Foto: Quelle: Redaktion

Make America Nasty Again! Warum ich Hillary Clinton gewählt habe

Wenn man in den USA geboren wird, erhält man automatisch die Staatsbürgerschaft. Mein Glück also, dass meine Eltern vor 21 Jahren in New York gelebt haben. Denn ich konnte bei dieser Wahl per Brief mit entscheiden.

 

Dass ich ein Kreuz setzen würde war klar – nur für wen?

Dieses Jahr durfte ich zum ersten Mal wählen. Nicht hier, zu Hause in Deutschland, sondern in meinem Geburtsland, den USA. Während um mich herum die Diskussionen entbrannten, kein Kurs an der Uni ohne den Namen „Trump” vorbeiging und die WG-Parties von Fun-Facts, Gossip und Lästereien über den amerikanischen Wahlkampf überschwemmt wurden, wartete in meiner Wohnung ein großer gelber Umschlag auf mich.

Klar, ich musste mich nochmal in die Kandidaturen für den Senat reinfuchsen, aber auch das war schnell entschieden. Der Umschlag lag  auf meinem Schreibtisch im Chaos zwischen Uni-Texten, Kalligraphie-Ausflügen und Mandalas und wartete auf mein Kreuzchen. Ich habe meine Unterlagen, gemeinsam mit meinen Schwestern, schon im Mai beantragt – man weiß ja nie, wie lange die Bürokratie sich Zeit lässt. Und siehe da: Es vergingen tatsächlich einige Wochen, wenn nicht Monate, bis der große gelbe Umschlag in Deutschland ankam. Dabei war schon klar, wer mein Kreuzchen bekommt, bevor ich den Umschlag überhaupt beantragt habe. Beziehungsweise, wer ihn nicht bekommt.

Mr. Trump finde ich – surprise surprise – fürchterlich. Sein Wahlprogramm gruselt mich regelrecht, von seinen Kommentaren ganz zu schweigen! Doch inzwischen verstehe ich, weswegen sich viele Amerikaner für ihn begeistern. Amerika ist vielmehr ein Kontinent als ein Land und zwischen New York und L.A. gibt es unzählige Menschen, die sich von den bisherigen Eliten missverstanden fühlen und sich gleichzeitig in Donald Trumps radikaler und aggressiver Art wiederfinden.

„Er sagt zwar Dinge, die nicht auf Fakten beruhen und widerspricht sich selbst, aber er redet wie ein normaler Mensch.”

Dieses Zitat eines amerikanischen jungen Mannes hat mich zum Stutzen gebracht. Doch beschreibt es meiner Meinung nach gut, woher die Sympathie vieler Amerikaner kommt. Sie wollen sich mit dem Mann an der Spitze identifizieren können.

Mit Gary Johnson wäre meine Stimme verschenkt, wenn man so will. Der Kandidat der libertären Partei geht in der deutschen Presse fast gänzlich unter. Zwar sprechen verschiedene Prognosen ihm fast 13 Prozent zu, doch glaube ich, dass ich mit einer Wahl für ihn meine Stimme wohl eher Trump schenken werde.

Also bleibt nur Hillary Clinton.

Hillary also – aber nur als Ausschlussverfahren? Nö!

Ich wähle im Bundesstaat New York, weil ich dort geboren bin. Es ist das erste Mal, dass ich drüben wählen darf und ich finde es super wichtig, von diesem Recht gebrauch zu machen! Einige meiner Freundinnen dort wählen nicht, weil Clinton dort wohl sowieso schon genug Stimmen hat. Außerdem ist in den USA heute nicht frei, sondern die Leute müssen normal zur Arbeit, zur Schule oder zur Uni – im Unterschied zu den Wahlsonntagen in Deutschland, wo die meisten Menschen nicht arbeiten. In der Sicherheit „Hillary hat schon genug Stimmen“ wollte ich mich nicht wiegen. Ich wollte meine Wahl aber nicht „nur“ über das Ausschluss-Verfahren treffen. Und ich wollte mein Stimme auch nicht aus dem Grund abgeben, „nur” weil Hillary eine Frau ist. Es geht hier schließlich um Politik und nicht darum, „the first ever irgendwas” zu haben.

