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Warum Sexarbeiterinnen gegen das neue Prostituiertenschutzgesetz klagen

Prostituierte in Deutschland sind neuerdings verpflichtet, sich offiziell beim Amt zu melden, regelmäßige gesundheitliche Beratungen zu besuchen und einen Berufsausweis mitzuführen. Das seit dem 1. Juli geltende, sogenannte Schutzgesetz für Prostituierte entpuppt sich als diskriminierende Zwangsveranstaltung für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter.

 

„Es ist ein Verstoß gegen Menschenrechte“

„Es ist eine Entmündigung, ein Angriff auf Frauenrechte  – und damit auch ein Angriff auf Menschenrechte.“ Simone Wiegratz  ist Leiterin der Berliner Beratungsstelle Hydra und Vorstandsfrau von bufas e.V., dem Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeitende. „Das Gesetz unterstellt Frauen per se, dass sie nicht wüssten, was sie tun.“

Im Gegensatz zum bisher geltenden Prostitutionsgesetz von 2002 soll das Prostituiertenschutzgesetz „Sexarbeiterinnen vor Zwangsprostitution, Menschenhandel, Ausbeutung und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen schützen“. Das bisherige Gesetz hatte die Sexarbeit zivilrechtlich gestärkt, indem sie nicht mehr als sittenwidrig eingestuft wurde. Gleichzeitig beklagten viele, es habe dem Gewerbe und dadurch auch der Zwangsprostitution einen Nährboden geboten. Diese Entwicklungen sollen durch das neue Gesetz reguliert werden, das im September 2016 beschlossen wurde und nun zum 1. Juli 2017 in Kraft getreten ist. Wie die Meldepflicht und eine Ausweispflicht konkret zum Schutz einer Sexarbeiterin beitragen sollen, bleibt dabei allerdings offen. Ein Punkt, den auch die Linke schon bei der Anhörung im Bundestag im Juli 2016 bemängelte.

Hier sind die wichtigsten Punkte im Gesetz zusammengefasst von Hydra e.V. 

Zwang ist kontraproduktiv

Auch der Deutsche Juristinnenbund e.V. kritisierte schon die ersten Entwürfe des Gesetzes, insbesondere die verpflichtenden Gesundheitsberatungen. Klingen die nicht erstmal ganz sinnvoll? Die Erfahrung zeigt das Gegenteil: 2001 hat die Regierung mit dem Infektionsschutzgesetz schon einmal die verpflichtende Untersuchung und Beratung von Prostituierten abgeschafft. Denn es hat nicht funktioniert. Simone Wiegratz weiß, warum: „Beratung kann nur sinnvoll sein, wenn sie freiwillig eingeholt wird.” Alles andere führe zu Ablehnung und „Augen-zu-und-durch”. Eine einheitliche Zwangsberatung, die in keiner Weise auf die individuellen Sorgen und Probleme einer Sexarbeiterin eingeht, ist also erfahrungsgemäß kontraproduktiv.

Das Gesetz und seine Auflagen – und das ist wirklich bedauernswert –  schadet dem mühsam und über Jahre aufgebauten Vertrauensverhältnis zwischen Sexarbeiterinnen und Organisationen wie Hydra, die sich jeden Tag für die Rechte, Sicherheit und Gesundheit von Prostituierten einsetzen. Es hat lange gedauert, bis die anonymen und freiwilligen Beratungsangebote von Prostituierten genutzt wurden.

Eine gute Entwicklung bringe das Gesetz jedoch, so Simone Wiegratz: „Endlich gibt es eine gewerberechtliche Möglichkeit der Anmeldung für selbstständige Sexarbeiterinnen und Betreiber.” Für die Vorsitzende von Hydra enden hier aber die Fortschritte, die das Gesetz mit sich bringt, das von der Großen Koalition beschlossen wurde. Man gebe den Frauen dadurch ein Gesicht, hole sie aus der Unsichtbarkeit und schütze sie damit vor Menschenhändlern. Dass Menschenhandel und Prostitution zwei unterschiedliche Dinge sind, scheint hier nicht von Belang.

Eine treibende Kraft hinter dem Gesetz war die ehemalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), die fehlende Regeln für das Gewerbe im bisherigen Prostitutionsgesetz bemängelte: „Es ist in Deutschland einfacher,  ein Bordell zu eröffnen, als eine Pommes-Bude.” Nur – kein Imbissbetreiber wird zukünftig verpflichtet, seine Hygieneschulung alle zwei Jahre zu wiederholen. Genauso wenig, wie seine Imbissbude auf Verdacht von der Polizei durchsucht werden darf oder getrennte Toiletten vorweisen muss. Beides, sowohl die regelmäßige Gesundheitsaufklärung, wie auch die baurechtlichen Maßnahmen für Kleingewerbe, sind in Zukunft für Sexarbeiter verpflichtend.

