Mit Porn die Welt verändern?

Für die meisten von uns ist es völlig normal, auf dem Weg zur Arbeit, beim Kochen oder vorm Schlafen ein Hörbuch oder einen Podcast zu hören. Es gibt Audio-Apps, die Meditationen anleiten oder das Einschlafen fördern. Aber gilt das auch für Sex? Wie alltagstauglich ist Audio-Porn? Wir waren bei einer Audio-Porn-Aufnahme dabei.

Robin und Layana lernen sich auf einer Party kennen. Die beiden reden, flirten und stellen bald fest, dass das zwischen ihnen mehr als nur Freund*innenschaft ist. Sie beschließen, eine gemeinsame Bucket-List zu erstellen und ihren „ersten letzten Sommer” miteinander zu verbringen, bevor Layana für einen Job nach Amsterdam zieht. So weit, so cute. Was wie eine Love-Story aus dem Leben zweier Berliner Millennials klingt, ist das Intro einer Audio-Porn-Story der Regisseurin Charis Uster, bei deren Produktion ich hinter den Kulissen lauschen darf.

Als ich das Tonstudio in einem Loft in Kreuzberg betrete, habe ich das Gefühl, auf einer Berliner Hausparty gelandet zu sein: Es gibt Sekt und veganes Sushi, alle plappern durcheinander, stellen Fragen und lernen einander kennen. Die Tatsache, dass Publikum bei ihrer Audio-Porn-Aufnahme dabei sein wird, stört die Performer*innen nicht, obwohl beide zum ersten Mal in diesem Set-up am Mikrofon stehen. „Ich habe schon mal ein Hörbuch aufgenommen, komme aber eigentlich vom Theater und bin es daher gewohnt, Live-Reaktionen auf meine Arbeit zu bekommen”, erklärt mir Robin Astera (none/er). Der kurdische trans Aktivist und Schriftsteller arbeitet außerdem als Sexarbeiter und war die letzten 15 Jahre Teil verschiedener Queer- und Trans-BiPoC-Communities. Schon vor unser Begegnung hatte mir die Produktion Robins Instagram-Profil geschickt und mich damit vor die Frage gestellt: Wie viel Fiktion steckt in so einer Story?

Robin Astera (links) und Layana Flachs (rechts) bei der Aufnahme von „Der erste letzte Sommer“. Foto: Jasmine Bell

Auch seine Sprechpartnerin Layana Flachs (sie/ihr) trägt denselben Namen wie die Rolle, in die sie bei der heutigen Produktion schlüpfen wird. Die gelernte Sexualpädagogin, Beraterin und Make-up-Artist nimmt an diesem Tag zum allerersten Mal eine Audioporn-Story auf. Als ich sie frage, ob sie nervös sei, erklärt sie mir, sie habe vor allem Respekt vor den Sprechparts, das Stöhnen sei kein Problem. Das wäre ähnlich wie beim Gesang: ein kontrollierter Kontrollverlust. Mit dem Unterschied, dass beim Stöhnen niemand beurteilen könne, ob ihr Orgasmus nun gut oder schlecht sei.

Damit sie sich in hinter dem Mikrofon fallen lassen kann, muss sie sich vorher mit der Produktion, mit ihrem Storypartner Robin, dem Aufnahmeraum vertraut machen, alles weitere passiere dann ganz automatisch, denn die Person, die sie spielt, teilt nicht nur ihren Namen: „Die Layana in der Story hat einige Parallelen zu mir und meinem Leben”, erklärt sie. „Das macht es für mich als Einstieg deutlich leichter. Charis hat im Vorfeld mit uns über ihre Story und die Charaktere gesprochen und uns die Möglichkeit gegeben, auch ein paar eigene Ideen und Elemente einfließen zu lassen.”

Identifikation ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit von Regisseurin Charis Uster, die bei ihren Produktionen nicht nur Anweisungen aus dem Off gibt, sondern auch das Skript geschrieben hat. „Ich möchte die Aufnahmen so angenehm und authentisch wie möglich gestalten. Vielleicht liegt es an meinem noch jungen Alter, dass ich vor allem Geschichten erzähle, die im Hier und Jetzt spielen und Perspektiven abbilden, die mir selbst vertraut sind. Wer weiß, vielleicht interessiere ich mich in zwanzig Jahren für Sex im Weltall? Aber aktuell kann ich mich auf diese Weise am besten ausdrücken und schätze den Austausch mit den Performer*innen, die sich selbst in die von mir geschaffenen Situationen und Dialoge einbringen.”

