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14 Frauen erklären, wie es nach #metoo weitergehen muss

Wo stehen wir nach mehreren Monaten #Metoo und der Debatte über Macht, sexualisierte Gewalt und Belästigung? Wir haben Frauen, die sich schon lange für Gleichberechtigung einsetzen, gefragt, was sie sich für 2018 erhoffen und was passieren muss, damit die Debatte nicht immer wieder von vorn beginnt.

 

Die #Metoo-Bewegung: So kann es jetzt weitergehen

Selbst langjährige Aktivistinnen hätten nicht damit gerechnet, dass diese Debatte den Sprung ins neue Jahr schaffen würde. Doch #Metoo geht weiter. Denn während die einen argumentieren, dass in der internationalen Bewegung um das Hashtag zu vieles durcheinandergehen würde, sind es gerade die vielfältigen Blickwinkel, das Herausarbeiten der Zusammenhänge und die differenzierte Diskussion, die die Bewegung gegen sexualisierte Gewalt, Belästigung und Machtmissbrauch fortlaufen lassen. Dass sichtbar wird, dass Frauen, Feministinnen und Betroffene hierbei unterschiedliche Standpunkte vertreten, ist wichtig. Nicht nur, um die Debatte einem breiten Publikum zu öffnen, sondern vor allem deswegen, weil es viele Antworten auf die Frage „Wie weiter nach #Metoo?“ gibt, die Verbesserungen mit sich bringen könnten.

„But women, and all people marginalized because of gender, have had to deal with complexity for a long time. We are accustomed to it. Don’t underestimate us.“

Anna North, vox.com

Die Frauenbewegung nimmt wieder an Fahrt auf. Am Sonntag hat sich der Women’s March gejährt und brachte in den USA und in zahlreichen anderen Ländern wieder hunderttausende Menschen auf die Straße. Allein in New York sollen nach Behördenangaben etwa 100.000 Menschen demonstriert haben, in Los Angeles, mitten in Hollywood, kamen hunderttausende Demonstrierende zusammen, die sich in diesem Jahr nicht nur mit Reden und Plakaten gegen die Trump-Administration positionierten, sondern vor allem die Forderung, sexualisierte Gewalt endlich zu beenden (#timesup) bekräftigten sowie die Verstrickung unterschiedlicher Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus und Trans*feindlichkeit thematisierten.  

Die #metoo-Debatte in Deutschland

Die Proteste und auch die mediale Debatte sind in Deutschland zaghafter. Zu Ende sind sie nicht. Denn ausgerechnet in dem Jahr, in dem das Frauenwahlrecht 100 Jahre alt wird, ist der Bundestag so männlich wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Wie viele politische Maßnahmen, die gegen die Diskriminierung von und gegen Gewalt gegen Frauen wirken sollen, es in einen möglichen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD schaffen, ist noch völlig offen. Und ob gesetzliche Maßnahmen gegen ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen oder zur Prävention bei Gewalt gegen Frauen tatsächlich wirken, müsse schließlich auch durch ein unabhängiges Monitoring erhoben werden, fordert die Vorsitzende des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe e.V., Ursula Schele. Sie ist eine von 14 Expertinnen, mit denen wir darüber gesprochen haben, wie es nach #Metoo weitergehen kann. Denn klar ist: Bis Frauen und Mädchen wirklich frei, gleichberechtigt und ohne Gewalt leben können, wird es noch einige Jahrzehnte dauern. 

Wünschenswert wäre, dass das Engagement für die Freiheit von Frauen und gegen Diskriminierung marginalisierter Gruppen durch #Metoo dauerhaft einen hohen Stellenwert in gesellschaftlichen, politischen und medialen Debatten bekommt.  Das konstruktive Streiten für Freiheit und gegen Diskriminierung sollte dann keine Enthüllungen über Prominente mehr brauchen, um die Dringlichkeit, Wege in eine gleichberechtigte Gesellschaft zu finden, zu unterstreichen.

Hier lest ihr die Denkanstöße, Analysen und Wünsche von 14 Frauen, die feministische Debatten schon lange begleiten und für Gleichberechtigung streiten.

Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau


Foto: Anja Weber

„2018 ist das Jahr der Frauen! Nicht nur, weil es viele entscheidende Fortschritte zu feiern gilt, sondern auch, weil es reicht mit den leise vorgebrachten Bitten.“

„Über Jahrzehnte war die Sexismus-Debatte stark von Konjunkturen abhängig. Das Thema ploppte auf und verschwand schnell wieder in der Versenkung. Die männlich dominierte Gesellschaft unterdrückt gern eine solche Debatte und wir Frauen sind nicht durchdringend und hartnäckig genug. Auch der #Metoo-Kampagne wurde dieses Schicksal vorausgesagt – ist aber nicht eingetroffen. Seit drei Monaten hält sie sich trotzig in der Öffentlichkeit und zieht immer weitere Kreise.

Das lässt mich hoffen, dass eine gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung eingesetzt hat, die sich nicht einfach zurückdrehen lässt. Dabei ist es doch nicht erstaunlich, wenn einschlägige Kreise sexuelle Übergriffe als gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten verteidigen. Schließlich geht es um Machtverhältnisse. Und die sind bedroht.

Wir können und müssen überall ansetzen, wo Frauen ein selbstbestimmtes Leben versagt und gleiche Rechte verwehrt werden. Das beginnt hierzulande bei offensichtlichen Unverschämtheiten wie ungleichem Lohn und hört bei dem doppelten Standard, der an das Älterwerden von Frauen und Männern angelegt wird, nicht auf.

2018 ist das Jahr der Frauen! Nicht nur, weil es viele entscheidende Fortschritte zu feiern gilt – wie zum Beispiel die Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren. Sondern auch, weil es reicht mit den leise vorgebrachten Bitten. Wir müssen laut werden. Und deutlich. Fordern statt flehen. Erst dann werden sich die Verhältnisse ändern. Wie sagte die Vorzeige-Feministin und Journalistin Hedwig Dohm so schön: ,Glaube nicht, es muss so sein, weil es nie anders war. Unmöglichkeiten sind Ausflüchte für sterile Gehirne. Schaffe Möglichkeiten!‘ – mein Motto.“

Laura Himmelreich, Chefredakteurin Vice.de

Foto: Grey Hutton | Vice

„Ich würde mir auch in Deutschland wünschen, dass sich bekannte Gesichter im Diskurs engagieren und große Medienhäuser recherchieren.“

„Der Mechanismus, nach dem Debatten über Sexismus ablaufen, ist im Grunde absurd: Fast jede Frau hat Sexismus oder sexualisierte Übergriffe erlebt. Aber eine breite gesellschaftliche Debatte führen wir erst, wenn ein prominenter Name fällt.

In den USA wird die Debatte durch drei Impulsgeber am Leben gehalten: 1. mutige Frauen, die sich mit ihrer eigenen Geschichte zu Wort melden; 2. Medien wie die New York Times, die nicht aufhören zu recherchieren und 3. Prominente, die das Thema in die Öffentlichkeit tragen, wie gerade bei den Golden Globes.

Ich würde mir auch in Deutschland wünschen, dass sich bekannte Gesichter im Diskurs engagieren und große Medienhäuser recherchieren. Bisher war das Zeitmagazin die einzige deutsche Publikation, die sich im Laufe der #Metoo-Debatte getraut hat, einen Namen zu nennen. Dabei, würde ich schätzen, wurde ein erheblicher Teil der deutschen Journalisten schon Zeuge von Sexismus in Politik, Kultur oder Sport. Klar, solche Recherchen sind aufwändig und juristisch heikel. Aber 2017 hat gezeigt, wie notwendig sie sind.“

Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes e.V.


Maria Wersig wurde 2017 zur neuen Präsidentin des Juristinnenbunds gewählt. (Foto: Hoffotografen)

„Mehr Vielfalt, mehr Menschenrechte, mehr Feminismus muss die Antwort sein auf aktuelle Entwicklungen.“

„Durch #Metoo wurde der Blick auf Machtverhältnisse und Hierarchien zwischen Frauen und Männern geöffnet. Daran muss weiter gearbeitet werden. Es geht nicht um die Interessen weniger privilegierter Frauen. Macht, Ressourcen und gesellschaftliche Repräsentation sind ungleich verteilt. Das ist 2018 nicht mehr akzeptabel, aber von selbst ändert sich daran nichts.

