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#Metoo: Es ist keine Option, nicht über schlechten Sex zu sprechen

Die Entwicklung der #Metoo-Debatte und die Verunsicherung, die damit einhergeht, zeigt eines sehr deutlich: Wir müssen über das reden, was hinter der Schlafzimmertür passiert, damit einvernehmlicher Sex endlich selbstverständlich wird.

 

Über Sex und das große Schweigen

„Nur“ schlechter Sex oder schon ein sexualisierter Übergriff? Im Fall des Berichts einer New Yorker Fotografin über ein Date mit dem Schauspielerin Aziz Ansari gehen die Meinungen auseinander. Was sie als „schlimmste Nacht ihres Lebens“ bezeichnet, indem sie erklärt, warum sie sich in die sexuellen Handlungen hineingezwungen fühlte, hätte sie, so die eine Seite, doch einfach mit einem deutlichen Nein zu allem Körperlichen und ihrem Weggehen verhindern können. Oder wie es die Journalistin Caitlin Flanagan ausdrückte: „Offensichtlich gibt es jede Menge Frauen, die nicht wissen, wie sie sich ein Taxi rufen können…“ Selbst schuld!

Die andere Seite legt nahe, dass sie nicht nur ausgesprochen hat, dass sie bestimmte Dinge nicht möchte, sondern das auch durch ihr Verhalten gezeigt hat, sowie nicht eindeutig „Ja“ zum Sex sagte – und es sich deshalb weder um einvernehmlichen Sex, noch um eine Grauzone handle, in der sie einfach hätte besser reagieren sollen. Aziz Ansari selbst verneint keine der Schilderungen von Grace, wie sie im Text genannt wird, aber gibt an, dass es für ihn so schien, dass sie sich wohl fühlte.

Warum geht die Wahrnehmung der beteiligten Personen so weit auseinander? Ist das vor allem seine Ignoranz oder ihr Unvermögen, klar zu sagen, was sie möchte? Und darf so etwas überhaupt in Zusammenhang der #Metoo-Debatte besprochen werden, die doch mit schwerwiegenden Übergriffen startete?

#MeToo: Was darf, was muss besprochen werden?

Das fragt sich auch der Zeit-Online-Redakteur Thomasz Kurianowicz in einem aktuellen Text. Er glaubt, dass die #MeToo-Debatte mit Aziz Ansari möglicherweise zu weit gegangen ist und stellt zur Debatte, ob wirklich „jede missglückte Sexerfahrung ins Plenum der Öffentlichkeit“ gehört. Aber ist die anhaltende Diskussion darüber, was genau an diesem Abend geschehen ist, nicht genau der Hinweis darauf, dass wir über diese Situationen, auch in der Öffentlichkeit, sprechen müssen? Auch regt er an, diese vermeintlichen Grauzonen doch lieber literarisch zu verhandeln, wie es etwa die Kurzgeschichte „Cat Person“ getan hat, die vor ein paar Wochen im „New Yorker“ erschien und ebenfalls für viel Aufmerksamkeit sorgte.

Auch hier geht es um die Situation, dass eine Frau Sex mit einem Mann hat, sich dabei unwohl fühlt, aber nicht weiß, wie sie da rauskommen soll. Ihr kommt kein Nein über die Lippen, weil sie Angst hat, ihn vor den Kopf zu stoßen. Weil es sich für sie falsch anfühlt, nun aus etwas auszusteigen, das sie zuvor mit angeleiert hat. Ja, die Geschichte ist sicherlich ein guter Startpunkt, um über konsensualen Sex zu spreche. Und doch kann die literarische Annährung nur ein erster Zugang sein, weil das Verhandeln eines literarischen Texts eine viel zu angenehme Distanz bietet, die hinderlich ist, wenn man den Status Quo wirklich verändern möchte. Über Sex und Intimes reden kann schmerzhaft sein, und es braucht für eine Auseinandersetzung damit sicherlich nicht immer Namen, aber der Unterhaltung an sich müssen wir uns noch sehr viel besser stellen, als wir das bislang tun.

Warum wir das Konkrete so sehr brauchen, wird doch eindeutig, wenn man bedenkt, dass es offensichtlich nicht gereicht hat, jungen Menschen einfach mit auf den Weg zu geben: Guter Sex setzt voraus, nur das zu tun, was sich für einen selbst und den anderen gut anfühlt. Das hat nicht ausgereicht, um die „Grauzonen“ hinter sich zu lassen. Ohne das Sprechen über Sex kann es keine sexuelle Selbstbestimmung geben. Und sexuelle Selbstbestimmung gibt es nicht, wenn es keine klaren Grenzen gibt, die jeder für sich selbst definieren muss.

