Foto: Richard Raworth

Endlich ein Wirtschaftsmodell, das unseren Planeten nicht zerstört: die Donut-Ökonomie

Die britische Ökonomin Kate Raworth macht derzeit mit einem revolutionären Entwurf für ein neues Wirtschaftsmodell Furore. Es sieht aus wie ein amerikanisches Kleingebäck mit Loch in der Mitte – was hat es damit auf sich?

 

Eine neue Bewegung?

Die britische Ökonomin Kate Raworth fordert: Wir müssen uns endlich weg von der menschlichen Leerstelle in unseren Wirtschaftsmodellen bewegen, hin zu einer Wirtschaft, die in Gesellschaft und Natur eingebettet ist. Nur so könne der Planet vor dem Kollaps bewahrt werden. Zu einem neuen, revolutionären Wirtschaftsmodell gehört ihrer Ansicht nach, den Klimawandel, das Artensterben, den Rückgang der Ozonschicht und die Versauerung der Meere aufzuhalten. Und das erreicht man nur, wenn man soziale Faktoren wie Gleichstellung, Bildung und soziale Teilhabe einbezieht. Und wie kommt nun der Donut zustande, den Raworth als Modell für ihren neuen Wirtschaftsentwurf gewählt hat? Das erklärt sie in ihrem neuen Buch. „Die Donut-Ökonomie“ hat das Potential, sich zu einer Bewegung zu entwickeln. 

Wir veröffentlichen einen Auszug:

Weg von der Ökonomie – und wieder zurück zu ihr

Als Teenager versuchte ich mir in den 1980er-Jahren durch die Abendnachrichten ein Bild von der Welt zu verschaffen. Die Fernsehbilder, die täglich in unser Wohnzimmer flimmerten, trugen mich weit weg von meinem Leben als Schülerin in London, und diese Bilder blieben haften: das unvergessliche stumme Starren auf die Babys mit den aufgequollenen Bäuchen, die während der Hungersnot in Äthiopien auf die Welt kamen; die nebeneinander aufgereihten Toten, die bei der Gasexplosion in Bhopal wie Streichhölzer niedergestreckt worden waren; ein purpurfarbenes Loch, das in der Ozonschicht klaffte; der riesige Ölteppich, der aus der Exxon Valdez in das klare Wasser vor Alaskas Küste floss. Am Ende dieses Jahrzehnts wusste ich, dass ich für eine Organisation wie Oxfam oder Greenpeace arbeiten wollte – um dafür zu kämpfen, den Hunger und die Umweltzerstörung zu beenden –, und ich dachte, der beste Weg, um sich darauf vorzubereiten, wäre, Ökonomie zu studieren und die Instrumente, die ich mir dabei aneignen würde, für diese Anliegen einzusetzen.

Also ging ich nach Oxford, um dort zu lernen, was ich für meinen Job zu benötigen glaubte. Nur die ökonomische Theorie, die mir dort angeboten wurde, frustrierte mich, weil sie eigenartige Annahmen darüber traf, wie die Welt funktionierte, während sie die meisten Dinge beschönigte, über die ich mir Sorgen machte. Ich hatte das Glück, inspirierende Tutoren zu finden, aber auch sie wurden durch den Lehrstoff gebunden, den sie lehren und den wir lernen mussten. Nach vier Jahren verabschiedete ich mich von der theoretischen Ökonomie, denn es brachte mich in Verlegenheit, mich als „Ökonomin“ zu bezeichnen, und ich vertiefte mich stattdessen in die wirtschaftlichen Herausforderungen der wirklichen Welt.

Unfaire Spielregeln und Doppelmoral

Ich verbrachte drei Jahre bei sogenannten Barfuß-Unternehmern in Sansibar und bewunderte die Frauen, die Kleinstunternehmen betrieben, während sie ihre Kinder erzogen, ohne die Aussicht auf fließendes Wasser, Strom oder eine Schule. Dann wechselte ich auf die gänzlich andersartige Insel Manhattan und arbeitete vier Jahre für das Team bei den Vereinten Nationen, das den jährlichen Human Development Report verfasst. Währenddessen erlebte ich mit, wie durch unverblümte Machtspiele Fortschritte in internationalen Verhandlungen blockiert wurden. Ich ging weg, um mir einen lange gehegten Traum zu erfüllen, und war mehr als ein Jahrzehnt für Oxfam tätig. Dort erlebte ich, in welch prekären Verhältnissen Frauen leben – von Bangladesch bis Birmingham –, die am anderen Ende der globalen Lieferketten arbeiten. Wir setzten uns dafür ein, die unfairen Spielregeln und die Doppelmoral zu verändern, die in den internationalen Handelsbeziehungen herrschen. Darüber hinaus erforschte ich die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte und besuchte Farmer von Indien bis Sambia, deren Äcker unfruchtbar geworden waren, weil schon lange kein Regen mehr fiel. Dann wurde ich Mutter von Zwillingen und verbrachte ein Jahr im Mutterschaftsurlaub, stark gefordert von meinen beiden kleinen Kindern. Als ich in die Arbeit zurückkehrte, war mir bewusst, unter welchem Druck Eltern stehen, die Job und Familie unter einen Hut bringen müssen.

