Foto: Frauen-Karriere-Index

Barbara Lutz: „Chef*in zu sein, heißt nicht Menschen zu verwalten“

Barbara Lutz hat den Frauen-Karriere-Index gegründet. Sie erklärt, wie Frauen mehr Gehalt bekommen und was zu tun ist, wenn man unglücklich im Job ist.

 

Erfahrungen teilen und die richtigen Fragen stellen

Barbara Lutz findet: Männer und Frauen sollten gleichermaßen Karriere machen können, und zwar in einem Unternehmen, das ihnen die Möglichkeit dazu gibt. Mit dem von ihr gegründeten Frauen-Karriere-Index nimmt sie die Karriereentwicklung von Frauen in den Fokus und will in männerdominierten Unternehmen ein Umdenken anstoßen. Das Management-Instrument ermöglicht es, die Frauenförderung einer Organisation klar zu messen und zu verbessern, so dass die Unternehmen Maßnahmen für Chancengerechtigkeit ergreifen können, die nachhaltig wirken. Die Auszeichnung schafft zudem Transparenz für Bewerber*innen, um sich ein Bild von den Diversity-Anstrengungen eines Unternehmens zu verschaffen. Barbara Lutz wünscht sich, dass weiblich besetzte Führungspositionen endlich auch in Deutschland zur Normalität werden. Im Juni wurde Barbara Lutz von der EDITION F-Community und der Jury ausgezeichnet als eine von 25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren“.

Das Interview führte Carina Kontio vom Handelsblatt.

Frau Lutz, wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?

„Durch meine internationale Tätigkeit in den USA, Frankreich oder England war ich immer von verhältnismäßig vielen weiblichen Führungsfrauen umgeben, die schon in den 90er-Jahren Rolemodels für mich darstellten. Warum? Weil sie sich schon damals mit der allergrößten Selbstverständlichkeit gegenseitig unterstützt haben. Eine von ihnen war für mich allerdings besonders beeindruckend: Shelly Lazarus, CEO von Ogilvy & Mather (1996) und Chairman bis 2008. Sie verkörperte genau das, was ich als Führungsperson erstrebenswert finde: Top Level, aber dennoch menschlich, authentisch und nahbar.“

Was konkret faszinierte Sie an ihr?

„Über Shelly Lazarus wird die Geschichte erzählt, dass sie innerhalb eines kurzfristig einberufenen Business-Meetings mit sehr wichtigen Kund*innen vorab klargestellt hat, dass sie den Musikaufritt ihres Kindes an diesem Tag auf keinen Fall verpassen dürfe. Dementsprechend müsse sie die Sitzung um 17 Uhr verlassen. Dem Vernehmen nach hat sie das dann tatsächlich auch getan. Was heute als machbar erachtet wird, war damals noch dazu im Agenturumfeld ein absolutes Novum. Eine Top-Führungskraft einer führenden Netzwerkagentur, noch dazu mitten in New York, machte eigentlich stets als Letzte das Licht auf dem Flur aus. Das vorzeitige Verlassen des Meetings symbolisierte für alle Frauen daher eine Art Befreiungsschlag. Eine Top-Managerin, die den Mut besaß, private Prioritäten zu setzen und offen auszusprechen, hat mich inspiriert. Ob diese Geschichte aber wirklich so stimmt, weiß ich nicht. In jedem Fall wurde sie weltweit in allen Büros voller Bewunderung herumerzählt.“

Ich unterstütze meine Mitarbeiter*innen und Kollegen*innen in schwierigen Situationen, indem…?

„… ich mich klar zurücknehme, zuhöre und versuche das Thema zu verstehen, bevor ich in den üblichen Beratungsmodus verfalle. Mit dem nötigen Abstand und den richtigen Fragen ist man dann auch ein gutes Sounding-Board. Als einmal eine Mitarbeiterin zu mir sagte: „Du bist doch ein alter Hase, kannst Du mir vielleicht einen Rat geben?“ – musste ich schon schlucken, schließlich war ich gerade erst 40 Jahre alt geworden. Aber sie hatte vollkommen Recht, meine Erfahrung einzufordern. Denn ich sehe es auch als meine Aufgabe, Erfahrungen zu teilen und die richtigen Fragen zu stellen.“

Eine Kollegin/Mitarbeiterin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie ihr?

„Diese quälenden Fragen und Unsicherheiten kennen wir alle. Sie haben aber keinen Grund, denn wenn wir nicht wirklich gut wären, hätten wir doch nicht den Erfolg, oder? Also mehr Selbstbewusstsein. Hier gilt einfach die Tatsache des Beweises. Mein zusätzlicher Rat: Versuchen Sie sich selbst immer wieder zu bestätigen, wie gut Sie in Ihrem Metier sind. Versuchen Sie, eine Frau zu sein, die man respektiert, wie sie sich gemäß ihrer Werte und Wünsche entsprechend artikuliert und weiterentwickeln möchte.“

Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen ist für mich…?

