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Beim Kauf der Pille danach gibt’s die Diskriminierung gleich kostenlos dazu

Seit etwas mehr als drei Jahren ist die „Pille danach“ nun rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Wie gehen die Apotheker*innen damit um und wie sieht die Vergabepraxis aus? Das haben zwei Frauen für ihre Masterarbeit untersucht. Und eins wird deutlich: Wertfrei werden die Kund*innen oft nicht behandelt.

„Die Pille danach“ – das besondere Medikament?

Wenn ich in meinem weiblichen Freundeskreis über die Pille danach spreche, dann eint viele, die sie schon einmal in Anspruch nehmen mussten, ähnliche Erfahrungen in der Apotheke: kritische Blicke, manches Mal ein tiefes Seufzen auf der anderen Seite der Verkaufstheke oder gar ein bissiger Kommentar. Wer die Pille danach in Anspruch nimmt, hat offensichtlich etwas falsch gemacht. Und bekommt das auch gerne mitgeteilt.

Dass es viele unterschiedliche Gründe dafür gibt, auf die Pille danach angewiesen zu sein und dahinter nicht immer Gedankenlosig- oder Fahrlässigkeit (der Person, die sie einnehmen muss) steckt, wird offensichtlich gerne mal vergessen. Ich nahm bisher an, dass das eine sehr subjektive Wahrnehmung auf die Vergabepraxis der Pille danach ist. Aber es ist eine, die nun auch mit einer Studie belegt wird. Was lässt sich daraus ableiten?

Seit mehr als drei Jahren ist die Pille danach nun rezeptfrei erhältlich und Stefanie Freytag und Verena Dierolf, Absolventinnen der Hochschule Fulda, haben die Vergabepraxis von 143 Apotheken in Hessen für ihre Masterarbeit untersucht. Für ihre Arbeit, die das erste Mal quantitativ belegbare Daten für dieses Thema liefert, wurden sie kürzlich mit dem Henriette-Fürth-Preis ausgezeichnet. Ihr Ergebnis: 70,3 Prozent der Apotheker*innen sehen die Pille danach als „besonderes Medikament“, das nicht mit anderen rezeptfreien Medikamenten vergleichbar ist. 70,4 Prozent sind der Meinung, dass die Pille danach ein medizinisch bedenkliches Medikament ist und eine Mehrheit hielt es für eher wahrscheinlich, dass Frauen durch den Kauf der Pille verantwortungslos mit der Verhütung umgehen. Warum das so ist, bewerten Stefanie Freytag und Verena Dierolf in der Fuldaer Zeitung so: „Es ist anzunehmen, dass erstens moralische Bedenken, zweitens die Bundesapothekenkammer-Empfehlung und drittens die jahrelangen Diskurse um die Rezeptfreigabe zu dieser Annahme beim pharmazeutischen Personal führen.“

Mit welchem Recht bewerten Apotheker*innen den Kauf der Pille danach?

Interessant und auch besorgniserregend ist dabei, dass es nicht bei der stillen Annahme der Verantwortungslosigkeit der Kund*innen bleibt, sondern diese Haltung auch bei der Ausgabe der Pille eine Rolle spielt – und auch zu einer offen ausgesprochenen Wertung der Käufer*innen führt. „Wir haben beispielsweise diskriminierende „Aufklärungsversuche“ registriert, die nicht nur den niedrigschwelligen Zugang gefährden, sondern auch mit den sexuellen und reproduktiven Rechten nicht zu vereinbaren sind“, schreiben die beiden Wissenschaftlerinnen.

Das sind Ergebnisse, die wütend machen. Denn offen ausgelebte moralische Bedenken haben bei der Vergabe der Pille danach nichts zu suchen. Es ist schlichtweg nicht die Aufgabe der Apotheker*innen, die Notwendigkeit oder auch die Entscheidung für ein Medikament zu bewerten, das zudem keine abortive Wirkung hat, sondern sie haben zu gewährleisten, dass ihre Kund*innen gesundheitlich versorgt sind. Die Pille danach, das legen die Ergebnisse nahe, ist ein Medikament, das vermeintlich Einblicke in die Privatsphäre gibt, wie es auch viele andere Medikamente tun oder suggerieren – und es ist ein Bereich, der für Frauen gesellschaftlich selten wertungsfrei abläuft. Doch gerade medizinisch beziehungsweise pharmazeutisch geschultes Personal muss in der Lage sein, persönliche moralische Vorstellungen hintenanzustellen und professionell zu handeln.

Unsicherheit und persönliche Befindlichkeit darf sich nicht auf die gesundheitliche Versorgung von Frauen auswirken

Wie weit geht die Wertung? Eine befragte Apothekerin habe, so berichten Freytag und Dierhoff, eine Kundin sogar als Wiederholungstäterin bezeichnet. Eine Wortwahl, die gut beschreibt, was man gemeinhin einen Verhütungs-Gap nennt: Frauen sind, so wird mehrheitlich still angenommen und auch praktiziert, für die Verhütung in Beziehungen verantwortlich – hier wird sie sogar zur „Täterin“. Und eine Wortwahl, die ausklammert, was der*die Apotheker*in nicht wissen kann, aber immer berücksichtigen sollte: Was ist, wenn die Frau in die Situation gekommen ist, weil ihr Gewalt angetan wurde? Was ist, wenn sie in einer Beziehung lebt, in der ihr Verhütung nicht gestattet ist? Was ist, wenn sie aus rein gesundheitlichen Gründen, etwa, weil sie sich kurz nach der Einnahme erbrochen oder Durchfall bekommen hat, auf die Einnahme angewiesen ist? Und wieso sind diese Fälle für eine Mehrheit der Befragten nicht die erste Annahme, sondern jene, dass die Kund*innen falsch oder fahrlässig gehandelt haben?

Und das führt auch schon zum schwerwiegendsten Ergebnis der Studie. Denn bestand der Verdacht, dass die Pille danach wegen einer Vergewaltigung benötigt wird, wurde die Pille danach nur bei etwas mehr als der Hälfte der Fälle herausgegeben. Freytag und Dierhoff erklären das mit einer Unsicherheit der Apotheker*innen im Umgang mit Opfern von sexualisierter Gewalt.

Es besteht ganz offensichtlich Handlungsbedarf und es bleibt zu hoffen, dass die Bundesapothekenkammer sich die Ergebnisse zu Herzen nimmt – aber wir auch als Gesellschaft bewusster und vor allem wertungsfreier über die Pille danach sprechen. Denn das Ergebnis wäre ganz sicher nicht, dass Frauen sich die Pille danach einschmeißen wie „Smarties“, sondern dass ihnen fehlgeleitete Diskriminierung erspart bleibt – und ihnen keine Hilfe verweigert wird, wenn sie sie dringend benötigen.

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