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Katrin Göring-Eckardt: „Wenn wir die Klimakrise nicht lösen, brauchen wir über viele andere Probleme bald nicht mehr sprechen”

Was sind die drängendsten Fragen der Politik? Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, hat eine klare Antwort: Klimakrise, bezahlbaren Wohnraum und Kinder- sowie Altersarmut. Ein Interview.

„Die Klimakrise kommt bei vielen Menschen an – nur eben nicht bei der großen Koalition, die eine Politik aus dem letzten Jahrtausend macht”

Schaut man sich die Berichterstattung und die politischen Diskurse der letzten Monate an, könnte man meinen es gibt nur ein Thema: Geflüchtete. Dabei belegen aktuelle Umfragen, dass die meisten Menschen derzeit andere Themen besonders bewegen. Wir haben die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, gefragt, welche Themen sie und ihre Partei für die drängendsten unserer Zeit halten und wie man sie lösen kann. Ein Gespräch über die die Klimakrise, soziale Gerechtigkeit, Geburtshilfe und Gleichstellung.

Die Politik und die Medien kannten auch in den letzten Monaten vor allem ein Thema: Geflüchtete. Aktuelle Umfragen zeigen aber, dass dieses Thema für viele Menschen nicht das Wichtigste ist. Auch Sie haben in letzter Zeit immer wieder betont, dass es um drängendere Fragen gehen muss. Welche sind das?

„Die drängendste Frage ist natürlich die Klimakrise. Und zwar nicht nur, weil der deutsche Sommer gerade heiß und trocken ist und es alle merken, sondern weil es eine globale Frage ist. Wenn wir die nicht lösen, brauchen wir über viele andere Probleme bald gar nicht mehr sprechen. Wenn wir auf die Innenpolitik schauen, ist das Thema Wohnen zentral: Kann ich bezahlbar wohnen? Werde ich nicht von irgendeinem irrsinnigen Investor vertrieben? Das sind Fragen, die Menschen in den Städten umtreiben. Dort müssen viele 40 oder 50 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Darüber hinaus muss es um bessere Bedingungen in der Pflege und die Bekämpfung von Altersarmut und Kinderarmut gehen. Das beschäftigt die Menschen. Und ja, wir können gerne auch über Geflüchtete, über Integration, über ein so dringend notwendiges Einwanderungsgesetz reden. Aber bitte nicht so populistisch wie Horst Seehofer, sondern sach- und lösungsorientiert.

Jetzt haben sie ja konkrete Probleme angesprochen. Welche Lösungskonzepte hat ihre Partei zum Beispiel zum Thema Wohnen?

„Wir haben eine Grüne Wohnoffensive gestartet. Wohnen ist in Deutschland zu einer sozialen Frage geworden.  Der Bund muss für viel mehr Mietwohnungen sorgen, die dauerhaft günstig sind. Wir müssen schauen, dass bezahlbare Wohnungen gebaut werden, eine Millionen in den nächsten zehn Jahren. Diese Wohnungen sollten aber auch mit nachhaltigen Rohstoffen wie zum Beispiel Holz gebaut werden. Und die Mieterrechte gehören gestärkt. Es kann nicht sein, dass man aus seiner Wohnung vertrieben wird. Es braucht ein gerechtes Mietrecht mit einer wirksamen Mietpreisbremse ohne unnötige Ausnahmen. Das Thema Wohnen ist nicht nur ein Thema in den Städten, wo gerade in Ballungszentren die Mietpreise regelrecht explodiert sind, sondern auch in den ländlichen Regionen. Es gibt in unserem Land Dörfer oder kleine Städte, die halb leer sind. Warum will da keiner wohnen? Weil die Infrastruktur nicht stimmt, weil es kein schnelles Internet dort gibt, kein Bus fährt oder die Apotheke zugemacht hat. Die fühlen sich dort regelrecht abgehängt. Das sind Fragen, auf die gerade Horst Seehofer als zuständiger Bauminister Antworten geben müsste, aber es kommt von ihm nichts.

Es gibt ja bereits eine Mietpreisbremse – die wirkt aber nicht. Warum ist das so? Und wie sieht eine funktionierende Bremse aus?

