Was geschieht, wenn man Smartphone, Fernseher und Co. (weniger) konsumiert?
Wecker schrillt, Snooze, Wecker schrillt, Augen aufschlagen, Smartphone schlaftrunken zur Hand nehmen, Flugmodus ausschalten, Facebook checken und zehn Minuten später nicht mehr wissen, was man dort gesehen hat: Meine ehemalige „Morning Routine“. Vor wenigen Wochen wurde der Fernseher aus unserem Schlafzimmer verbannt – er steht jetzt einsam im Wohn- und Arbeitszimmer. Kurz danach hatte mein Freund die Idee, das Schlafzimmer zu einer technikfreien Zone zu deklarieren und generell dem Smartphone weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Er meditiert jetzt auch und trinkt morgens immer einen supergesunden Smoothie während er einem Hörbuch über Achtsamkeit lauscht. Man kann sich wirklich schlecht neben ihm fühlen – so morgens bei Laktosevollem Cappuccino und einer derartig übermannenden Müdigkeit, dass an Achtsamkeit nicht im mindesten zu denken ist. Aber ich fühle mich nicht schlecht dabei, ich finde diese Entwicklung äußerst positiv, weshalb ich dem Experiment zustimmte. Nicht aus Optimierungsgedanken oder sonstigen edlen selbstverändernden Zielen. Sondern aus reinem Interesse daran, was eine Reduzierung der Beschäftigung mit sinnlosem Scrollen mit sich bringt. Da ich durchaus noch eine Zeit ohne Facebook, Instagram und Snapchat kenne, kann ich voraussetzen, dass dauerhafte geistige Ablenkung Auswirkungen hat.
War es nicht immer erstrebenswert, frei zu sein und selbstständig denken zu können?
Eine vom Kaspery Lab in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft regelrecht abhängig ist von den digitalen Geräten. War es nicht immer erstrebenswert, frei zu sein und selbstständig denken zu können? Mittlerweile kann es schon einmal zu einem Streit über die korrekte Schichtung einer Lasagne kommen, die nicht durch Präferenz, sondern Google entschieden wird. Warum widersprechen wir diesem Streben mit unserem Handeln, sofort im Internet etwas nachzuschlagen, sobald wir es nicht wissen? Weil der Mensch dazu neigt, zu vereinfachen. Insbesondere in Zeiten überwältigender Informationsflut ist es eine logische Konsequenz, dass wir nur die nötigsten Informationen speichern. Was einige Wissenschaftler als Digitale Demenz bezeichnen, betrachten andere wiederum als weniger negativ: Statt die Gehirnfunktion zu reduzieren, wird sie durch das Smartphone entlastet, da nur notwendigste Informationen gespeichert werden. Soweit das Argument. Früher lernten wir Gedichte auswendig, heute können Schüler sie einfach ablesen (was wir damals natürlich auch hätten machen können. Von einem Blatt Papier). Dieses Beispiel wird gerne im Zusammenhang mit der „Gehirn-Entlastung“ genannt. Ich fühle mich ehrlich gesagt nicht sonderlich geringer belastet, seit ich keine Gedichte mehr auswendig lerne. Aber ich erinnere mich daran, was mit einem Gedicht geschieht, wenn man es lernt; sich also sehr intensiv mit dessen Inhalt und Wirkung auseinandersetzt: Man steigt tief in eine Thematik ein. Epoche, Leben des Verfassers, Struktur des Gedichts und die Wirkung der Worte wurden durchdrungen. Statt einer oberflächlichen Informationsgabe erhielt man einen wahren Zugang zu einem Thema das meist zu einem neuen Thema führte – soweit man sich dazu öffnete.
