Foto: Kate Ferguson I Unsplash

Zwischen Unsichtbarkeit und rosa Einhornstatus: Der Alltag einer Bauunternehmerin

Was ich als Unternehmerin in der Baubranche erlebe und warum Gleichstellung manchmal auch verhandelbar ist.

 

Hollywood vs. Realität 

Kennst du Officer Judy Hops aus Zoomania? Ich habe diesen Film
mit meinem Sohn im Kino gesehen. Judy Hops ist eine süße kleine Hasendame, die
als erster Hase überhaupt zur Polizistin ausgebildet wird. Und dann auch noch
als Frau. Die kleine Häsin lässt sich nicht entmutigen, denn es ist ihr größter
Traum. Wie ernüchternd, als sie feststellen muss, dass niemand sie ernst nimmt.
Im Gegenteil: sie wird regelrecht übersehen, überrannt, zur Seite geschoben und
übergangen. Aber sie gibt nicht auf, beginnt das Doppelte zu leisten, zu
kämpfen und sich durchzuboxen und … gewinnt am Ende.


Soweit zur Hollywoodstory. Aber ich habe dieses Bild nicht
umsonst an den Anfang gestellt, denn ich erkenne deutliche Parallelen zu meiner
beruflichen Entwicklung darin wieder. Ich bin Unternehmerin in der Baubranche
und es ist eine Reise mit vielen merkwürdigen aber auch lustigen Erlebnissen,
die zeigen, dass die alten Denkmuster und Vorstellungen trotz Emanzipation noch
nicht von gestern sind und Frauen eigene Strategien brauchen um sich zu
behaupten. 

„Das bloße kopieren von Männern bringt dich nicht weiter.“

Nancy Nielsen, Unternehmerin am Bau. Quelle: Nancy Nielsen 

Der große Traum

Auch ich habe mal mit einem großen Traum angefangen: die
Firma meines Vaters übernehmen. Heute, fast 8 Jahre später, denke ich manchmal,
ich war ganz schön naiv. Ich habe mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht,
ob und wie ich mich durchsetzen kann, welche Herausforderungen da auf mich
warten. 

Für mich war das Geschlecht im Beruf überhaupt kein Thema, schließlich
ist meine Generation so erzogen worden, dass Frauen alles können.
Aber immer noch
gibt es Arbeitsbereiche die praktisch frauenfrei sind. Der Bau gehört definitiv
dazu. 

Bezogen auf alle Branchen sind laut dem Mikrozensus von 2012 nur 24 % der Unternehmen mit
Mitarbeitern in Frauenhand und davon nur etwas mehr als 2 von 100 Positionen in der Altersgruppe zwischen
25 und 34 (vgl. Auszug aus Wirtschaft und Statistik, (c) Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013). Da kann man sich gut vorstellen, wie viele dann noch tatsächlich auf
die Baubranche entfallen. Frauen als Chef am Bau, da bist du entweder
unsichtbar oder wirst beguckt wie ein rosa Einhorn.

Zack: Unsichtbar

Eine typische Situation, in der ich mich absolut unsichtbar
fühlte, war zum Beispiel, als ich mit meinem Außendienstler Baustellen
besichtigte und wir dort von einem unbekannten Gegenüber angesprochen wurden. Dessen
Blick ruhte sofort auf meinem Mitarbeiter. Automatisch richtet ein Mann das
Wort an den anderen. Augenscheinlich kann nur er der Chef sein. Schließlich ist
die Frau jünger und – oh mein Gott – auch noch langhaarig. Wenn ich
dann die Frage beantwortete zuckte der Blick verwirrt zwischen uns hin und her.
Ich wurde oft nur als Sekretärin oder Assistentin eingeordnet. Manchmal auch
als Tochter. Ich habe es auch schon erlebt, dass ich, selbst als klar war, dass ich
die Chefin bin, wie ein vorlautes Kind immer wieder übergangen wurde im
Gespräch. Was dann natürlich auch unangenehm für meinen Mitarbeiter war. Und auch technische Fragen werden im Beisein meiner männlichen Monteure sehr selten an
mich gerichtet.

Die rosa Einhorn Situation

Und dann gibt es noch die „rosa Einhorn Situationen“, in denen
ich dann  so viel Aufmerksamkeit bekomme, dass es schon absurd wird. Die Aufmerksamkeit gilt dann nur
leider eben nicht dem, was ich kann, sondern lediglich der Tatsache, dass ich eine Frau bin.

Eine besonders lustige Episode:  Als ich mit einem
Einkäufer über längere Zeit zu Angebot und Beratungstermin mailte und er
mich konstant als „Herr Nielsen“ anschrieb. Ich variierte dann meine Grußformel
von „Nancy Nielsen”, zu „Frau Nielsen”, zu „Unternehmerin“. Er blieb hartnäckig bei „Herr Nielsen”. Es kam der Tag des Termins und er war völlig sprachlos, dass ich
eine Frau bin. Sogar mitten im Gespräch kam dann „ich komm immer noch nicht
drüber weg, dass sie eine Frau sind“, gefolgt von einem hastig hinterher geschobenen
„also so meine ich das natürlich nicht“. Er hat sich um Kopf und Kragen
gestammelt. Und das von einem Mann, der in etwa gleichalt war. Ich fand das sehr
lustig, auch wenn ich irgendwann nicht mehr wusste, was ich noch sagen sollte.