Clinton scheint zu wissen, was sie tut

Waffengesetze, keine Folter, Guantanamo schließen, Flüchtlinge aufnehmen, Muslime einreisen lassen, Equal-Pay, Ehe für alle, Abtreibung, Klimaabkommen … ich finde mich in Hillary’s Wahlprogramm weitgehend wieder.

Trotzdem fühlt sich die Entscheidung komisch an. Vielleicht, weil ich im Moment und für die nächsten zwei Jahre bestimmt nicht in den Staaten leben werde. Vielleicht, weil die Wahl auf allen Kanälen inzwischen todgeredet ist. Oder vielleicht auch, weil mir durch den Wahlkampf niemand mehr so richtig sympathisch vorkommt. Es scheint hier nicht mehr um Politik zu gehen, sondern darum, den jeweils anderen möglichst schlecht darzustellen. Was anscheinend oft vergessen und somit beiden Kandidaten zum Verhängnis wird ist, dass sie am Ende des Tages auch „nur” Menschen sind. Politiker, ja, aber auch Menschen! Hillary engagierte sich schon als Studentin politisch, widmete ihr ganzes Leben bisher einer politischen Karriere. Daher sind die Vorwürfe, dass sie zu sehr in den Eliten verstrickt ist, verständlich. Auch der E-Mail-Skandal hat natürlich meine Aufmerksamkeit bekommen. Doch nachdem das FBI die Ermittlungen nun doch wieder eingestellt hat und die Spekulationen über die Inhalte sich für mich mehr nach Verschwörungstheorien anhören als alles andere, konnte mich auch dieser Fauxpas nicht dazu bewegen, meine Wahlentscheidung zu ändern. Weiter wurde zu Beginn ihrer Kampagne versucht, ihr aus Bill’s Affären einen Strick zu drehen. Doch auch hier hat sie aus meiner Sicht eine besondere Klasse gezeigt, indem sie sich davon nicht verunsichern ließ, sondern betonte, wie wichtig es sei, verzeihen zu können.

„People can judge me for what I’ve done. And I think when somebody’s out in the public eye, that’s what they do. So I’m fully comfortable with who I am, what I stand for, and what I’ve always stood for.”

„Make America Nasty Again“

Nach vielen vielen Klicks im Internet, Youtube-Videos und Diskussionen, bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, dass eine Stimme für Hillary Clinton nicht einfach nur das kleinere Übel ist. Der Wahlkampf war heftig, nasty, wenn man so will. Und Anstrengend. Alleine das und wie sie ihn gemeistert hat, zeigt schon einen großen Teil ihre Stärke. Klar hat sie Fehler gemacht, auf ihrem Weg an die Spitze und Entscheidungen getroffen, die man kritisieren kann und muss. Doch wer ist fehlerlos? Ich mag ihre Ausstrahlung, sie ist schlagfertig und intelligent. Ihre Worte und Handlungen wirken überlegt und sie hat viel Erfahrung. Und schließlich hat mich auch das, wofür sie als Politikerin einsteht, überzeugt. Ist das nicht das, worum es bei so einer Wahl eigentlich gehen sollte?!

Und obwohl ich „the first female/black/super unique anything”-Argumente nicht wirklich mag, stimmt es wohl doch, dass ihre Vorbildfunktion für viele junge Frauen und Mädchen beudetsam ist ist und der amerikanischen Gesellschaft sehr gut tun wird.

In diesem Sinne: Let’s make America nasty again!

Mehr bei Edition F:

Großmutter, Nasty Woman und Hosenanzüge – der Wahlkampf von und mit Hillary Clinton Weiterlesen

Und jetzt? So würde ein Wahlsieg von Trump die USA verändern Weiterlesen

Eine Frau für Trump: Warum Tricia Cunningham weiter für ihn Wahlkampf macht. Weiterlesen

Anzeige