„Die wirkt nicht, weil es viel zu viele Ausnahmen gibt. Sie ermöglicht Luxussanierungen und die Umlage der entsprechenden Kosten auf die Mieter*innen. Ein einfaches Beispiel: Heute können elf Prozent der Sanierungskosten auf die Mieter*innen umgelegt werden. Wir sagen, das muss halbiert werden. Bei sechs Prozent kann der Besitzer die Sanierungen immer noch machen, verdient sich aber nicht dumm und dämlich dabei. Und dann bauen wir noch eine zweite Grenze ein: Die Miete darf nur noch um zwei Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren steigen. ”

„Eigentlich ist schon die Tatsache, dass ich begründen muss, warum das Thema Geburtshilfe wichtig ist, ein Problem”

So wie diesen sozialen Themen finden auch sogenannte frauenpolitische Themen viel zu oft wenig Beachtung. Eines dieser Themen ist die sogenannten Hebammenkrise: Frauen finden monatelang keine Hebamme, werden in Städten an der Kliniktür abgewiesen und sehen sich in ländlichen Regionen mit immer mehr geschlossenen Geburtshäusern und –kliniken konfrontiert. Ihre Partei ist die einzige, die sich damit in ihrem Wahlprogramm auseinandergesetzt hat. Sie selbst haben am Wochenende auf einem Panel dazu gesprochen. Warum ist Ihnen das Thema wichtig?

„Eigentlich ist schon die Tatsache, dass ich begründen muss, warum das Thema wichtig ist, ein Problem. Es muss doch selbstverständlich sein, dass jede werdende Mutter eine Hebamme findet – in der Stadt und erst recht auf dem Land. Wir brauchen einen klaren Personalschlüssel. Wenn im Kreißsaal eine Hebamme zwischen mehreren Gebärenden hin- und herrennen muss, ist das ein Unding. In den wesentlichen Phasen der Geburt muss eine Eins-zu-Eins-Betreuung ermöglicht werden. Deshalb fordern wir ein verpflichtendes Personalbemessungsinstrument für Kreißsäle. Und auch in den ländlichen Regionen muss man etwas tun: Geburtskliniken müssen gut erreichbar sein. Außerdem muss die Vergütung stimmen, damit beispielsweise die Fahrtkosten abgedeckt sind. Auch bei den Arbeitsbedingungen muss sich einiges verbessern, da muss Gesundheitsminister Jens Spahn endlich mal liefern. ”

Das Thema Klima haben Sie eingangs bereits angesprochen. Sie warnen immer wieder vor der drohenden Klimakatastrophe. Der derzeitige „Hitzesommer” ist Ausdruck eines „Wandels”, der eigentlich kaum noch aufzuhalten ist. Gleichzeitig steigen ihre Umfragewerte (aktuell 15 Prozent). Ist dieser Sommer für die Grünen also Fluch und Segen zugleich? Fluch, weil er zeigt, wie weit fortgeschritten der Klimawandel ist, Segen, weil er deutlich macht, wie dringend etwas getan werden muss?

„Die Klimakrise ist dramatisch und jetzt wird sie spürbar. Je länger wir warten und nichts tun, desto radikaler werden später die Maßnahmen sein müssen. Ich will meinen Enkeln später nicht sagen müssen: Wir hätten Schlimmeres verhindern können, haben es aber nicht getan.. Und die Frage ist: Können wir genügend Druck entfachen, damit wir aus der Kohle aussteigen? Dass sich die Verkehrspolitik radikal verändert? Momentan haben wir immer noch eine Bundesregierung, die ihre Hände schützend über die Autolobby hält und nicht über die Gesundheit der Bürger*innen. Auch die Verbraucherrechte sind ihnen beim Dieselskandal völlig egal.

Wir müssen aber auch die Landwirtschaft komplett umkrempeln. Wir produzieren unheimlich viel CO2 und Methan, das befeuert die Klimakrise. Wir haben eine Landwirtschaftspolitik, die weder Verbraucher- noch  tierfreundlich ist und zudem noch die Klimakrise anheizt. Da muss sich wirklich drastisch etwas ändern. Und zwar jetzt. Denn wir haben keinen Planeten B.”

Wenn Sie das so beschreiben, klingt das sehr nachvollziehbar und alarmierend. Warum kommt das nicht an?

„Die Klimakrise kommt bei vielen Menschen an – nur eben nicht bei der großen Koalition, die eine Politik aus dem letzten Jahrtausend macht. Union und SPD versuchen weiterhin, den dreckigsten Energieerzeuger, die Kohle, zu schützen, statt auf erneuerbare Energien zu setzen. Und sie sorgen dafür, dass dreckige Autos weiter auf unseren Straßen fahren können. Wenn wir sagen würden: Ab 2030 werden keine Emissionsautos mehr neu zugelassen, würde sich die Autoindustrie natürlich verändern müssen und auf andere Antriebe setzen. Doch da mauert die Bundesregierung und lässt den Automobilkonzernen ganz lange Leine.

