Foto: Hadley Hudson

„Man kann auch berauschenden Sex haben, wenn man sich selbst verachtenswert findet“

Wie funktioniert das mit der Selbstliebe? Und warum fällt uns das so schwer? Darüber haben wir mit der Sexpertin und Autorin Paula Lambert gesprochen.

 

„Ich hätte früher nicht sagen können: Ich mag mich“

Einen perfekten Körper? Haben die wenigsten – zumindest, wenn man von der gängigen Idee eines perfekten Körpers ausgeht. Erstrebenswert finden ihn aber wiederum die meisten, und genau da fängt häufig eine Unzufriedenheits-Spirale an, die über Jahre des Lebens das Selbstwertgefühl herabsetzen kann. Wie können wir entspannter mit uns umgehen, warum gehen wir so hart mit uns ins Gericht und wie wirkt sich diese Haltung zu uns selbst auf unser Sexleben aus?

Darüber haben wir mit der Journalistin und Autorin Paula Lambert gesprochen, die mit „Finde dich gut, sonst findet dich keiner“ ein sehr persönliches Buch über den Kampf mit der Selbstliebe geschrieben hat.

Man nimmt dich als extrem selbstbewusst wahr. In deinem Buch kommt aber raus, dass du dich selbst lange gar nicht so gut leiden konntest. War dir diese Diskrepanz eigentlich selbst die ganze Zeit bewusst, oder hast du dich erfolgreich übers Ohr gehauen, indem du dir gesagt hast: Ich mag mich?

„Nein, das Unwohlsein war eher so eine Art Hintergrundrauschen, das lauerte und immer da war und in Momenten der Einsamkeit hervorkam. Kurz gesagt, habe ich mich sehr häufig schlecht gefühlt, konnte aber nie genau sagen, woran das lag. Also habe ich es an meinem Körper festgemacht, der, obwohl er immer schlank war, mir nicht gefiel. Und dann, als ich zunahm, hackte ich noch mehr auf ihm rum, beschimpfte mich selbst, dachte über Essen und Diäten nach, und zwar fortwährend. Ich hätte nie gesagt ‚Ich mag mich’. Das ist eine neue Entwicklung.“

„Mein Körper ist nicht perfekt. Aber warum soll ich mich deshalb die ganze Zeit runtermachen?“

Der perfekte Körper bzw. die Annäherung daran bestimmt das Leben von ganz vielen Menschen. Was genau hattest du an dir auszusetzen und was hat dir geholfen, dich selbst mehr zu mögen?“

„Also, es gibt Fotos von mir aus Zeiten, als ich von Selbsthass und Unglücksgefühlen ganz besessen war. Da hatte ich schon eine ideale Figur, sportlich, fit. Anstatt mich an meinem gesunden Körper zu erfreuen, habe ich ihn abgelehnt. Ganz schön dämlich! Das Gefühl zum Körper ist ja extrem subjektiv, da hilft kein Kompliment der Welt. Irgendwann in den letzten Jahren ist mir bewusst geworden, dass ich so nicht weitermachen kann. Dass ich liebevoller zu mir sein muss. Und als mir der Grund klar wurde, war es wie eine Erleuchtung. Das Thema Selbstliebe war mir vorher überhaupt nicht bewusst, aber dann habe ich auf Facebook ein Video von einer Australierin gesehen und dachte, ‚Ach so, daran leide ich!’ Immer, wenn ich negative Gedanken habe, halte ich inne und versuche zu verstehen, woher diese Gedanken kommen. Das Muster zu verstehen, hilft sehr. Ich gebe aber zu bedenken, dass die Heilung ein sehr langer Prozess ist, es lohnt nicht, direkt wieder aufzugeben. Der Morgen, an dem ich ehrlich sagen konnte ‚Ich mag dich, und zwar mit all deinen Makeln, vielleicht sogar gerade wegen ihnen’, das war ein schöner! Mein Körper ist nicht perfekt. Aber warum soll ich mich deshalb die ganze Zeit runtermachen?“

In deinem Buch schreibst du: „Es ist wahnsinnig leicht, sich vor den Spiegel zu stellen und sich selbst runterzumachen.“ Was denkst du, warum wir uns immer wieder und so schnell der Versuchung hingeben, uns für uns selbst zu schämen?

„Frauen werden immer noch über ihr Äußeres definiert. Ich glaube, wir tragen selbst unseren Teil dazu bei. Diese Niedertracht, mit denen manchmal Frauen andere Frauen begegnen, erschreckt mich immer. Ich glaube ja, dass die nähere Zukunft in unseren Händen liegt. Momentan haben wir es mit sehr viel negativer männlicher Energie zu tun. Wir Frauen haben es in der Hand, das Ruder herumzureißen. Dafür müssen wir uns aber selbst mit Liebe begegnen und uns gegenseitig stärken. Scham, Neid, Selbstverleugnung werden uns nicht weiterbringen.“

Eigentlich ist es ja kein Wunder, dass viele ihre Körper nicht gut annehmen können: Wir feiern mittlerweile zwar selbstbewusste Frauen, die Kurven haben, aber müssen das auch immer als mutig benennen und Modelabel erfinden komische Namen für Linien jenseits der Konfektionsgröße 42, die dann verschämt in einer Ecke des Kaufhauses hängen. Irgendwie bigott, oder? Wie nimmst du das wahr?