Wie ein scharlachroter Buchstabe

Michaela Fröhlich, Leiterin der Beratungsstelle Mimikry in München, erklärte in der Süddeutschen Zeitung, dass die Melde- und Ausweispflicht die Sexarbeit weiter stigmatisieren, anstelle sie ernsthaft als Gewerbe anzuerkennen. „Hurenpass“ wird das Stück Papier schon jetzt genannt – ein Ausweis wie ein scharlachroter Buchstabe. Ja, sie tragen ihn nicht sichtbar auf ihrer Brust, aber eine Anonymität ist mit der Meldung auf dem Amt nicht mehr gewährleistet. Das Gesetz kommt einem Zwangsouting gleich, in einer Branche, die von vielen Frauen und Männern nebenberuflich ausgeführt wird. Leider gibt es keine Zahlen, die belegen wie viele sich mit Sexarbeit etwas dazuverdienen, aber ein Outing durch die Anmeldung gefährdet nicht nur ihre das private, sondern auch das berufliche Dasein dieser Menschen. Um diesem Outing zu entgehen – da sind sich die Vereine sicher –  werden viele die Meldung verweigern und sich somit zwangsläufig in die Illegalität bewegen. Unter solchen Umständen, so Fröhlich, seien die Frauen wären für jegliche Art von Beratungsangebot nicht mehr greifbar.

Gefragt, aber nicht gehört

Wie kann es sein, dass ein Gesetz, das seit mehr als 15 Jahren diskutiert und seit einer gesamten Legislaturperiode bearbeitet wird, jetzt völlig am Ziel vorbei schießt? „Es wurde auf einer rein politischen und moralischen Grundlage verfasst“, erklärt Wiegratz.  2014 seien die einschlägigen Organisationen – von der Diakonie über das Gesundheitsamt, bis zu den Vereinen –  zwar von der Regierung aufgefordert worden, ihren Input zu leisten. Aber die wichtigsten Anliegen, wie gerade der dringende Rat zum Ausbau der freiwilligen Beratungsangebote, wurden schlicht nicht gehört.

Schon der Name des Prostituiertenschutzgesetz widerspricht seinen Inhalten. Der Juristinnenbund und der Verein Hydra sind sich einig: Er konterkariere das behauptete Ziel einer Stärkung von Sexarbeiterinnen, und signalisiere, dass Sexarbeiter grundsätzlich eine schutzbedürftige Bevölkerungsgruppe sind. Sie bevormunden die Männer und Frauen und beschneiden ihr Recht auf freie Berufswahl und sexuelle Selbstbestimmung. Eine Einschätzung, die auch die Grünen teilen. Bundestagsabgeordnete Ulle Schuaws erklärte: „Wer Kriminalität und Ausbeutung bekämpfen will, muss differenziert vorgehen.“ Die Vermischung des Themas mit dem Menschenhandel sei hingegen nicht zielführend.

Prostitution ist nicht gleich Zwangsprostitution

Denn aus ihrer täglichen Erfahrung wissen Simone Wiegratz und ihre Kolleginnen in anderen Verbänden, dass viele Menschen und nun auch dieses Gesetz, die Begriffe Zwangsprostitution und Prostitution als Synonyme verwenden. Aber genau das entspricht nicht der Realität.

Noch bis Ende des Jahres gelten Übergangsregelungen. Aber was wird danach passieren? Im Gesetzestext heißt es, es sei ein Gesetz „zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen”. „Regulierung”, so Wiegratz, „heißt in diesem Fall Einschränkung. Und das wird man schaffen.” Denn die kleinen Stätten, wie sie in Berlin vor allem betrieben werden, werden massiv eingeschränkt werden. Große Betriebe dagegen werden gestärkt werden aber wohl aus den Stadtgebieten verschwinden. Damit werden der Verlust der Selbstbestimmung und die Gefährdung der Sicherheit der Sexarbeiterinnen in Kauf genommen. „Durch solche Maßnahmen verbessert sich die moralische Haltung der Bevölkerung gegenüber der Prostitution nicht. Wahrscheinlich sogar im Gegenteil.”

Folge sind Angst, Verunsicherung und Wut unter den Betroffenen. Zum ersten Mal ziehen nun Prostituierte vor das Bundesverfassungsgericht. Im Namen der Frankfurter Beratungsstelle „Doña Carmen” und ihrer Unterstützer hat der Verfassungsjurist Meinhard Starostik am Bundesverfassungsgericht bereits im Juni Klage gegen das Gesetz eingereicht. Hauptpunkte der Klage seien der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte bei der Kondompflicht, der viel zu engen Überwachung einer Berufsgruppe mit der Anmelde- und Beratungspflicht und der Kontrollpflicht, die Betreibern von Bordellen auferlegt wurde.

Titelbild: h3xtacy | flickr | CC BY 2.0

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