„… wenn es überhaupt kein konstruktives Feedback gibt. Denn nur damit erhält der/die Mitarbeiter*in Wertschätzung für die geleistete Arbeit, auch wenn es mal kritisch sein sollte. Alles andere ist ignorant, arrogant und manchmal auch nur feige und konfliktscheu.“

Feedback ist für mich…?

„… unmittelbar und direkt und immer eine ehrliche Prüfung wert. Außerdem ist es für die jüngere Generation eine Selbstverständlichkeit: Alles wird bewertet und Feedbacks werden zurecht eingefordert – da können vor allem die Traditionsunternehmen schon mal für die Zukunft üben.“

Über ihre Erfolge sollten Frauen…?

„… sich freuen, darüber reden und sich gegenseitig stärken. Nicht zu unterschätzen sind hier natürlich auch die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke und modernen Kommunikationswege, die Frauen durchaus nutzen sollten.“

Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?

„Dabei immer denken: es steht mir zu, und ist nichts Unrechtes. Aber immer bestimmt in der Sache und freundlich im Ton. Die eigene Gehaltsverhandlung ist auch eine gute Prüfung dafür, abzuschätzen, wie man zukünftige Verhandlungen für das Unternehmen hinbekommt und dabei Standpunkte durchsetzen muss. Gute Verhandlungstechniken, ob für das eigene Gehalt oder das Unternehmen, gehören für eine Führungskraft einfach dazu. Also besser gleich damit starten und das Beste geben.“

Wie?

„Mit guter Vorbereitung. Auf Fragen wie: Auf welchen Argumenten fußt meine Forderung, kenne ich die Verhandlungstricks und Interessenspunkte meines Gegenübers? Habe ich Vergleichswerte? Darüber können sich Bewerber*innen heute auch schon recht ordentlich online und über entsprechende Foren oder Netzwerke informieren. Noch eine Faustregel für die jungen Berufseinsteigerinnen: Wer sein erstes Gehalt schlecht verhandelt, läuft Gefahr, diese Position über viele Ebenen mitzuschleppen. Also liebe Damen, mehr Mut beim Verhandeln!“

Verbündete und Mentoren finde ich, indem….?

„… ich Kontakte pflege, Fragen stelle, neugierig bin und mich digital, international und physisch vernetze. Ich versuche authentisch und verlässlich zu sein, folge meinem Bauchgefühl und gebe auch ohne Hintergedanken etwas ohne sofort einen ROI (Return on Investment, Anm. d. Red.) zu erwarten. Beruflich sieht das ein wenig anders aus. Ich vernetze mich mit Gleichgesinnten, also Entscheider*in, die meine Perspektive auf die Dinge teilen und sie bestenfalls gemeinsam mit mir weiterentwickeln möchten.“

In Konfliktsituationen bin ich…?

„… überlegt und kühl – erst danach kommt der Ärger und manchmal auch die Wut.“

Pannen sind…?

„… einfach nur Pannen. Im Idealfall haben sie einen Lerneffekt.“

Wie gehen Sie mit Stress um?

„Akzeptiere ich und suche Freiräume.“

Nein sagen sollten Frauen zu…?

„… all denjenigen, die immer alles besser wissen und zu Kommentaren über Berufstätigkeit, Kinder, Verpflichtung oder die eigenen Erfolge neigen. Kurzum: zu allen Menschen, die ihnen nicht gut tun. Es kann und muss ihnen egal sein, was diese Leute über sie denken und sagen. Wichtig ist, dass man sich wohlfühlt und Erfüllung findet, in dem was man tut. Denn zwischen allen negativen Stimmen gibt es auch immer die Frauen und Männer, die einen unterstützen und Mut zusprechen – an denen sollte man sich orientieren.“

Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?

„Ich habe jeden meiner Jobs sehr gerne gemacht, wenn auch die Kultur der Organisationen nicht immer meinem Verständnis entsprochen hat. Aber es gibt einen Rat, den ich sehr gut finde. Einmal im Jahr, auch im glücklichen Job, diente er als Referenzwert: ‚Love it, change it or leave it.‘ Ich handle entlang des Mottos ‚love it‘, und wenn dies nicht gegeben ist und ich absehbar auch nichts daran ändern kann, muss ich die Konsequenzen ziehen.“

Anderen Chef*innen würde ich gerne sagen, …?

„… Chef*in zu sein heißt heute noch mehr denn je, sich nicht mit dem Status Quo zufrieden zu geben, sondern die Herausforderungen der Zukunft anzugehen, zu inspirieren und zu motivieren. Insbesondere ein offenes und ideenförderndes Umfeld zu schaffen, alte Strukturen aufzubrechen und Neues zu wagen. Warum? Denn nur mit dieser Haltung werden sie es schaffen, neue Ideen für ihr künftiges Geschäft zu generieren und es weiterzuentwickeln. Denn: Chef*in zu sein, heißt nicht Menschen zu verwalten, sondern mit ihnen zu gestalten. Diese Haltung und Fähigkeit könnte für den Standort Deutschland in den nächsten Jahren entscheidend sein.“

Frau Lutz, vielen Dank für das Interview.

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special „Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible, die ihr euch jeden Donnerstag anhören könnt.

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