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„Leg endlich das Handy weg” – wie das Smartphone unsere Freundschaften zerstört

Das Smartphone ist zu unserem ständigen Begleiter geworden. Warum zur Hölle können wir es nicht mal für zehn Minuten aus den Augen lassen, wenn wir uns mit guten Freund*innen treffen?

Nur mal schnell die neuen Nachrichten checken …

Während ich den Milchschaum meines frisch zubereiteten Cappuccinos probiere und durch die großen Fenster des Cafés auf die durchnässte Torstraße blicke, kommt eine junge Frau mit dunkelblonden langen Haaren, schwarzer Lederjacke, das iPhone in der einen und die Handtasche in der anderen Hand, lächelnd auf die Eingangstür zu. Wochen sind vergangen, seitdem ich Lisa das letzte Mal gesehen habe  –  seitdem sie mit Jonathan zusammen ist, verbringen wir wenig Zeit miteinander.

Warum muss Lisa jede Minute alles mitkriegen wollen, was sich um ihr digitales Abbild dreht? Warum ist sie mit halbem Ohr in unserer Unterhaltung, aber mit Augen und Gedanken auf dem Screen, auf dem sie, in der Hoffnung, ich würde es nicht bemerken, die E-Mail von der Kollegin, die Nachricht des Freundes oder der Mutter überfliegt? Smartphones sind doch wohl nicht wie eine unkontrollierbare Urgewalt über unsere Gesellschaft hineingebrochen, der wir jetzt hilflos ausgeliefert sind. Oder doch?

Das Handy während einer Unterhaltung zu einem Zweck nutzen, der die Unterhaltung nicht bereichert, stört mich sehr. Meinen engsten Freundinnen verzeihe ich dieses teenagerhafte Verhalten oft, ein Tinder-Date wäre für mich ziemlich schnell beendet, wenn mein Gegenüber schon nach zehn Minuten sein Handy checkt. Als total unhöflich würde ich ihn abstempeln und sofort seine Nummer löschen. 

Noch nie vom Flugmodus gehört?!

Mit Lisa eine Unterhaltung zu führen, ohne ständig von ihrem vibrierenden und aufleuchteten Handy unterbrochen zu werden, ist schwer. Lisa kann ihr Handy nicht im Flugmodus in ihrer Handtasche lassen – auch nicht für eine Stunde. Das passiert höchstens mal, wenn sie irgendwo interviewt wird oder im Meeting sitzt und wirklich ungestört bleiben muss. Unsere gemeinsame Kaffeepause jedoch zählt für sie als Freizeit, da muss das Handy gleich neben der Kaffeetasse auf dem Tisch liegen. Manchmal dreht sie es auch um, mit dem Screen auf der Tischoberfläche. 

Hat sie denn den Flugmodus des Iphones noch nicht entdeckt, der es ermöglicht, das Handy mit dem Rücken auf dem Tisch liegen zu lassen, ohne dass es aufleuchtet oder vibriert? Wahrscheinlich würde in dieser Position ihr Zeigefinger zu sehr der Versuchung ausgesetzt sein, sich doch Richtung Home-Button zu bewegen und diesen vielleicht doch nur ganz kurz anzutippen, um die verschiedenen Notifications einem kurzen und kritischen Blick zu unterziehen: „100 Likes für meinen neuen Instagram-Post, das ist doch schon mal gut. Aber wieso hat ihn eigentlich Jonathan noch nicht geliked? Er hat auch noch nicht geschrieben, was macht der jetzt überhaupt die ganze Zeit? Nachrichten in der Familien-Whatsapp-Gruppe, unwichtig, erstmal wegwischen, das kann ich mir später anschauen.”

Kaffee für den Instagram-Feed

Sie schenkt mir ungefähr fünf Minuten ihrer Aufmerksamkeit bis sie das erste Mal zum Handy greift, um ein Foto unserer noch fast vollen Cappuccinos zu machen, die liebevoll auf einem Holzbrett in dunklen Keramiktassen angerichtet sind. Das Foto auf Instagram zu bearbeiten, sich super coole Hashtags zu überlegen und das Bild zu posten hebt sie sich glücklicherweise für später auf. Sie wartet auf den Moment, in dem ich mich auf die Toilette begebe. Das gibt ihr gute fünf Minuten, um ihre dreitausend Follower*innen über ihren aktuellen Tagesabschnitt auf dem Laufenden zu halten.

