Foto: Aziz Archaki | Unsplash

#Metoo: Geht es jetzt nur noch um ein Misstrauen zwischen den Geschlechtern?

Zunächst schien es so, als würde sich mit #Metoo wirklich etwas ändern. Doch die Debatte über Belästigung und sexualisierte Gewalt steuert in Deutschland immer mehr auf einen Kampf zwischen den Geschlechtern zu. Ist das wirklich das, was wir daraus mitnehmen können oder schaffen wir es endlich, Antworten auf das Warum und Lösungen zu finden?

 

Eine nervtötende Debatte

Kaum ein Tag, an dem nicht ein neuer Artikel zu #Metoo und den „Auswüchsen“, ja, der Schieflage der Debatte erscheint, der zu Kommentarexplosionen führt und die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Thema offenlegt. All das nervt, es nervt so sehr wie die Debatte selbst. Denn die Anstrengung, die die Auseinandersetzung mit den Ausmaßen sexualisierter Gewalt, Nötigung und (Alltags-)Sexismus mit sich bringt, die nervt auch. Aber es ist notwendig, jetzt die Nerven zu behalten und das Unbequeme auszuhalten. Veränderung entsteht eben nicht im Vorbeigehen, sondern ist immer Arbeit. Das man dabei differenziert bleiben muss, ist der wahrscheinlich aktuell am häufigsten genannte Kritikpunkt. Nicht jeder Klaps und jedes verrutschte Kompliment sollten mit Gewalt in einen Topf geworden werden. Absolut richtig, aber so, wie ich die Debatte wahrnehme, wird es das auch nicht.

Ja, #Metoo hat sich als Hashtag erweitert, und sich als Label für sexualisierte Gewalt zu einem für vielfältige Formen von Übergriffigkeiten von (hauptsächlich) Männern gegenüber (mehrheitlich) Frauen gewandelt. 

Weil hier jede mit ihrer „kleinen Opfer-Story“ fünf Minuten Aufmerksamkeit haben will? Nein, diese Auslegung ist ein zutiefst zynischer Ansatz, der vor allem ein Abwehrreflex ist. Vielmehr ist es doch so, dass sich mit der breiter werdenden Diskussion viele Frauen endlich getraut haben, auszusprechen, was ihnen im Kontext sexualisierter Machtausübung widerfahren ist – und das ist vielfältig. 

Und wieso jetzt? Wieso reden die Frauen jetzt und nicht schon viel früher, wenn das denn so schlimm war? Wenn es ihr Leben doch so erschwert? Weil das Misstrauen gegen Frauen, ein echtes Anliegen zu haben, bei Themen wie Sexismus und sexualisierter Gewalt riesengroß ist. Das reicht von einem „Ach, so ist der halt!“ bis zu dem demütigenden Argwohn, den Frauen häufig von der Polizeistation bis zum Gerichtssaal ertragen müssen, die den Mut gefunden haben, gegen das, was ihnen widerfahren ist, vorzugehen. 

Warum also jetzt? Ein Ast bricht leicht, viele Äste sind dagegen schwer zu brechen. Hier geht es nicht um ein Aufweichen, ein Bagatellisieren, sondern um ein Weiterführen einer Debatte. Indem man dem „Warum“ hinter der Frage, warum all das so lange stattfinden konnte, ohne, dass es wirklich ans Licht kam, beginnt Stück für Stück nachzugehen. Indem man nach dem großen Aufschlag damit beginnt, einzelne Puzzleteile zu finden, zu benennen und so lange nebeneinander zu legen, bis ein großes Bild daraus wird und man außerdem vielleicht Wege finden kann, das in Zukunft zu verhindern. Denn es ist wichtig, über die schlimmen Einzelfälle hinauszukommen, damit wir diesen kulturellen Sumpf trocken legen können.

