Foto: Lena Lammers | Redaktion

„Ich will nicht das neue Chanel N°5 kreieren“ – was dann? Zu Besuch im Labor einer Parfümeurin

Düfte gibt es in Drogeriemärkten im Überfluss, Parfümeure für große Marken aber nur 70 weltweit. Marie Le Febvre ist eine davon. Wir haben sie in ihrem Labor in einem Schöneberger Hinterhaus besucht.

 

Das Duft-Paradies im Hinterhof

Berlin-Schönberg. Aus der U-Bahn-Station die Treppe hinauf an die frische Luft, durch die engen Straßen, vorbei an gemütlichen Cafés. Ein familiäres Viertel, oder wie manche sagen: „Da ist die Welt noch in Ordnung.“ Mein Ziel: Eisenacher Straße 57. Ein Ladenschild, ganz dezent, mit dem Schriftzug „urbanscents“. Was von außen aussieht wie eine Kunstgalerie, versteckt im hinteren Teil das Duftparadies der Parfümeurin Marie Le Febvre. Die 39-jährige Französin ist eine von etwa 70 ausgebildeten Parfümeuren weltweit und gehört damit zur „Fine Fragrancy“ – den Parfümeuren, die sich ausschließlich auf Duftwässer spezialisiert haben. Zähle man die Parfümeure hinzu, die auch bei Shampoo, Zahnpasta und Putzmitteln ihre Finger im Spiel haben, komme man auf rund 200, sagt Marie. 

Der Name „urbanscents“ rührt nicht daher, dass sich ihr Duftlabor im städtischen Berlin befindet, sondern stammt vom Nachnamen ihres Ehemanns: Sascha Urban. Die beiden lernten sich in Paris bei ihrer Arbeit für eine bekannte Duftmarke kennen und zogen gemeinsam nach Berlin. Aus dem einfachen Grund: Das, was sie machen, gab es in der Hauptstadt bis dato noch nicht.

Wir sind für 11 Uhr verabredet. Während Marie noch ihren dreijährigen Sohn zur Kita bringt, schaue ich mich schon einmal um. Die Liebe zur Kunst, die vor allem ihr Mann zu pflegen scheint, ist auch in ihrem Reich zu erkennen: kunstvoll drapierte Seile hängen von der Decke herunter, das Interior ist in einem schlichten Weiß gehalten. Das Duftlabor ist durch eine Wand mit einem großen Glasfenster abgetrennt. Auf den Wandregalen dahinter reihen sich hunderte von dunkelgrünen Flaschen mit natürlichen und synthetischen Duftessenzen.

Die Flaschen sind alle marokkanische Spezialanfertigungen, wie mir Marie später erzählt. Massenproduktionen seien nichts für sie. Lieber würde sie für die Flaschen mehr zahlen, wenn sie sich sicher sein könne, dass mit Hand und Herz an ihnen gearbeitet werde, sagt sie.

„Jeder Tag ist eine neue Geschichte“

Marie Le Febvre legt definitiv viel Herz in ihre Arbeit. Jeder Tag ist für sie eine Geschichte, die neu geschrieben werden muss. Das einzige Kapitel, das sich dabei täglich wiederholt: Das Riechen und Überprüfen ihrer Duftkreationen vom Vortag. Das sei besonders wichtig, da die Entwicklung der einzelnen Komponenten über die Zeit hinweg beobachtet werden müsse, sagt sie. 

Marie riecht an den Duftstreifen vom Vortag: Wie hat sich der Duft entwickelt?

Es gibt Essenzen, die haben ihre ganz eigenen Charaktere, andere funktionieren nur in Verbindung mit anderen, weitere entfalten ihren Duft erst nach einigen Stunden. 

Die Zutaten ihrer Düfte bezieht sie aus Südfrankreich. Dort betreibt Marie eine Partnerschaft mit einer kleinen Firma, die weltweit mit rund 20 unabhängigen Parfümeuren kooperiert. Die Preise für die Duftessenzen variieren dabei stark: Pures Öl des asiatischen Süßgrases Vetiver kostet beispielsweise 600 Euro pro Kilogramm, die Essenz der Rose aus Marokko oder der Türkei kostet 9000 und für Oudh, ein harzgetränktes tropisches Holz, zahlt man sogar 20.000 Euro pro Kilo. 

Ein Parfum als eigene Identität

Dass Marie eine besondere Vorliebe für grüne Duftnoten hat, insbesondere für die des Vetivers, liegt vor allem an ihren Kindheitserinnerungen. Die seien vor allem geprägt von dem Garten ihrer Familie, dem Duft nach frisch gemähtem Gras und geröstetem Brot mit Marmelade, schwärmt Marie. 

Auch ihr erstes Parfüm „Ô de Lancôme“, das sie sich mit 13 Jahren selbst ersparte, war frisch, roch nach grünen Noten und viel Zitrone. Als ihre beste Freundin sich das gleiche Parfüm kaufte, hatte Marie das Gefühl, ihr würde damit ein Stück ihrer Identität gestohlen werden. Nie wieder fand sie einen Duft, der ihr ein solches Gefühl gab und so viel Freude schenkte. An diesem Punkt wurde ihr bewusst, wie wichtig ein gutes Parfüm ist und dass es die Befindlichkeit eines Menschen beeinflussen kann. 

