Der weibliche Nachwuchs im MINT-Bereich ist rar. Einige Unis wollen das ändern und bieten daher reine Frauen-Studiengänge in den naturwissenschaftlichen Fächern an. Unter anderem auch in Berlin. Doch kann das die Lösung sein?
Ein Studiengang für die Fächer Physik und Wirtschaft. Wenn man sich den Lehrplan anschaut, könnte man meinen, das ist ein Studiengang wie jeder andere. Und doch gibt es einen wichtigen Unterschied: er ist nur für Frauen.
Angeboten wird der Studiengang seit 2009 an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und ist damit einer von wenigen Studiengängen in Deutschland, die ausschließlich auf weibliche Studierende ausgerichtet sind.
Die Studiengangsprecherin Prof. Dr. Juliane Siegeris meint dazu:
„Jede zweite der Studentinnen im Frauenstudiengang hätte sich nicht für die Informatik entschieden, würde die HTW keinen Frauenstudiengang anbieten“.
Die Hemmschwelle für Schülerinnen und Frauen sei in einem Frauenstudiengang niedriger als in einem Informatikstudiengang. Fachlich jedoch seien die Inhalte gleich. Und auch das Bachelorzeugnis sähe am Ende aus wie jedes andere – ohne Vermerk auf einen Frauenstudiengang.
Nur ein Drittel der Studierenden sind weiblich
Frauenstudiengänge dieser Art werden nur für MINT-Fächer angeboten – mit dem Ziel, den weiblichen Nachwuchs im naturwissenschaftlichen Bereich zu sichern. Denn der liegt derzeit noch weit unter dem Idealwert, aktuell bei 32 Prozent, wie „Komm, mach MINT“, der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen, Ende 2016 in ihrer jährlichen Studie ermittelte.
Doch woran liegt das? Am fehlenden Interesse oder Können sicherlich nicht, zeigt wiederum eine Studie von Microsoft aus dem Jahr 2017, für die 11.500 Mädchen und Frauen zwischen 11 und 30 Jahren befragt wurden. Denn das Interesse ist vorhanden, vor allem zwischen elf und 14 Jahren, doch mit dem fünfzehnten Lebensjahr nimmt es rapide ab.
Quelle: Microsoft | Microsoft News Centre Europe
Die Erklärung liegt nahe: die Hormone spielen verrückt, plötzlich ist einem die Meinung des anderen Geschlechts nicht mehr egal. Mann will gefallen und lässt die Hobbys, die in die Stereotype, in die wir ungefragt gesteckt werden, nicht mehr als „cool“ gelten, als erstes fallen.
Ob man es will oder nicht, man gerät schneller in die Stereotyp-Spirale als man will. So habe ich es zumindest erlebt. Und es ist ja auch nicht so, als würden sich die Schulen darum bemühen, daran etwas zu ändern. Die naturwissenschaftliche Vertiefung wird vor allem Jungs angeboten, Kunst hingegen ist das Fachgebiet der Mädchen. Wer eine schöne Schrift an der Tafel stehen haben will, fragt ein Mädchen. Wer eine flüssige Lesestimme hören will, fragt ein Mädchen. Dass man auch außerhalb der Schubladen denken könnte, haben viele einfach nicht auf dem Schirm.
Und genau dort wollen die reinen Frauenstudiengänge ansetzen. Sie wollen Frauen dazu motivieren, entgegen der vermittelten Geschlechterstereotype zu handeln und ihren wahren Interessen genügend Raum zu geben. Prinzipiell keine schlechte Idee, finde ich. Die Frage, die ich mir allerdings stelle: Ist es mit 19 oder in den 20ern nicht schon viel zu spät für den Versuch, Vorurteile umzuwälzen?
Wenn das Alter von fünfzehn Jahren, wie die Microsoft-Studie zeigt, der „Knackpunkt“ ist, an dem bei den usprünglichen naturwissenschaftlich interessierten Mädchen ein Umdenken stattfindet, müssen wir spätestens da auch ansetzen.
Ist Trennung die Lösung?
Getrennte Klassen, sind zwei Stichworte, die in dem Zusammenhang immer wieder im Raum stehen. Denn laut Untersuchungen können sowohl Jungen als auch Mädchen ihre Interessen, die den Stereotype widersprechen, in getrennten Klassen intensiver ausleben. Doch zu glauben, dass getrennte Klassen tatsächlich etwas an den vermittelten Stereotype ändern werden, ist naiv. Zwar mögen die stereotypischen Konflikte dann kurzzeitig behoben sein, doch auf lange Sicht finden wir uns nur noch tiefer in der Spirale wieder und die Abgrenzung vom anderen Geschlecht wird dazu genutzt, die Homogenität der eigenen „Gruppe“ zu stärken.
Es ist davon auszugehen, dass sich die meisten Kinder dem nicht widersetzen werden, sondern sich den Stereotype annehmen und froh darüber sind, wenn da jemand ist, der ihnen den Weg weist.
Eine Aufteilung der Klassen wäre ein Wegrennen vor den Dingen, denen wir uns tatsächlich stellen müssten: einer von Beginn an von jeglichen Vorurteilen losgelösten Lernumgebung, in der es völlig egal ist, wer sich für welches Fach in welchem Maße interessiert – unabhängig vom Geschlecht (warum redet man da eigentlich immer nur von weiblich oder männlich – schließlich gibt es dabei auch noch andere Dimensionen), Alter, Herkunft und Religion.
Typisch Mann, typisch Frau
Frauenstudiengänge an der Htw Berlin, die von einer „WomenOnly“-Policy leben, machen die Sache nicht unbedingt besser. Die Tatsache, dass es diese reinen Studiengänge nur in den MINT-Fächern gibt (hallo, Vorurteil), umso weniger. Würde man diesen Ansatz weiter verfolgen, müsste man schließlich auch „MenOnly“-Studiengänge in Geisteswissenschaften anbieten und überhaupt müsste jedes Fach, das ein unausgeglichenes Geschlechterverhältnis aufweist, getrennt unterrichtet werden.
Kann also Trennung die Lösung sein? In meinen Augen kaum. Natürlich können Frauen im MINT-Bereich Karriere machen. Und zwar genau so, wie Männer Krankenpfleger, Sekretäre oder Entbindungspfleger werden können. Und ja, es muss Maßnahmen geben, die diese ungleiche Verteilung aufbrechen. Aber ist es nicht schon wieder ein Vorurteil in sich, dass wir dabei wieder von typischen Männer- und Frauenberufen sprechen?
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