„Beim Klima wandelt sich nichts, da bricht etwas zusammen”

Jetzt haben sie mich schon unterbewusst korrigiert als ich das Wort „Klimawandel” benutzt habe.

„Das habe ich ganz bewusst gemacht.”

Darauf zielt auch meine Frage ab: Ist „Klimawandel” nicht ein Euphemismus?

„Ich finde, wenn es eine Krise ist, soll man es auch als Krise benennen. Beim Klima wandelt sich nichts, da bricht etwas zusammen. Wenn die Erderwärmung so weitergeht – ein Grad wärmer ist sie bereits – wird sich das Leben auf diesem Planeten drastisch verändern. Der Astronaut Alexander Gerst hat gerade erst berichtet, dass er aus dem Weltall sieht, wie alles was grün sein sollte in Europa, von oben braun ist. Man sieht es also, und man spürt es eben auch. Daran zum Beispiel, dass wir inzwischen Weltregionen haben, wo Dürre herrscht, wo man keine Landwirtschaft mehr betreiben kann. Andere Regionen leiden unter den Überflutungen. Zehn der 15 wärmsten Jahre in Deutschland waren in diesem Jahrhundert. Das ist doch irre, was wir gerade in Deutschland erleben ist  nicht zufällig mal ein heißer Sommer.”

Eine aktuelle Studie von Greenpeace weist darauf hin, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2020 doch noch erreichen könnte – wenn es einen radikalen Kohleausstieg vorantreiben würde. Ist das eine realistische politische Entwicklung oder kann man dieses Klimaziel eigentlich vergessen?

„Die Uhr tickt: Jeden Monat, in dem die Große Koalition nichts tut, bedeutet, dass wir danach noch viel radikaler handeln müssen, weil die Wirklichkeit dann noch härter zuschlägt. Deshalb kann ich Union und SPD nur auffordern, den Kohleausstieg jetzt zu beginnen.”

Der Kohleausstieg wird immer wieder auch mit dem Argument abgelehnt, dass er zu viele Menschen den Arbeitsplatz kosten würde. Welches Konzept haben Sie und ihre Partei für dieses Problem?

„Das mag zynisch klingen, aber jede*r Politiker*in, die*der nicht schon vor zehn Jahren für eine Transformation in den Gebieten der Kohlekraftwerke stark gemacht hat, ist mit der Zukunft der dort ansässigen Menschen  fahrlässig umgegangen. Trotzdem kann man auch jetzt noch etwas tun. Nehmen wir zum Beispiel die Lausitz: Wenn die Bundesregierung dort für schnelles Internet sorgen würde, könnte sie die Ansiedlung von kleinen Unternehmen und Startups fördern, Fachhochschulen ansiedeln, den Dienstleistungssektor ausbauen. Das ist bislang aber nicht der Fall, es gibt nicht einmal eine vernünftige Zugstrecke. So hängt man Leute ab. Das Schlimme ist, dass hätte schon vor zehn Jahren passieren müssen. An der Kohle festzuhalten war schon damals ein riesiger Fehler. Und es bleibt ein Fehler, wenn man den Menschen auch heute etwas verspricht, das man nicht halten kann. Die Zeit der Kohlekraftwerke ist nun eben Geschichte. Jetzt müssen wir ein neues Kapitel aufschlagen.”

In einem Interview haben Sie gesagt: „Wir sind die Partei des Klimaschutzes. Wir schauen nicht zuerst, welchem Lager wir uns zu sortieren.” Heißt das, mit den richtigen Kompromissen beim Klimaschutz würden Sie mit jeder Partei koalieren?

„Klar ist: Wir gehen nur in eine Koalition, wenn wir bei der Bewältigung der Klimakrise genügend erreichen können – und natürlich auch in anderen Fragen, wie der Sozialpolitik, der Landwirtschaft oder der Flüchtlingspolitik. Schließlich sind wir sind ja keine 1-Punkt-Partei. Aber gerade beim Klimaschutz ist das kein Selbstläufer. Wir können uns eben nicht darauf verlassen, dass eine bestimmte Partei in dieser Frage weit genug mit uns übereinstimmt. Beim Kohleausstieg ist die SPD genauso hartleibig wie die Union. Insofern sind wir da gerade  die einzigen, die sich für die Zukunft unseres Planeten einsetzen. ”