Mehr Vielfalt, mehr Menschenrechte, mehr Feminismus muss die Antwort sein auf aktuelle Entwicklungen. Es wird gerade über die Bildung einer neuen Bundesregierung verhandelt: In Zeiten rechtspopulistischer Strömungen brauchen wir vor allem eine konsistente und zukunftsweisende Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik in allen gesellschaftlichen Bereichen. Es ist 2018 und Deutschland befindet sich im europäischen Vergleich allenfalls im Mittelfeld, was die Gleichstellung von Frauen und Männern angeht. Wir sehen das bei Themen wie Entgeltgleichheit, Altersarmut oder Repräsentation im Bundestag und auch beim Thema Gewalt.

Wer frauen- und gleichstellungspolitische Themen weiterhin marginalisiert, hat nichts verstanden. Leider scheint das in der Politik immer noch die Regel zu sein. So auch das aktuelle Sondierungspapier für die Neuauflage der Großen Koalition: Frauen- und Gleichstellungspolitik wird offenkundig nicht als Querschnittsaufgabe gesehen, sondern in einem kurzen, wenig innovativen Abschnitt ausgerechnet unter der Überschrift ‚Familie, Frauen und Kinder’ abgehandelt. Große Zukunftsthemen wie Pflege oder Rente werden immer noch diskutiert, als würden diese Maßnahmen geschlechtsneutral wirken. Ich arbeite rechtspolitisch daran, dass sich hier endlich etwas ändert.

Ich wünsche mir für 2018, dass wir endlich hinbekommen, was in anderen Politikfeldern selbstverständlich ist: eine mit klaren Maßnahmen und Zielen, sowie den entsprechenden Ressourcen ausgestattete gleichstellungspolitische Strategie.“

Sylvia Steinitz, Redakteurin im Gesellschaftsressort des Stern


Bild: Karolin Seinsche | stern

„#Metoo ist der Anfang. Eine Standortbestimmung für uns Frauen. Und wo wir stehen, ist schon mal nicht schlecht.“

„Punkt 1: Frauenagenden werden immer heruntergemacht, verleugnet, verlacht. Dass behauptet wird, durch #Metoo seien Männer unter Generalverdacht gestellt worden oder wären verunsichert, was denn jetzt noch okay ist, wurde oft behauptet, aber nie bewiesen. Es ist die gleiche Art von Schlechtmacherei, die wir auch bei der Vorstellung des neuen schwedischen Sexualstrafrechts erlebten (das jetzt ungefähr so klingt wie das deutsche Gesetz): ,Männer müssen sich schriftliche Genehmigung zum Sex holen‘, titelten selbst einigermaßen seriöse Medien. Das ist natürlich völliger Blödsinn, aber wo es gegen Frauenanliegen geht, findet sich ein johlendes Publikum, das zuerst nach dem Gag und so gut wie nie nach Fakten fragt. Die Ablehnung von #Metoo gehört in die Abteilung ,Haben wir denn keine anderen Sorgen?‘ – und dient nur einem Zweck: Frauenanliegen lächerlich zu machen und Frauen gegeneinander auszuspielen. Denn mehr als nur eine fällt auf die Gegenpropaganda herein, da ist Catherine Deneuve nur eine davon.

Punkt 2: Warum ist die #metoo-Bewegung gerade in Deutschland, wo die Menschen ein großes Gerechtigkeitsbedürfnis haben und sich gerne für eine gerechte Sache engagieren, nie so recht vom Fleck gekommen? Ich vermute den Grund außerhalb des feministischen Spektrums – mit Betonung auf ,vermute‘, denn es ist nicht einmal eine These, sondern ein Gedanke, der auch nur als solcher zählen sollte. Dass deutsche Frauen nicht die geringste Furcht davor haben, mit ihrem Gesicht und ihrem Namen für etwas einzustehen und keine persönlchen Nachteile fürchten, bewies bereits die große stern-Kampagne ,Wir haben abgetrieben‘. Nein, Deutschlands Frauen haben keine Angst, keine falsche Scham, kein verdrehtes Frauenbild.  