Mit dieser Erkenntnis versuchte sie, im Duft-Geschäft Fuß zu fassen. Der erste Schritt: ein einwöchiges Praktikum in einer Parfüm-Firma im Alter von 14, als Nesthäkchen der Firma. Dort lernte sie einen Parfümeur aus Grasse kennen, der ihr am Ende des Praktikums eine kleine Box mit Duftstreifen, Papier und verschiedenen Essenzen schenkte; mit der Aufgabe, an den Düften zu riechen, ihre ersten Eindrücke zu notieren und die Duftentwicklung zu beobachten. Das war nicht nur ein gutes Training für ihre Nase, sondern vor allem der „Turning-Point“ ihrer Karriere, sagt Marie. Nach der ersten Box folgten weitere. 

„Ohne diesen Mann wäre ich nicht hier. Ich entdeckte neue Zutaten und erkannte, dass jede ihr eigenes Leben hat. Manche bleiben zwei Minuten, andere hingegen bleiben für immer. Dieser Lernprozess war faszinierend für mich.“

Keine Konkurrenz unter Parfümeuren

So fasste sie den Entschluss – ganz entgegen ihrer persönlichen Interessen – Chemie zu studieren. Nur, um ihren Platz auf der Parfümschule zu ergattern. Natürlich habe sie viel auf der Schule gelernt, sie war so stolz, die Chance zu erhalten, erzählt sie, doch die eigentliche Magie des Berufes läge in dem Austausch mit anderen Parfümeuren, dem Teilen und Kooperieren. 

„Ich liebe, was die anderen so tun. Die Welt der Parfümeure ist klein. Wir sind keine Konkurrenten, sondern bitten die anderen auch gerne mal um Hilfe, wenn wir bei der Formulierung nicht mehr weiter wissen.“

Als mich Marie an den verschiedenen Duftessenzen riechen lässt und mich nach meinen ersten Eindrücken fragt, ist meine Nase überfordert. Ich weiß, dass ich den Geruch kenne, doch zu definieren, was es ist, welche Duftnoten enthalten sind, ist für mich unmöglich. Marie beruhigt mich: Da sei ich nicht die Einzige. Die größte Schwierigkeit bei der Zusammenarbeit mit ihren Kunden bestehe darin, herauszufinden, welcher Duft ihnen vorschwebt. So beispielsweise der Geruch der Sauberkeit: Was ist sauber? Ein Baby vielleicht. Aber aus welchem Land? In Deutschland würden Babys eher nach floralem Bepanthen duften, in England sei es hauptsächlich Puder mit Vanille-Duft. Die genaue Definition des Geruchs sei ein langer Prozess und vor allem: sehr intim. 


Sie vergleicht das Kreieren von Düften gerne mit Kochen: Fast alle Zutaten, die auf ihren Regalen stehen, hat sie im Kopf. Man kann sie einzeln für sich nutzen oder durch das Zusammenfügen der Komponenten neue Dimensionen erreichen. Wenn sie etwas beschreibt, so sagt Marie selbst, gehe das stark über ihren Geschmack. Ihr Geruchs- und Geschmackssinn funktionieren nur miteinander. 

Gerüche sind wie Fotoalben

Ein Duft ist für Marie nicht nur eine Geruchskomposition, sondern vor allem eine Erinnerung an einen bestimmten Moment oder eine Person. So zum Beispiel der Duft ihrer Mutter, den sie während Maries Kindheit trug. Umso schwieriger sei es ihr gefallen, als ihre Mutter den Duft wechselte. Denn: Sobald die Düfte einmal in ihrem Kopf abgespeichert sind, ist der Duft für immer mit einer Person verbunden. Den früheren Duft ihrer Mutter hat sie immer noch: für die schwachen Momenten, wenn sie sich nach einem „nostalgischen Sniff“ sehnt.

Ein Blick hinter die Kulissen: Das Duftlabor. 

Mindestens sechs Monate dauert und rund 8000 Euro kostet es, wenn Marie einen individuellen Duft, die eigene Identität kreieren soll. Da der Prozess sehr intensiv sei, selektiere sie auch, mit wem sie zusammenarbeite, sagt Marie. Da müsse die Harmonie einfach stimmen. Den Job vergleicht sie mit einem Reiseerlebnis – dessen Ziele man jedoch gut auswählen sollte. 

„Man reist die ganze Zeit. Entweder mit Personen, weil sie einen einladen auf eine Reise zu ihren eigenen Erinnerungen oder man reist selbst, auf der Suche nach neuen Zutaten, Rezepten, Kompositionen.“

Dabei fühle sie sich manchmal wie ein „Ghostwriter“, der die Identität der anderen erschaffe. Was man als Parfümeur brauche? Sie wolle nicht das neue Chanel N°5 kreieren, sondern eigene Identitäten erschaffen. „Entweder du fühlst es oder du fühlst es nicht.“

Back to the roots

Knapp drei Stunden später tauche ich aus der Duftwelt wieder in das alltägliche Geschehen ein. Während mich wieder die kalte Berliner Luft einholt, träume ich noch von Blutorange, Bergamotte, purer Vanille, Rose und Leder. Als ich wieder in die Bahn steige, begrüßt mich der dumpfe Geruch des Burgers meines Sitznachbarn. Hallo, Realität. 


Einzeln abgefüllt: Düfte in extra angefertigten Flaschen. 

Ein Blick aus dem Duftlabor bis zur Straße. 

Eigene Duftserie von urbanscents: Fünf verschiedene Düfte. Quelle aller Bilder. Lena Lammers | Redaktion

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