die tief sitzen, die eigentlich nur wie eine „andere Meinung, die es zu akzeptieren gilt“, klingen und doch der größte Feind des Feminismus und der oft zitierten #Girlpower sind.

„Ich bin ja Feministin, aber…“ „Also ich mag ja schön Fotos, aber…“ „Klar, jeder darf sich zeigen, wie er möchte, aber…“ Aber was? Aber ich urteile trotzdem über dich? Aber ich werte dich dennoch herab? Aber es gibt dennoch einen Rahmen? Aber du hast dich trotzdem zu mäßigen? Aber ich lasse es mir nicht nehmen dennoch zu unterstreichen, dass dieses sinnliche Bild zwar in der Theorie okay ist, ich aber trotzdem ein neidvolles „wenn man es braucht“, hinterherraunen will?

Und nein, ich will dabei weiß Gott nicht sagen, dass Feminismus die komplette Zustimmung beinhaltet, dass eine Feministin nicht kritisieren darf, dass sie totalitär sein muss, dass sie undifferenziert zustimmen sollte. Ganz im Gegenteil. Aber wie wäre eine mit einer Differenzierung?

Warum sollte irgendjemand über meinen Körper diskutieren dürfen?

Man könnte jetzt meinen, dass ich mich sehr an diesem Thema aufreibe, dass ich es vielleicht persönlich nehme. Und ganz ehrlich? Klar tue ich das. Weil ich erstmalig nicht nur mit meiner Meinung, sondern öffentlich mit meiner Person und meinem Körper, wenn es nach einigen geht ja sogar mit meinem Wert und meiner Persönlichkeit dafür einstehe. Weil ich zur Sprache gebracht werde, weil ich mittlerweile kein Bild mit einem Dekolleté mehr posten kann, ohne dass es – egal ob positiv oder negativ – bewertet und diskutiert wird. (An dieser Stelle übrigens nur dazwischengeworfen: Ich habe die Brüste nun mal. Sie sind da, sie sind natürlich, sie sind größer als der Durchschnitt. Ja. Aber würdet ihr den gleichen Ausschnitt auch so analysieren, wenn er mit einem A-Körbchen gefüllt wäre? Euch im schlimmsten Fall sogar offended fühlen? Kaum oder?)

Und ja, manchmal macht es mich mürbe, manchmal verletzt es mich, wenn selbst enge Freunde oder Männer, die ich eigentlich sehr mag, plump über mich urteilen, manchmal halte ich die Absurdität nur schwer aus, in der vermeintliche Girlpower-Blogger erst auf den „Still not asking for it“-Zug aufspringen, in dem kein Ausschnitt dieser Welt eine Legitimation für Nötigung oder einem Zunahetreten wörde, um sich für ihre feministische Einstellung beklatschen zu lassen und dann drei Monate später Frauen für ihre Freizügigkeit bewerten, weil das gerade the topic ist.

Was dann hilft? Einen Schritt zurücktreten, auch wenn es manchmal schwerfällt, grinsen und denken: „Freunde, es sind zwei Boobs. Nur zwei Boobs. Meine Boobs. Nicht euer Endgegner.“

Es ist nicht ein ästhetisches Bild, das viel über eine Frau aussagt. Viel gesprächiger ist oftmals das, was eine andere Person, aus ihrer Perspektive, daraus machen will.

Alle Artikelbilder: Lina Mallon

Dieser Text erschien zuerst auf linamallon.de. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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