Wir brauchen Skepis, ohne Beißreflex

Natürlich tun eine gewisse Skepsis und unterschiedliche Perspektiven jeder Debatte gut – und deshalb ist es auch gut, dass nicht jeder dazu publizierte Artikel der eigenen Wahrnehmung entspricht. Auch das muss man aushalten, abtasten, nachfragen. Was ich nicht verstehe, ist der Beißreflex mancher männlicher, aber auch weiblicher Kollegen. Etwa wenn die Schriftstellerin Thea Dorn die Sorge vor einem „moralischen Totalitarismus“ äußert, man solle jetzt bloß nicht zu hysterisch reagieren. Aber ist nicht genau das hysterisch? Wird derzeit nicht einfach mal benannt, was vielen Frauen tagtäglich passiert? Wieso kann das nicht mal aushalten, ohne gleich dagegen sprechen zu müssen und es wegzuwischen? Oder Adam Soboczynski von der Zeit, der in nachdenklichen Artikeln von männlichen Kollegen, die ihr Verhalten in der Vergangenheit kritisch analysieren, als Verharmlosung von Gewalt sieht. Wird genau dabei nicht alles wieder in einen Topf geworfen? Nun, vor allem ist es unsachlich. Denn die Erfahrungen rund um Sexismus, Belästigung, Übergriffe müssen doch parallel diskutiert werden, da sie am Ende des Tages schmerzlich zusammenhängen. Dass ein Sprücheklopfer damit nicht gleich ein Vergewaltiger ist, sollte klar sein. 

Kann für die Erfahrungen von Frauen und Gedanken nicht mal ernsthaft Raum geschaffen werden, ohne dass sie bagatellisiert oder als Hysterie abgestempelt werden? Um dann auf Basis dessen miteinander darüber zu sprechen, wo wir stehen? Es geht mir nicht in den Kopf.

Altherrenwitz, die Party ist vorbei

Dass die Party des Altherrenwitzes mit verheerender Verspätung beendet wird, wird uns wohl fast allen recht sein. Auf dieser Tanzfläche wird so langsam das Licht angeknipst. Aber auch das bedarf eines Konsens, der über Debatten entsteht, dass das keine Lappalien sind – ohne das in Gleichklang mit dem Leid eines Opfers von sexualisierter Gewalt zu setzen. Müßig, das erwähnen zu müssen. Aber wir können auch diese Puzzleteile nicht wegwischen, weil es lästig wirkt, das jetzt AUCH NOCH besprechen zu müssen. Verdammt, wenn diese Diskussion nicht immer gleich in einem Aufheulen enden würde, dann wären wir doch schon viel weiter. Stattdessen machen wir permanent zwei Schritte vor und drei zurück.

Auch, indem wiederholt die Idee des grundsätzlichen Misstrauens der Geschlechter untereinander aufgemacht wird. Nein, nicht jeder Mann ist ein Täter, Frauen sind nicht alle Opfer, und ja, auch Frauen können Täter sein. Das Gegenteil wird doch überhaupt nicht behauptet, sondern endlich mal ein Schlaglicht auf die Kultur geworfen, in der Sexismus und sexualisierte Gewalt geduldet, totgeschwiegen oder verharmlost werden. Darüber Stillschweigen zu bewahren, ist wohl das Elendste, was man tun könnte. Es muss sich etwas ändern und dazu gehören Wachstumsschmerzen. Aber das führt uns nicht in einen moralischen Totalitarismus, sondern in eine neue Freiheit. Aber dafür brauchen wir Männer, die die Idee eines pauschalisierten Angriffs auf ihr Geschlecht mal beiseite legen und sich darauf einlassen, dass das strukturelle Problem durch viele Faktoren begünstigt wird, und dass das Verhalten und noch viel mehr Nicht-Verhalten demgegenüber ein Faktor davon ist – was im übrigen auch auf viele Frauen zutrifft.

Und wir sollten den Reflex wiederstehen, Frauen, die Missstände benennen, gleich wieder den Opferstatus überstülpen zu wollen – auch das ist doch lediglich ein Machtspiel. Es ist unglaublich stark, über erniedrigende Erlebnisse aller Art zu sprechen, wo soll hier ein Opfer erkennbar sein? Der Versuch, die Debatte dahingehend umzusteuern, ist doch wieder ein Versuch, sie stillzulegen. Vielleicht könnten wir die Abwehrreflexe identifizieren, innehalten und dann tatsächlich überlegen, wie wir ein Klima schaffen, in dem sowohl Sexismus nicht mehr kleingeredet als auch sexualisierte Gewalt die nötige Ernsthaftigkeit erhält – und sich auch auf politischer Ebene Gedanken darüber gemacht wird, wie wir die Machtverhältnisse in Balance bringen können. Bislang ist das, entgegen der scheinbar herrschenden Hysterie, nämlich noch nicht der Fall.

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