Der Journalist Georg Diez schlug letzte Woche in seiner Kolumne bei Spiegel Online vor, dass Flüge an Orte, die man in weniger als drei Stunden auch mit der Bahn erreichen kann, verboten werden. Brauchen wir solch drastische Maßnahmen, um überhaupt noch eine Chance zu haben, das Klima zu retten

„Klar ist, wir können nicht so weitermachen wie bisher. Dass Menschen umweltfreundlich reisen, kann man erreichen, wenn Bahntickets günstiger werden. Warum zahlt man auf Bahntickets im Fernverkehr den vollen Mehrwertsteuersatz, bei Fahrten in der näheren Umgebung aber nicht? Die Mehrwertsteuer für Bahntickets sollte auf sieben Prozent gesenkt werden. Und Kerosin gehört endlich anständig besteuert. Das würde dann dazu führen, dass mehr Leute bei Kurzstrecken auf die Bahn umsteigen.”

„Wenn sich grundsätzlich etwas ändern soll, müssen Frauen in den internationalen Gremien mehr repräsentiert sein. Das gilt global, das gilt aber auch für Deutschland”

Die UN kritisiert an Hand von aktuellen Zahlen, dass Frauen am stärksten vom Klimawandel bzw. der Klimakrise betroffen sind, aber zu wenig in den globalen Entscheidungsgremien zur Klimapolitik sitzen. Welche Rolle spielen Frauen für Sie in der Klimakrise und welche sollten sie spielen?

„Das ist echt fatal: Wenn wir in den globalen Süden schauen, sehen wir, es sind die Frauen, die die Konsequenzen tragen: Wenn das Wasser knapp wird, müssen die Frauen immer weitere Strecken zum nächsten Brunnen zurücklegen. Wenn die Landwirtschaft keine Erträge mehr bringt, müssen die Frauen dafür sorgen, dass die Familie weiterhin ernährt werden kann. Die Folgen der Klimakrise, werden auf dem Rücken von Frauen ausgetragen. In diesen Regionen sind es aber auch immer wieder Frauen, die Projekte und Initiativen gründen, die ihre nationale Klimapolitik verändern. Wenn sich grundsätzlich etwas ändern soll, müssen Frauen in den internationalen Gremien mehr repräsentiert sein. Das gilt global, das gilt aber auch für Deutschland. Der Energieminister Altmaier hat gerade erst einen offenen Brief von 180 Mitarbeiterinnen bekommen, die die enorme Unterrepräsentation von Frauen bei den Abteilungsleiter*innen und Staatssekretär*innen kritisieren. Daran sieht man, dass auch hier ein enormes Ungleichgewicht herrscht.”

„Ich bin da, wo ich bin, weil es die Quote in meiner Partei gibt. Ich bin eine Quotenfrau und bekenne mich dazu”

Passend dazu: In diesem Herbst feiern wir 100 Jahre Frauenwahlrecht. Sie sind seit Anfang der 1990er Jahre bei den Grünen aktiv. Wie weit sind wir mit der Gleichstellung auf politischer Ebene?

„Ich bin da, wo ich bin, weil es die Quote in meiner Partei gibt. Ich bin eine Quotenfrau und bekenne mich dazu. Der Anteil von Frauen im Bundestag liegtin dieser Wahlperiode bei knapp einem Drittel – damit sind die Zahlen sogar rückläufig. Das liegt vor allem an der AfD und FDP, und ganz erheblich an der Union , die keine verbindliche Quote hat. In manchen Fragen sind wir sicherlich weiter als Anfang der 1990er Jahre, aber die Hälfte der Macht, die Frauen zusteht, das ist noch längst nicht erreicht.”

Wie geht man mit einem tatsächlichen Rückschritt in der Repräsentation von Frauen in der Politik als aktive Politikerin um?

„Naja, wir Grüne haben den höchsten Frauenanteil unter den Fraktionen, nämlich 58 Prozent. Das liegt auch an der Quote. Das alleine reicht aber natürlich nicht. Die Sitzungskultur muss zum Beispiel immer wieder überprüft werden, also stimmen die Termine, die Abläufe, die Orte. Die kommunale Ebene ist immens wichtig. Das ist für mich eine Frage der Demokratie insgesamt. Es heißt also: Verbündete suchen, auch in anderen Parteien. Da sehe ich die Union und die FDP besonders in der Pflicht. Und dann gemeinsam für eine bessere Gleichstellungspolitik kämpfen, die Quote für Aufsichtsräte war zum Beispiel ein Ergebnis eines solches gemeinsamen Kampfes. Es geht also.”

Eine konkrete Maßnahme Ihrer Partei wäre also eine generelle Quote?

