Foto: John Flannery – Flickr – CC BY-ND 2.0

Dr. Sandra Reich: „Nur mit gemischten Teams entsteht ein vollständiges Bild vom Markt“

In der Finanzbranche kommen selten Frauen an die Spitze. Dr. Sandra Reich, Geschäftsführerin der Börse Hamburg und der Börse Hannover, wurde vor über sechs Jahren Deutschlands jüngste Börsenchefin. Sie sagt: Gemischte Teams sind kreativer.

 

Wo sind die Frauen in der Finanzwelt?

Neulich ist es mir schon wieder passiert. Bei einer Veranstaltung eröffnete der Redner seinen Vortrag mit der Begrüßung „Sehr geehrte Frau Dr. Reich, sehr geehrte Herren“. Und dies ist leider keine Seltenheit in meiner Branche.

Und es ist wenig Änderung in Sicht. Gerade in Deutschland ist der Anteil von Frauen in den Chefetagen von Finanzdienstleistern niedrig. Zum Beispiel sind nur acht Prozent aller Manager von Investmentfonds hierzulande weiblich.

Erfolg durch Innovationsgeist

In meinem Unternehmen bemühen wir uns darum, es anders zu machen – aus Tradition und Weitblick. Die Börse in Hamburg ist die älteste Wertpapierbörse in Deutschland, und auch die Geschichte der Börse Hannover geht zurück bis auf das Jahr 1785. Mit nur 20 Mitarbeitern zählen die beiden norddeutschen Börsen heute zu den erfolgreichsten deutschen Börsen. Ein Erfolgsfaktor: Wir arbeiten mit einer Mischung aus Innovationsgeist, Kreativität und Serviceorientierung – und setzen deshalb ganz bewusst schon seit Jahren auf gemischte Teams.

In den vergangenen Jahren haben wir uns zum Beispiel besonders für die nachhaltige Geldanlage engagiert und mit dem Global Challenges Index einen Index für besonders nachhaltig wirtschaftende Unternehmen geschaffen.

Gute Führung ist offen für Veränderungen

Um solche Innovationen in einem Unternehmen zu fördern, ist es wichtig, eine offene Diskussionskultur zu schaffen und Querdenken zuzulassen. Eine Haltung, die verschiedene Meinungen zulässt, prägt daher meine Vorstellung von guter Führung. Gute Führung bedeutet für mich, mehr denn je bereit zu sein für Veränderungen, ohne Traditionen aufzugeben. Ich denke nicht, dass Veränderungsbereitschaft typisch weiblich ist. Aber der unterschiedliche Denk- und Arbeitsstil von Frauen, Männern, jungen und alten, Betriebswirten oder Juristen etc. bereichert jede Mannschaft und hilft, Themen und Ideen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Denn Fakt ist: So entsteht leichter ein vollständiges Bild vom Markt und der breiten Masse der Anlegerbedürfnisse.

Gemischte Teams sind für Erfolg unabdingbar

Von Vorteil für eine Führungsposition ist sicherlich eine ganzheitliche Betrachtungsweise: Ich liebe es, wenn kreative Ideen konsequent bis zum Ende durch- und umgesetzt und Mut und Einsatz belohnt werden. 

Denn angesichts der großen aktuellen Herausforderungen in unserer Branche, getrieben durch rasante Veränderungen der Anlegerbedürfnisse, der Regulierung, der Beratungsseite, die digitalen Medien und ein neues Anlageverhalten aufgrund von einer anhaltenden Niedrigzinsphase, sind gemischte Teams für den Erfolg im Wettbewerb unabdingbar.

Wenn unterschiedliche Generationen, Geschlechter oder Ausbildungen zusammenkommen und gemeinsam für die Unternehmensziele Hand in Hand arbeiten, sind die Voraussetzungen ideal. 

Investition in Unternehmen, die Diversity in ihrer Führung leben

Fehlt diese Offenheit, ist auf der anderen Seite auch die Mischung sinnlos. Braucht es also überhaupt die Frauenquote? Ich merke, sie ist ein wichtiges Signal. Und dass die Regelung nicht für Vorstandsposten gilt, ist ebenfalls richtig. Denn hier spielt der persönliche Wille zu Verantwortung und Engagement eine große Rolle. Und ich finde noch etwas wesentlich: Nach der monatelangen emotionalen Debatte war es Zeit für ein Instrument, das eine sachliche Darstellung von Diversity ermöglicht. Deshalb haben wir an der Börse Hannover im April 2015 den German Gender Index gestartet.

Er umfasst 50 Unternehmen, die sich durch ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern in ihren Führungsgremien vom Wettbewerb abheben. Mit dabei sind zum Beispiel die Lufthansa, Henkel und Siemens, aber auch die Deutsche Bank und Thyssen Krupp.

Sehr geehrte Damen und Herren …

Ein Index, der sich dieses Themas annimmt, kann zwar nicht allein den Erfolg oder Misserfolg von Diversity zeigen – das wirtschaftliche und regulatorische Umfeld spielen jeweils eine große Rolle. Er bewertet das Engagement der Unternehmen auch nicht. Aber er bietet Anlegern die Möglichkeit, in Unternehmen zu investieren, die sich dem Thema Diversity im Management bislang stärker annehmen als andere.

Denn das Interesse auf Seiten der Investoren für die Chancen, die ein Miteinander verschiedener Sichtweisen bringt, ist groß. Und so wird es hoffentlich auch bei Veranstaltungen, bei denen ich zu Gast bin, künftig häufiger heißen: „Sehr geehrte Damen und Herren …“

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