„Heute dürfen wir keinen versauten Witze machen, wir haben eine Frau dabei.





Bauleiterinnen
sehe ich öfter, aber Fachhandwerkerinnen als Vertreterin der eigenen Firma habe
ich bisher noch nicht erlebt. Deshalb wundert es mich dann auch nicht, wenn die
Männer völlig aus dem Häuschen sind. Ein Bauberatungsvorsitzender meinte zur
lustigen Männerrunde einmal: „Heute dürfen wir keinen versauten Witze machen,
wir haben eine Frau dabei.“ Einer der Männer zog mir auch den Stuhl bereit und
half mir beim Setzen. Ich wurde wirklich mit ausnehmender Freundlichkeit behandelt,
aber doch eben auch wie etwas ganz Außergewöhnliches.

Junge Frauen, ältere Männer

Aber die größte Herausforderung, die ich meistern musste,
waren nicht meine Kunden oder die Kontakte zu anderen Handwerkern, sondern die
Führung meines eigenen Teams. Als ich begonnen habe war ich 31 und damit 10
Jahre jünger als der jüngste meiner männlichen Mitarbeiter. Und über 20 Jahre
jünger als der älteste. Und im eigenen Betrieb bist du kein rosa Einhorn und
auch nicht unsichtbar. Da zählt nur was du kannst. Und manchmal nicht mal das.
Je nach Herkunftsgeschichte tun sich ältere Männer schwer damit, wenn junge
Frauen ihre Chefs sind. 

Nancy Nielsen auf dem Weg zur Baustelle. Quelle: Nancy Nielsen 

Doch wie schafft man es, sich unter
Männern zu behaupten ohne seine Weiblichkeit zu verlieren oder sich tagsüber
eine Maske zuzulegen? 

Was du auf keinen Fall tun solltest, ist dich zum
Mann zu machen. Weder äußerlich, noch innerlich. Manchmal habe ich das versucht,
aber dann war ich nicht authentisch und das wirkte nie. Authentizität, Kompetenz
und Humor sind der beste Weg um in jedem Business erfolgreich zu sein. Auch als
Frau allein unter Männern.

Mach Dir die Hände schmutzig

Kompetenz erwirbt man sich nur durch tun. Mittlerweile habe
ich 12 Mitarbeiter und ich muss mich um vieles mehr kümmern als nur die
Baustellen. Aber mir ist es immer noch wichtig an der Technik und dem Handwerk
dran zu bleiben. Mindestens einmal im Jahr gehe ich auf die Baustelle und
arbeite mit. Wenn Not am Mann ist sowieso. Ich packe mit an, ich bin mir für
keine Arbeit zu fein. Keiner kann dich übersehen, wenn du gut bist in deinem Job.

„Du kannst nicht erwarten wie eine Frau behandelt zu
werden, wenn du dich wie ein Mädchen benimmst.”

Bleib frech

Eine erfolgreiche Waffe ist mein Humor. Mit einem frechen
Satz und einem netten Lächeln komme ich fast überall hin. Die Gleichstellung
ist dann manchmal auch verhandelbar.

Gehen lassen ohne Groll

Was meine eigenen Mitarbeiter angeht: Ich musste lernen,
dass man nicht jeden von sich überzeugen kann und man nur mit Menschen arbeiten
sollte, die dir eine Chance geben zu Überzeugen. Der Stärkste und Schlauste
scheitert ohne ein Team, das hinter ihm steht. Es gibt unüberwindbare Grenzen, das muss man
akzeptieren und diese Personen ohne Groll gehen lassen.

Liebe Dein Business

Und noch etwas hat mir all die Jahre geholfen: meine
absolute Begeisterung für diese Arbeit. Ich liebe mein Produkt, ich liebe die
Aufgaben und ich liebe die Vielfältigkeit. Vom Arbeitsschuh bis
zum Lackschuh ist alles dabei. Und das spüren auch meine Mitarbeiter, Kunden
und Geschäftspartner.

Auch Officer Judy Hops hat am Ende nicht Erfolg, weil sie
sich männlicher macht oder zum Raubtier wird, sondern weil sie authentisch ihre
Stärken nutzt, ihr Handwerk beherrscht und sich nicht entmutigen lässt von
kleinen Rückschlägen. Es hat nämlich auch seine guten Seiten auf dem Bau als
Frau: Ich brauche nicht einmal fünf Minuten um eine Handvoll Männer zusammen zu trommeln,
die für mich die schwere Handschlagschere abladen.

Nancy Nielsen, 36 Jahre ist Chefin und Projektanschupserin bei einem Unternehmen in
der Baubranche auf dem Weg in die Digitalisierung. Ihren Videoblog zu diesem Thema findest Du hier

Mehr bei EDITION F

Gleiche Chancen für Frauen und Männer erst 2095? Weiterlesen

Shonda Rhimes: Sag „ja“ zu allem, was dir Angst macht! Weiterlesen

„Man entwickelt erst im Laufe der Zeit das Know-how und das Selbstbewusstsein, das als Chefin nötig ist“ Weiterlesen

Anzeige