Einst existierte der Anspruch, etwas tatsächlich zu durchdringen. Zu erfassen. Von Anfang bis Ende. Heute gibt man sich schnell mit halben Informationen zufrieden, was auch an einer geringeren Muße liegen kann. Ein Thema zu durchdringen, es zu verstehen, das benötigt Zeit und eben Muße. Eine Rarität in einer schnelllebigen Zeit. Anstatt uns in etwas zu vertiefen, suchen wir für viele Fragen viele kleine Antworten. Auch, weil unsere Aufmerksamkeitsspanne auf das Niveau eines Kleinkindes zurückgeht. Gerade noch mit Bauklötzen im Glück, springt es auf und findet es plötzlich spannender, die Katze durch das Wohnzimmer zu jagen. Studenten halten eine Vorlesung knapp zwei Stunden aus. Dann werden sie kribbelig und der Professor wundert sich, warum keiner überziehen will, um das Thema auszudiskutieren. Wir schauen keine Filme, sondern primär Serien, denn 40 Minuten schaffen wir stillzusitzen. Eine gute Serien wird heute daran gewertet, wie oft ein Zuschauer auf sein Handy schaut.
Viele Normen der analogen Epoche funktionieren nicht mehr.
Die psychologischen Auswirkungen des Smartphones sind schon weitgehend erforscht. Zum einen wäre da der Einfluss der Körperhaltung auf unser Wohlbefinden. Unglückliche Menschen haben eine gebeugte Haltung. Wie sitzen wir vor unseren Geräten? Gebeugt, mit hochgezogenen Schultern und verkniffenem Blick, damit wir etwas auf dem kleinen Bildschirm erkennen. Das kann unglücklich bis depressiv machen (und Falten fördern!). Wir versuchen alles, um möglichst glücklich zu sein. Ausgewogener Lifestyle, Nahrungsergänzungsmittel, Sport, Konsum, Auszeiten nehmen. Aber wozu all dieser Aufwand, wenn wir schon durch einen reduziertem Smartphone-Konsum dem Glück dadurch näher kommen, dass wir aktiv erleben, was um uns herum geschieht? Vielleicht wegen der zweiten Auswirkung: unser Selbstwertgefühl leidet enorm durch eine hohe Smartphoneabhängigkeit. Nur 10 Likes? Er antwortet nicht sofort auf eine Nachricht? Bei Instagram sinkt die Follower-Zahl? Das kann schon mal die Laune sinken lassen. Lest den Satz nochmal. Wirkt jetzt etwas albern, dass so etwas miese Laune macht oder?
Viele Normen der analogen Epoche funktionieren nicht mehr. Das heisst, wir müssen die Regeln anpassen aber teilweise auch beibehalten. Zum Beispiel muss niemand, nur weil er ein Smartphonebesitzer ist, rund um die Uhr erreichbar sein. Gleichzeitig dürfen wir nicht die Erwartung haben, dass einem sofort geantwortet wird. Hier tut ein bisschen Muße gut. Wir sollten zudem an unserer Achtsamkeit arbeiten: Wie oft habe ich heute aus Langweile das Handy zur Hand genommen und was hat das mit mir und meiner Stimmung gemacht? Könnte ich stattdessen vielleicht einen Gedichtband lesen? Oder einfach aus dem Fenster schauen und den Gedanken freien Lauf lassen? Möglicherweise kommt man auf wunderbare Ideen.
Es geht nicht darum, die digitale Welt zu verteufeln oder anzuprangern. Sie ist da und ihr Einfluss wird in den kommenden Jahren immens wachsen. Deswegen wäre jetzt die Zeit, sich nicht von Überschriften und bunten Bildern einlullen zu lassen, sondern diese Zeit aktiv mitzugestalten. Mit Achtsamkeit und Wachsamkeit lässt es sich auch gut leben und weniger Ablenkung und Totschlagen der Zeit führt zu kreativen Ideen und Veränderung. Das habe ich in den letzten Wochen ebenso erkannt, wie dass ein Tag viele Stunden hat, die sich mit spannenden Dingen ausfüllen lassen. Vielleicht nicht morgens, aber nach dem ersten Kaffe. Und dann merkt man möglicherweise, dass die Welt ohne Fotofilter genauso schön ist und Lasagne immer schmeckt – egal wie man sie schichtet.