„Quotenregelungen sind ein wichtiges Instrument, so lange sich anders nichts ändert. Darüber hinaus geht es auch um ,Frauenförderung’, denn die eine Maßnahme gibt es nicht. Entgeltgleichheit wäre das nächste Thema, was dringend angepackt werden müsste. Wir haben eine Frauenministerin, die sich am ,Equal-Pay-Day’ hinstellt und die Situation problematisiert, die aber sonst nicht wirklich dagegen kämpft, dass Frauen 21 Prozent weniger verdienen als Männer. Zum Teil liegt das daran, dass Berufe anders vergütet werden, aber es ist auch oft genug beim gleichen Job so, dass Frauen am Ende des Monats weniger auf dem Gehaltszettel stehen haben. Und da erwarte ich, dass eine Frauenministerin, die ihr Amt ernst nimmt, dafür kämpft, dass endlich ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz kommt. Und auch bei der Unternehmenskultur allgemein muss sich was ändern, da ist noch viel Luft nach oben bei uns. Wir brauchen dringend flexiblere Arbeitszeiten, damit die Arbeit zum Leben passt und nicht umgekehrt. Das wäre auch ein wichtiger Beitrag zu mehr Partnerschaftlichkeit, wenn Männer ihre Arbeitszeiten auch mal zeitweise wegen der Familie reduzieren.”

Als junge Frau, die sich als Feministin sieht, die findet das Flucht kein Verbrechen sein darf, die sich ernsthaft fragen muss, ob sie sich Kinder diesem Land überhaupt leisten kann bzw. ob sie sie in diese Welt setzen will und die findet, dass eine Wiederaneignung des „Heimat”-Begriffs gefährlich ist – warum sollte ich ihre Partei wählen?

„Also, ich verwende den Heimatbegriff auch.”

Ich weiß.

„Und ich finde das auch richtig, weil man sich solche Begriffe nicht von den Konservativen und Rechten nehmen lassen darf. Meine Heimat ist gleichberechtigt, sie ist frei, sie ist offen für andere. Wenn Sie ihre persönliche Situation beschreiben, würde ich sagen: Es gibt keine andere Partei neben uns, die über den nächsten Wahltag hinausdenkt. Klar ist es immer unbequem, über Dinge zu reden, die sich erst in fünf, in zehn oder in 20 Jahren auswirken. Aber wir sind bereit, unbequem zu sein. Das betrifft die Klimakrise, aber auch Themen wie Kinderarmut. Es kann doch nicht sein, dass die Chancen von Kindern immer noch primär vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Auch die soziale Ungleichheit wird am stärksten auf dem Rücken von Frauen ausgetragen, weil die meisten Alleinerziehenden Frauen sind und damit am stärksten von Armut betroffen sind. Ich sehe bei den Sozialdemokraten, die ja wirklich schon lange mit an der Regierung sind, nicht, dass sie daran ernsthaft etwas daran ändern. Wir sind eine optimistische Partei, die daran glaubt, dass die Welt besser gemacht werden kann. Insofern kann ich jungen Frauen nur empfehlen, unsere Partei zu wählen.”

Das klingt ja erst einmal alles sehr gut. Gleichzeitig wird gerade immer wieder davon geschrieben, dass Ihre Partei „Volkspartei” werden könnte. Würden Sie Kompromisse eingehen, die Ihre Partei Ihre gerade erklärten Ziele kosten würde, um tatsächlich „Volkspartei” zu werden?

„Ich glaube, dass die Zeiten von klassischen Volksparteien vorbei sind. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir als Partei eine Politik machen müssen, die über unser Kernklientel hinausgeht. Ich muss auch die Menschen auf dem kleinen Dorf in Brandenburg davon überzeugen können, dass grünePolitik auch für sie mitgedacht ist. Und wenn ich etwas umsetzen will, muss ich in der Regel Kompromisse eingehen. Die Frage ist doch immer: Wie weit geht diese Kompromissbereitschaft? Wir haben es in den Jamaika-Verhandlungen gezeigt: Wir haben beim Kohleausstieg nicht erreicht, was in unserem Wahlprogramm stand, aber der Ausstieg wäre immerhin gestartet. Jetzt ist er in einer Kommission gelandet – und die Kohlekraftwerke laufen erstmal weiter. Ich verspreche also nicht, dass wir nie Kompromisse machen werden. Aber ich kann versprechen, dass wir unseren Werten treu bleiben und Kompromisse nur dann eingehen, wenn wir damit auch eine Verbesserung erreichen.”

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