„Ebenso. Ich hatte mal eine Anfrage von einer großen Modefirma, die mich wohl als Rolemodel gut fanden. Rein theoretisch, denn mit 42/44 ist dann auch Schluss mit Rolemodel. Die haben einen Rückzieher gemacht, weil ich nicht dem gesellschaftlichen Geschmack entspreche.“

„Was bringt einem Menschen das perfekte Aussehen, wenn die Seele ein Ort voller Asche ist?“

Wir wachsen alle mit ein paar Komplexen auf, das hat oft mit dem Körper zu tun, aber nicht nur. Denn öffentlich wird immer ein Bild einer perfekten Frau oder eines perfekten Mannes propagiert, das man gar nicht erreichen kann. Was hat das Älterwerden mit mehr Selbstliebe zu tun? Würdest du mir zustimmen, dass man immer gelassener wird?

„Perfektion ist etwas, das wirklich in geringen Dosen verteilt worden ist. Warum? Weil Perfektion auf Dauer langweilig ist. Also geht es darum, das Unperfekte zu feiern. Wenn man älter wird, begreift man das auf natürlichem Weg – zumindest, wenn es gut läuft. Und ja, das schöne am Älterwerden ist ja die Gelassenheit, die über einen kommt. Ich wünschte, ich hätte dieses Bewusstsein mit Anfang zwanzig gehabt. Was bringt einem Menschen das perfekte Aussehen, wenn die Seele ein Ort voller Asche ist? Die schönsten Menschen, die ich kenne, haben ein gefälliges, nicht besonders perfektes Aussehen, guten Humor, ein großes Herz und eine schöne Seele. Lass uns also nicht zu sehr auf der Schönheit herumreiten.“

Wenn man stets darauf wartet, dass man sich selbst mag, ist es schwierig die Liebe zu finden, weil man sich selbst eben nicht als liebenswert empfindet. Andererseits haben ja auch viele Menschen, die Probleme mit sich selbst haben, einen Partner. Kann man sich in einer Partnerschaft vielleicht auch gegenseitig von Komplexen heilen?

„Man kann sich gegenseitig heilen, wenn beide daran arbeiten wollen. Das ist ein schmerzhafter Prozess. Es gibt viele, die fahren mit der Taktik ganz gut: Ein paar Jahre der, bis es zu viele Probleme gibt, Trennung, der nächste. Ich glaube, für ein wirklich freies Leben muss man sich selbst bis an den Punkt bringen, an dem sich der Schmerz auflösen kann. Ich habe überhaupt kein Interesse mehr an Beziehungen, die nicht auf Weiterentwicklung angelegt sind. Das langweilt mich zu Tode. Wer sich selbst nicht leiden kann, wird im Partner immer nach der Rettung suchen. Damit überträgt man eine Aufgabe, die einem für sich selbst zu schwer erscheint und erwartet die Lösung von einem anderen. Das ist doch Irrsinn!“

„So richtig erfüllenden Sex kann man erst haben, wenn man ein vernünftiges Verhältnis zu sich selber hat.“

Neben der Liebe wirkt sich unser Selbstwertgefühl ja auch auf unseren Sex aus. Kann man wirklich guten Sex haben, wenn man sich selbst nicht so richtig mag?

„Man kann berauschenden Sex haben, auch, wenn man sich selbst so richtig verachtenswert findet. Sex hat ja viel mit Macht und Machtausübung zu tun. So richtig erfüllenden Sex kann man erst haben, wenn man ein vernünftiges Verhältnis zu sich selber hat. Man muss dazu nicht am Ende des Weges angelangt sein, aber es ist wichtig, dass einem schon grundsätzlich klar ist, wohin die Reise geht und wo die Schwierigkeiten, die Verletzlichkeiten liegen.“

In deinem Buch schreibst du auch darüber, wie du den Sex eine Zeitlang instrumentalisiert hast. Was genau meinst du damit?

„Ich hatte Sex viele Jahre aus den ganz falschen Gründen. Ich dachte, je mehr Sex, desto Liebe. Das funktioniert natürlich ganz und gar nicht.“

Warum tun sich manche Menschen, vielleicht sogar insbesondere Frauen schwer, ihre Bedürfnisse im Bett anzumelden? Woher kommt das? Und hast du vielleicht einen Tipp, wie man hier selbstbewusster werden kann?

„Weibliche Sexualität wird ja immer noch abgewertet, unter anderem auch von Frauen selbst. Ich finde es ganz wichtig, dass sexuelle Aufklärung in der Schule anders aufgezogen wird. Wir müssen neu über Gleichberechtigung diskutieren. Der wichtigste Schritt ist, dass Frauen offen darüber sprechen, was sie für Bedürfnisse haben. Und dass sie sich klar machen, dass Sex nicht etwas ist, das man macht, um einen Mann langfristig zu halten. Ach, im Grunde ist die Lösung ja ein simpler Schritt: lernt, zu kommunizieren. Ich helfe gern.“

Paula Lambert: „Finde dich gut, sonst findet dich keiner: Wie du lernst, dich selbst zu lieben, und dabei unwiderstehlich wirst“, Heyne Verlag, September 2016, 224 Seiten, 8,99 Euro.

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