Ich glaube, es hat vielmehr damit zu tun, dass die Anklagen, wie sie bei #Metoo erhoben wurden, von Skeptikern und Gegnern gerne als ,Denunziantentum‘ oder ,Pranger‘ bezeichnet werden. Und gerade in Deutschland besteht eine große Scheu vor allem, das nach Denunziantentum auch nur riechen *könnte*. Ob es nun die Erinnerung ans Dritte Reich und die öffentliche Hetze des ,Stürmer‘ ist oder an die Stasi in der DDR – in Deutschland ist man vorsichtig. Ich glaube auch, dass #Metoo hier anders Gestalt nehmen sollte und fände es gut, wenn wir in einen gemeinsamen Denkprozess einsteigen, was wir abseits von Protest tun können, um das Momentum von #Metoo nicht zu verlieren.

Punkt 3: Ist also gar nichts passiert? Natürlich ist etwas passiert. Wenn ein Mann aus einer Position entfernt wird, weil er Frauen belästigt, so wird im selben Unternehme kein anderer Mann mehr bleiben dürfen, der das Gleiche tut. Es wurden im Zuge von #Metoo so viele Präzedenzfälle geschaffen, die auf eine bleibende Veränderung hoffen lassen. Und hier kommt etwas hinzu, das uns hilft: Die Frauen sind nicht mehr ohne Stimme oder ohne Macht. In jedem Unternehmen halten Frauen höhere Positionen inne, sie besitzen politische und Wirtschaftsmacht. Eine derartige Bewegung wie #Metoo oder #Timeisup wäre in den sechziger Jahren bei aller Revoltenstimmung nie vom Fleck gekommen. Menschenrechte bewegen auf dieser Erde nur dann etwas, wenn sie in Verbindung mit Wirtschaftskraft behauptet werden. Nicht umsonst wirken Wirtschaftssanktionen besser gegen Menschenrechtsverletzungen als Demos. Frauen besitzen Macht. Über ihre Geldtaschen und über ihre Fernbedienung. Und es ist diese Macht, die gerade in Hollywood die #Metoo-Bewegung erst vom Boden gebracht hat, wo nach wie vor das Geld regiert, machen wir  uns da nichts vor. 

Punkt 4: Ist #Metoo vorbei? Blödsinn. #Metoo ist der Anfang. Eine Standortbestimmung für uns Frauen. Und wo wir stehen, ist schon mal nicht schlecht. Aber es ist nur eine Zwischenstation. Kurz rasten, ein stolzer Blick zurück, bevor wir uns wieder nach vorne wenden. Und weitergehen.

Anne Wizorek, selbstständige Beraterin für digitale Medien, Autorin und feministische Aktivistin


Bild: Anne Koch

„Es sollte eine Diskussion sein, in der sich Männer endlich als Teil der Lösung begreifen, statt direkt in die Defensive zu gehen.“

„Ich hoffe, dass wir irgendwann genauso intensiv über den gesellschaftlichen Nährboden, also unsere Kultur, sprechen können, die sexualisierte Gewalt immer noch hervorbringt und verharmlost, wie wir es bislang anhand von Einzelfällen berühmter Typen tun. Hier geht es schließlich nicht um eine Soap-Opera, der wir in Echtzeit zuschauen, sondern die Frage, wie wir in Zukunft eine Gesellschaft gestalten, die sexualisierte Gewalt als Problem ernst nimmt und nachhaltig bekämpft, also auch auf Prävention setzt.

Die #Metoo-Debatte zeigt auch mal wieder, dass wir bisher nur wenige – oder unzureichende – gesellschaftliche Werkzeuge haben, damit übergriffige Männer überhaupt Konsequenzen für ihr Verhalten erfahren. Die meisten Leute rufen oft nur nach dem Gesetz. Dabei bin ich natürlich dafür, dass Gesetze und der gesamte juristische Prozess für Betroffene sexualisierter Gewalt sehr viel besser werden müssen – die Sexualstrafrechtsreform 2016 war dazu ja ein wichtiger erster Schritt, aber es muss zum Beispiel noch die gesamte Istanbul-Konvention umgesetzt werden.