Sex ist allgegenwärtig, die ehrliche Auseinandersetzung damit aber nicht

Die unterschiedliche Auslegung dessen, was denn genau an diesem Abend passiert und wer dafür warum verantwortlich ist, zeigt, dass wir da, trotz der  Allgegenwärtigkeit von Sex, noch nicht sind. Denn Gegenwärtigkeit ersetzt eben noch lange nicht das Sprechen darüber. Sex ist so komplex, dass ganz dringend noch wesentlich mehr über diese nun immer wieder angeprangerten Uneindeutigkeit, das „so schnell passierte“ Missverständnis diskutiert werden muss, und das auch fernab dieses Falls. Denn aller Aufklärung zum Trotz ist doch vor allem eindeutig: Die Unsicherheit, die Sex und die Frage, was als für beide Seiten eindeutig einvernehmlich gelten kann, noch immer auslöst.

Denn auch Grace schreibt, dass sie lange brauchte, bis sie das Erlebte als sexuellen Übergriff benennen konnte. Und genau das ist doch der Knackpunkt: Wieso fällt es so schwer, einordnen zu können, warum sich eine Situation schlecht anfühlt und ob Grenzen überschritten wurden? Und wieso kann ein lautes „Nein“ auszusprechen auch dann schwerfallen, wenn das Nein innerlich fühlbar ist? Weil es keine absoluten Situationen und auch keine absoluten Gefühle gibt. Und weil (junge) Menschen oft erst lernen müssen, sich selbst und die eigenen Grenzen auch dann ernstzunehmen, wenn man noch nicht wirklich formulieren kann, warum hier eine Grenze für einen selbst besteht. Um dahin zu kommen hilft Erfahrung, aber eben auch das Reden darüber.

Wir könnten vielen jungen Menschen verstörende Erfahrungen ersparen

An dem Punkt, an dem wir aktuell mit der Debatte, mit unserem gesellschaftlichen Konsens stehen, kann doch überhaupt nicht erwartet werden, dass sexualisierte Übergriffe immer klar benannt werden können. Die Frage „Warum hat sie denn nicht früher etwas gesagt?“ ist nicht nur mit Machtverhältnissen, sondern eben genau dieser Unsicherheit zu beantworten: „War ich mitschuldig?“; „Hätte ich etwas anders machen können?“; „Habe ich ein komisches Verständnis von Grenzen?“; oder auch: „Bin ich selbst schuld, wenn ich keinen Spaß beim Sex empfinde?“; „Gehören ein paar Schmerzen eben einfach zum Sex dazu?“; „Bin ich prüde, wenn ich das als erniedrigend empfinde?“

Wir alle sind als junge Menschen mit ähnlichen Verunsicherungen in unser Sexleben gestartet – und das ganz besonders als Frauen, die nicht mit dem Selbstverständnis aufgewachsen sind, dass weibliche Lust gleichwertig der männlichen ist. Wenn wir das Sprechen über Sex wirklich kultivieren, statt es immer weiter in einem verschämten Tabu-Bereich zu halten, könnten sich viele nach uns einige unangenehme, verstörend bis zerstörerische Erfahrungen sparen. Und das sollte doch Motivation genug sein, um nicht ständig zu fragen: Geht das, was die #Metoo-Debatte an Fragen und Prozessen losgetreten hat, nun zu weit?

Denn nein, die Debatte geht nicht zu weit, sie steht noch immer am Anfang – und wenn wir sexuelle Gewalt verhindern wollen, dann müssen wir uns darauf einlassen, dass „schlechter Sex“, dass unangenehme sexuelle Erfahrungen in all ihren Ausprägungen, zum Thema dazugehören, auch wenn das klar voneinander getrennt behandelt werden muss. Wir können einfach nicht erst darüber reden, was justiziabel ist, sondern müssen auch all das ernst nehmen,  was davor liegt.

„Nein heißt Nein“ reicht nicht

Was bei diesem Prozess aber ganz sicher nicht hilft, ist das Pochen darauf, dass einen Übergriff erlebt zu haben, immer mit einem klaren Nein einhergehen muss — denn das wälzt die komplette Verantwortung für die Situation, in die mindestens zwei involviert sind, auf nur einen Menschen, meist die Frau, ab. Was aber ist mit dem anderen Part, der oder die nicht bereit ist, das Einvernehmen konkret zu erfragen, sondern schlichtweg davon ausgeht, dass ohne standhafte Wehr etwas Einvernehmliches geschieht? Nicht bereit ist, Körpersprache, die in allen anderen Lebenslagen für fast alle Menschen recht einfach zu lesen ist, einzubeziehen? Nicht bereit ist, auch ein möglicherweise einmal gesagtes oder gezeigtes Ja nicht als Ja-no-matter-what abzuspeichern? Die Lust auf Sex und die Nähe zu einem anderen Menschen, das weiß jeder, der Sex hat, kann sich so schnell verziehen, wie sie entstanden ist.