ROBIN (IN EINER SMS): „Bist du bereit, den Sommer deines Lebens zu beginnen?“
LAYANA (IN EINER SMS): „Mehr als bereit…“
ROBIN (IN EINER SMS): „Dreh dich um…“
LAYANA ERZÄHLT
„Ich drehte mich um und plötzlich stand Robin da. Mit seinem breiten Grinsen auf dem Gesicht, bei dem sich kleine Lachfältchen rund um seine Augen und seitlich seines Oberlippenbartes abbildeten.“

Autorin und Regisseurin Charis Uster leitet die Aufnahme . Foto: Jasmine Bell

Nicht nur die Story und das Setting wirken wie aus dem Alltag gegriffen, auch das Medium lädt ein, Pornografie in diesen zu integrieren: „Ich höre manchmal eine Story im Bus oder in der Bahn auf dem Weg zu einem Date”, reflektiert Charis Uster ihr eigenes Verhältnis zu Audio-Porn. „Es entspannt mich total und versetzt mich schon mal die richtige Stimmung.” Oft hat man bei Porn die Assoziation im Kopf, dass sich alles um den Orgasmus dreht – sowohl bei den Performerinnen, als auch bei der Person, die die Story konsumiert. Charis Uster sieht in ihrer Arbeit als Porn-Producerin vor allem einen Zugang zur eigenen Sexualität, die für sie vor allem eine Energiequelle ist: „Sex ist ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit. Ich ziehe viel Kreativität und Selbstbewusstsein aus meiner Sexualität. Das klingt vielleicht cheesy, aber ich bin überzeugt davon, dass unsere Welt ein besserer Ort wäre, wenn mehr Menschen sich mit ihrer sexuellen Energie beschäftigen und sich auf ihre sexuelle Entwicklung einlassen – und vor allem, wenn sie Sex als Teil von sich betrachten und nicht von ihrem restlichen Leben abspalten.” Ein Sommertag auf dem Tempelhofer Feld ist für mich auf jeden Fall relatable – trotzdem frage ich mich, wie das nun genau von Statten gehen soll: Sex ohne Sex. Wie kommen die Performer*innen in die Mood, wenn es kein Licht, keine Musik, keine physische Interaktion gibt?

„Wir machen eine Aufwärmübung, die du gerne mitmachen kannst, danach müsstest du dann rüber in den Regieraum, damit Robin und Layana ungestört sind”, erklärt Lina Bembe (sie/ihr) mir, als wir uns gemeinsam in einen Kreis stellen, um unsere Körper auszuschütteln, tief ein- und auszuatmen und die Stimmbänder durch Summgeräusche zu lockern.

Redakteurin Marie Krutmann (mitte) im Gespräch mit Regisseurin Charis Uster (links) und Intimitätskoordinatorin Lina Bombe (rechts). Foto: Jasmine Bell

Die Intimitätskoordinatorin arbeitet selbst auch als Pornodarstellerin, Regisseurin, Pädagogin und Autorin. Sie hat in einer Vielzahl von Pornos mitgewirkt, die von Mainstream über verschiedene feministische Varianten bis hin zu DIY-Queer-Post-Porno reichen. Kurz gesagt: Sie weiß, worauf es ankommt. Bei der Aufnahme zu „Der erste letzte Sommer” sorgt Lina Bembe dafür, dass Robin und Layana sich durchgängig wohlfühlen. Oder in Robins Worten: „Lina ist unser Pitbull.”

Audio-Porn birgt zwar die Challenge, dass die Fantasie einzig und allein über die Stimmen angeregt wird, es lässt aber auch mehr Freiheiten zu, da nicht alles zu hundert Prozent perfekt sein muss: Das Wichtigste ist, dass es die Menschen berührt, sie fasziniert oder zum Nachdenken über die eigene Sexualität anregt. Lina Bembe und Charis Uster kommen beide ursprünglich vom Film und wissen daher, was sich mit viel Budget und gutem Set alles ermöglichen lässt. „Audio-Porn ist das beste Training für mich als Regisseurin, um in der Zusammenarbeit mit den Performerinnen wirklich das zu bekommen, was ich suche – weil die menschliche, emotionale Ebene nicht so stark vernachlässigt werden kann.”