Ihr Handy wird Bestandteil von fast jedem Gesprächsthema. Geht es um gemeinsame Freunde, checkt sie schnell nochmal, wie deren letzte Urlaubsbilder auf den sozialen Netzwerken ankamen oder was genau ihre letzte Korrespondenz beinhaltete. Reden wir über ihre Erlebnisse, unterstützt sie diese bildhaft mit den besten Fotos, die ihre Bildergalerie herzugeben hat. Nach ungefähr der Hälfte unserer Unterhaltung fällt ihr ein, dringend auf eine von Jonathans Nachrichten antworten zu müssen. „Sorry, aber ich muss hier echt mal kurz antworten”, sagt sie mir und hämmert auf der mobilen Tastatur herum.

Mir reicht´s! 

Anstatt selbst mein Handy aus der Handtasche zu ziehen, um diesen peinlichen Moment zu überbrücken, starre ich sie demonstrativ an und warte bis sie zu Ende getippt hat. Trotz des Dopamins, das sich gerade in ihr ausgebreitet hat, wird ihr mein Blick schnell unangenehm und nach etwa einer halben Minute legt sie ihr Handy mit dem Screen auf die Tischplatte, um nicht wieder von der Anziehungskraft des Home-Buttons überwältigt zu werden.

Wenn ich ihr aber sagen würde, es würde sich nicht gehören, während einer Unterhaltung sein Handy zu benutzen, würde sie mir nur widerwillig entgegen: „Ich benutze es ja gar nicht, es liegt ja hier nur so, falls ich schnell was nachgucken muss.“ Eine der elementarsten Höflichkeitsregeln hat sie bereits vergessen. Schon allein die Tatsache, dass das Handy sich in ihrer (und meiner) Sichtweite befindet, lenkt uns beide vom eigentlichen Gespräch  –  und von uns selbst   ab. Wir sind nicht voll dabei. „Not in the present moment”, würde meine Yoga-Lehrerin jetzt sagen. Lisa übt sozusagen Anti-Yoga aus. Während man sich im Yoga in eine gute Körperhaltung begibt und den Geist fokussiert, sitzt Lisa mit krummem Rücken vor mir und sucht die Zerstreuung. Ich bin frustriert.

Ist das noch Freundschaft?

Lisas gesamte Woche ist durchgeplant. Erst Arbeit, dann Fitnessstudio, dann Jonathan. Zwischendurch einkaufen, kochen, waschen. Viel Zeit für ihre Freunde will sich Lisa nicht nehmen, schließlich dauert es schon allein immer lange, extra aus Spandau in die Stadt zu fahren. Schnell eine Nachricht hier oder ein Instagram-Post da kostet weder viel Aufwand, noch viel Zeit und verbindet sie dennoch mit ihrem Freundeskreis  – ohne, dass sie dafür jeweils eine halbe Stunde Hin- und Rückweg in der U-Bahn in Kauf nehmen muss. Ihre sozialen Beziehungen sind so optimiert, dass sie die Momente mit Freunden im realen Leben gar nicht mehr richtig wahrnehmen, oder zumindest kaum genießen kann.

Mit einem: „Hast du zufällig ein Ladekabel dabei, mein Akku ist bald alle” wird meine Herleitung einer potentiellen Erklärung ihres Verhaltens unterbrochen. Wenige Minuten danach verabschieden wir uns. Auf dem Weg nach Hause kommt eine Nachricht von ihr: „So schön, dich endlich wieder gesehen zu haben.” Wir hätten auch einfach gleich chatten können, dann wäre die Unterhaltung vielleicht intensiver gewesen. Wenn sie ihre Wochenenden irgendwann nicht mehr mit Jonathan verbringt, dann können wir vielleicht wieder gemeinsam zu Ikea fahren – da gibt es nämlich keinen Empfang.

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