Wenn wir es doch nicht einmal schaffen, in einer Alltagssituation unaufgeregt, klar und empathisch über Sex und seine Grenzen zu sprechen, wie soll man dann verlangen, dass es in der Situation selbst immer klar verhandelt werden kann? Und wieso sollte es das zwingend brauchen? Wie schon angesprochen, sind fast alle Menschen fähig, nonverbale Kommunikation, Körpersprache, zu deuten — das lernen wir von Kindesbeinen an. Dazu braucht es jedoch auch die Bereitschaft, diese Signale anzunehmen. Aber genau daran hapert es doch viel mehr, als dass es wirklich vermeintliche Grauzonen gäbe, die einfach unmöglich zu deuten wären.

Aufklärung muss über das Biologische hinausgehen

Genau deshalb kommen wir nicht darum herum, mehr über Sex und Zwischenmenschliches zu sprechen, wenn wir zu einer Realität kommen wollen, in der guter, konsensualer Sex selbstverständlich ist. Und das fängt bei einer guten Aufklärung von Kindern und Jugendlichen an. Aufklärung, die über reine Biologie hinausgeht und auch das Zwischenmenschliche, eine gesunde Kommunikation über Sex miteinbezieht. Und wir müssen uns im Privaten und in der Öffentlichkeit über Erfahrungen unterhalten, warum sie gut, oder warum sie vielleicht problematisch waren, wir müssen darüber sprechen, was sich warum gut, was sich warum schlecht anfühlte; und wir müssen voneinander und über das Sprechen darüber lernen dürfen. Auch darüber, warum die Forderung des „Ja heißt Ja“ nicht in Prüderie, sondern in sexuelle Freiheit und wirkliche Selbstbestimmung führt, weil die Verantwortung für eine Situation damit bei allen beteiligten Personen liegt.

Auch die Angst, die die aktuelle Debatte auslöst, und der Aufschrei wegen vermeintlicher Verträge, die nun angeblich vor jedem sexuellen Akt geschlossen werden müssten, erzählt ja viel darüber, wo wir in Sachen sexueller Selbstbestimmung der Frau stehen. Diese irrationale Furcht davor, dass mit Klarheiten auf einmal alles schwieriger, statt leichter werden wird. Oder wenn man es düsterer deuten will: Über die Sorge davor, dass einem etwas weggenommen werden könnte. Das Recht auf Sex, das, absurd genug, von einem solchen Recht auszugehen, sogar dann für manche Menschen selbstverständlich zu bestehen scheint, wenn nicht klar ist, ob beide Parteien ihn wollen. „Rape Culture“ nennt man das gemeinhin.

Sex? Das ist Privatsache!

Man kann nun natürlich dagegenhalten, dass es einem zu privat ist, über Sex zu sprechen. Ein gutes Recht, Intimsphäre ist ein hohes Gut – und dennoch können wir nicht einfach die Schlafzimmertür schließen, nicht darüber sprechen, was dahinter passiert und dann erwarten, dass sich draußen irgendetwas ändert. Durch Zauberhand. Durch magische Wendungen, die auf einmal all die Probleme, die mit dem Reden über #Metoo (wieder) auf dem Tisch liegen, einfach in Luft auflösen. Dass, wie durch ein Wunder, für all die jungen Frauen und Männer, die in ihre Sexualität starten, echtes Einvernehmen wirklich zur Grundvorrausetzung für Sex wird. Etwas, was all die Generationen vor ihnen ohne das Reden, das Verhandeln über Sex nicht geschafft haben.

Die Frage ist also: Wie wichtig ist uns das Thema wirklich? „Wenn ich gewusst hätte, worauf ich mich einlasse, dann hätte ich das nicht gemacht.“ Das mag ein harmloser Satz sein, wenn es um eine Achterbahnfahrt geht, die einem dann doch zu wild wurde. Wenn es sich aber um eine körperliche, eine seelische Erfahrung handelt, die im Kontext von Sex passiert, dann wird es schnell sehr schmerzhaft. Echtes Einvernehmen geht mit einer guten Aufklärung einher, die eine Gefühlsebene miteinschließt. Und es wäre doch wünschenswert, wenn (junge) Menschen sich irgendwann nicht mehr fragen müssen: „War das nun ein Übergriff, oder nur eine blöde Erfahrung?“, sondern eindeutig wissen, wie sie ihr Gefühl und eine Situation einordnen können. Und all das beginnt mit dem Sprechen darüber, was ist und was (noch) im Dunkeln liegt.

Sind wir damit dann davor gefeit, dass es Uneindeutigkeiten bei der Frage nach Übergriffen oder der Einvernehmlichkeit von Sex geben wird? Wahrscheinlich nicht – aber wir kommen damit an Klarheit so nah heran, wie wir können.

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