„Stöhnt bitte beide jeweils nacheinander für eine Minute”, bittet Charis die beiden Performerinnen, nachdem sie den ersten Durchlauf ihres Dialogs beendet haben. Eine Minute ist ganz schön lang, denke ich und blicke zur Regie, die das Zeichen für die Aufnahme gibt: „Und Action!”

LAYANA (stöhnt): „Bitte… bitte ich will, dass du mich zum Kommen bringst, bitte.“
ROBIN: „Das klingt doch schon besser… Fühlt sich das gut an? Ich liebe es einfach, wie nass du wirst…Scheiße… Du bist klatschnass…“

Klatschnass? Irgendwie killt das Wort den Vibe. „Manchmal merkt man erst, was funktioniert, wenn es ausgesprochen wird”, stimmt Charis Uster mir zu und entscheidet spontan, „klatschnass” durch „sehr feucht“ zu ersetzen. Kein Problem.

Deutsch ist allerdings auch keine sonderlich hotte Sprache, vieles klingt schnell nach Wetterbericht oder Biologiebuch-Vokabeln. Ist Audio-Porn auf Deutsch eine extra Challenge?
„Ich hatte selbst lange Zeit nur Sex auf Englisch, selbst mit Menschen, die eigentlich Deutsch sprechen”, überlegt Charis Uster laut. „Ich glaube, wir sind es aus Filmen und Musik gewohnt, dass Englisch sexy klingt. Viele Menschen ziehen daraus auch mehr Selbstbewusstsein, weil sie durch die sprachliche Distanz etwas ausprobieren können. Ich selbst habe aber irgendwann festgestellt, dass ich es am attraktivsten finde, wenn Menschen in der Sprache Sex haben, die ihnen am vertrautesten ist.” German Porn sei nebenbei bemerkt auch einer der beliebtesten Kinks, nach dem auf Porn-Websites wie cheex gesucht wird.

„Ich finde, deutscher Dirty Talk wird unterschätzt”, ergänzt Lina Bembe unser Gespräch. Es kommt immer darauf an, mit welcher Betonung und mit welchen Emotionen in der Stimme etwas gesagt wird, damit die Fantasie angeregt wird – das bestätigen die beiden Sprecher*innen, die gerade tatsächlich abwechselnd jeweils eine Minute lang auf Deutsch stöhnen.

Performer Robin Astera zeigt, wie man sich vor einer Aufnahme auflockert. Foto: Jasmine Bell

Ähnlich wie Lina Bembe, die vor ihren Erfahrungen in der Pornoproduktion Philosophie studiert hat, kam auch Charis Uster von der Uni zum Porn. „Während und nach meinem Studium saß ich am Schreibtisch und habe wissenschaftliche Arbeiten über Gender-Rollen geschrieben, die am Ende kein Mensch gelesen hat. Ich wollte in die Film– und Audioproduktion, um Medien zu nutzen, die viele Menschen einfach nutzen können, ohne Vorwissen oder die Zugehörigkeit zu einer kleinen elitären intellektuellen Gruppe.”

Mit Porn die Welt verändern? Warum nicht. Denn auch wenn es nicht darum geht, eine Form der Sex Education zu leisten, wie mir die beiden versichern, fördert das Sprechen und Nachdenken über Sex die Enttabusiserung und schafft mehr Räume, um mit einander und vor allem mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Audio-Porn kommt ohne eindeutige Körperbilder und Sexismen aus und lädt die Zuhörenden ein, selbst Teil der Fantasie zu werden oder diese aktiv mitzugestalten. „Und Action!”

Neugierig geworden? Dann könnt ihr euch das Ergebnis von „Der erste letzte Sommer” HIER anhören. Mit dem Code EDITIONF habt ihr sieben Tage kostenlosen Zugang zu Videos und Audios (danach 9,90€ pro Monat – jährliche Abbuchung von 118,80 Euro, Kündigung in der Probezeit möglich ohne anfallende Kosten).

Über die Regisseurin Charis Uster
Charis Uster ist eine multidisziplinäre Filmemacherin, Kreativstrategin und bei CHEEX als Production and Licensing Lead verantwortlich für alles, was mit Film und Sound zu tun hat. Für Erika Lust und XConfessions schrieb und drehte sie erotische Kurzfilme. Als Mitbegründerin von nftreats.art, einem Blockchain-Start-up, schat sie einen zensurfreien Raum für Erotikkünstlerinnen und Performerinnen. Charis wurde von Wired Italy als eine von zehn aufstrebenden Filmemacherinnen unter 28 Jahren aufgeführt.

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