Während dieser Zeit erkannte ich allmählich, was offenkundig war: dass ich nicht von der Ökonomie lassen konnte, weil sie die Welt bestimmt, in der wir leben, und dass ihre Denkhaltung bereits mein Leben bestimmte, auch wenn ich mich dagegen wehrte. Also entschloss ich mich, wieder zur Ökonomie zurückzukehren und sie vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wie wäre es, wenn wir nicht die etablierten, althergebrachten Theorien an den Anfang der Ökonomie stellen, sondern stattdessen die langfristigen Ziele der Menschheit, und versuchten, ein ökonomisches Denken zu entwickeln, das uns in die Lage versetzt, diese Ziele zu erreichen? Ich machte mich daran, ein Bild dieser Ziele zu zeichnen, das schließlich, so verrückt es klingen mag, wie ein Donut aussah – ja, wie ein amerikanischer Donut mit einem Loch in der Mitte. Im Wesentlichen besteht das Modell aus einem Paar konzentrischer Ringe. Innerhalb des inneren Rings – dem gesellschaftlichen Fundament – liegen die tief greifenden Depravierungsprozesse, die großen Geißeln und Nöte der Menschheit wie Hunger und Analphabetentum. Außerhalb des äußeren Rings – der ökologischen Decke – liegen die gravierenden planetaren Degradierungsprozesse wie der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität. Zwischen diesen beiden Ringen ist der Donut im engeren Sinne angesiedelt, jener Raum, in dem wir die Bedürfnisse aller mit den Mitteln des Planeten befriedigen können.




Quelle: Carl Hanser Verlag

Das Wesen des Donuts: ein gesellschaftliches Fundament des Wohlergehens, unter das niemand abstürzen sollte, und eine ökologische Decke des planetaren Drucks, über die wir nicht hinausgehen sollten. Zwischen beiden Bereichen liegt ein sicherer und gerechter Raum für alle.

Süße, frittierte Donuts mögen als eine seltsame Metapher für die Ziele der Menschheit erscheinen, doch dieses Bild sprach mir aus der Seele und wurde auch von anderen positiv aufgenommen. Und es brachte mich zu einer grundlegenden Frage:

Wenn das Ziel der Menschheit im 21. Jahrhundert darin besteht, in das Innere des Donuts zu gelangen, welche ökonomische Denkhaltung eröffnet uns dann die besten Chancen, dies zu erreichen?

Mit dem Donut in der Hand fegte ich meine alten Lehrbücher vom Tisch und suchte nach den überzeugendsten frischen Ideen, erforschte das neue ökonomische Denken aufgeschlossener Studenten, fortschrittlicher Wirtschaftsführer, innovativer Wissenschaftler und moderner Praktiker. Dieses Buch versammelt die wichtigsten Erkenntnisse und Einsichten, die ich auf diesem Weg gewonnen habe – Erkenntnisse über Denkweisen, von denen ich wünschte, ich wäre schon zu Beginn meiner Beschäftigung mit der Ökonomie damit in Berührung gekommen, und die nach meiner Meinung heute zum Rüstzeug eines jeden Ökonomen gehören sollten. Es werden unterschiedliche Denkschulen behandelt, wie etwa die Komplexitätsökonomik, die Ökologische und die Feministische Ökonomie, die Institutionenökonomik und die Verhaltensökonomie. Sie alle sind reich an Erkenntnissen, doch es besteht die Gefahr, dass sie in ihren jeweiligen Nischen isoliert bleiben, denn jede Denkschule bringt ihre eigenen Fachzeitschriften, Konferenzen, Blogs, Lehrbücher und Lehreinrichtungen hervor und kultiviert ihre ganz eigene Kritik am Denken des vergangenen Jahrhunderts. Ein wirklicher Durchbruch kann jedoch erst gelingen, wenn diese Denkschulen ihre Ansätze miteinander verbinden und herausfinden, was geschieht, wenn sie auf demselben Ball tanzen – ein Vorhaben, das dieses Buch in Angriff nehmen will.

Die Menschheit steht vor gewaltigen Herausforderungen, und nicht zuletzt dank der blinden Flecken und der irreführenden Metaphern des überkommenen ökonomischen Denkens sind wir in diese Lage geraten. Doch für jene, die bereit sind, zu rebellieren, über den Tellerrand zu blicken, Dinge infrage zu stellen und neu zu denken, sind dies aufregende Zeiten. „Die Studenten müssen lernen, wie man alte Vorstellungen ablegt, wie und zu welchem Zeitpunkt man sie durch neue ersetzt. Kurz, sie müssen das Lernen lernen“, schrieb der Zukunftsforscher Alvin Toffler. Dies gilt zuallererst für jene, die nach wirtschaftlicher Bildung streben: Heute ist ein günstiger Augenblick dafür, die alten Vorstellungen über die Wirtschaft abzulegen und die Grundlagen der Ökonomie neu zu erlernen.

Aus: Kate Raworth: „Die Donut-Ökonomie: Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört.“ Carl Hanser Verlag, März 2018, 24 Euro

Das Buch ist natürlich auch bei lokalen Buchhändler*innen eures Vertrauens zu finden. Support your local Book-Dealer!

Wer Kate Raworth gerne live erleben möchte: Sie ist ab 22. April auf „Speakers Tour“ in Deutschland und Österreich unterwegs, die Termine und Städte findet ihr hier.

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