Wir sollten aber genauso über „restorative justice“ reden, also darüber, wie Betroffene sexualisierter Gewalt eine Wiedergutmachung erfahren können, die sich eben nicht ausschließlich über Haftstrafen für Täter definiert. Sexualisierte Gewalt verläuft ja in einem breiten Spektrum und ich bin absolut dafür, dass wir die ,kleinen‘ Sachen genauso ansprechen können müssen, wie die ,großen‘. Dazu muss unsere Gesellschaft aber auch dringend aushandeln, wie auf diesem gesamten Spektrum jeweils Verantwortung für sexualisierte Gewalttaten übernommen wird. Ich finde es unerträglich, dass die Debatte aktuell meistens bei einem ,Sie wurde ja schließlich nicht vergewaltigt!‘ hängt, statt alles davor auch schon ernst zu nehmen. Zumal wir alle wissen, dass gerade Vergewaltigungsopfer es auch immer noch extrem schwer haben, überhaupt Gehör, geschweige denn Gerechtigkeit zu finden.

Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass wir im Rahmen der #Metoo-Debatte auch endlich über Gewalt im Netz sprechen. Auch dort sind ja gerade wieder Frauen die Zielscheibe und diese Gewalt ist geschlechtsspezifisch und damit auch meistens sexualisiert. Ist eine Frau außerdem von Rassismus betroffen, von Trans- und/oder zum Beispiel Behindertenfeindlichkeit, dann ist sie – wie auch offline – verstärkt solcher Gewalt ausgesetzt.

Der Dialog um Gewalt, die vor allem von Männern ausgeübt wird, muss außerdem auch von Männern geführt werden. Damit meine ich eine ernsthafte Diskussion über Männlichkeitsbilder und damit verknüpfte Erwartungen, und ebenso, dass sich auch männliche Betroffene sexualisierter Gewalt zu Wort melden. Es sollte eine Diskussion sein, die das Problem sexualisierter Gewalt ehrlich anerkennt, statt es zu verharmlosen und in der sich Männer endlich als Teil der Lösung begreifen, statt direkt in die Defensive zu gehen.

Cis-Männer müssen endlich die emotionale Arbeit und Verantwortung mittragen, die vor allem Cis-Frauen, trans*- und Non-binäre Personen nun schon so lange leisten. Dazu gehört auch, dass solche Gespräche nicht nur in der Öffentlichkeit stattfinden – ich glaube sogar, dass geschützte Räume für einen solchen Austausch unter Männern eher den Anfang machen müssen, zum Beispiel wie es in der Jungen- und Männerarbeit passiert.“

Marion Horn, Chefredakteurin Bild am Sonntag


Bild: Axel Springer

„Ich glaube dennoch, dass sich jetzt etwas zum Besseren wendet. Wir streiten. Wir streiten wie bekloppt.“

„Ich bin ratlos, buchstäblich enttäuscht und fast ein bisschen verzweifelt. Die teils dummen, teils ahnungslosen, teils aggressiven, teils tapsig lieb gemeinten, aber dadurch noch fassungsloser machenden Reaktionen von vielen Männern… Es ist alles noch viel schlimmer, als ich dachte. 

Ich war überzeugt, wir wären viel weiter. Aktuell wird alles – von Missbrauch über Belästigungen, blöde Flirtversuche, Alltags-Sexismus bis Vergewaltigung – in einen Topf geworfen, durchgeschleudert – und zum Schluss haben immer noch angeblich die Frauen ein Problem oder einen an der Waffel. Und dieser Unfugs-Vorwurf, warum sie denn geschwiegen haben, die Frauen. Warum zum Teufel sollte frau sich neben dem unschönen Erlebnis auch noch die Häme, die grausamen Kommentare, das geheuchelte Mitleid antun? Am bedrückendsten finde ich diese Frauen, die kluge Ratschläge a la ,also ich würde‘, ,wenn das einer mit mir …‘ absondern oder ,also ICH kann mir das nicht vorstellen, bei MIR war der immer ganz korrekt‘ sagen und damit unterstellen, das müsse alles provoziert worden sein. Dieser verdammte Reflex, mit dem vermeintlichen Täter zu fühlen und nicht mit dem vermeintlichen Opfer.

Ich glaube dennoch, dass sich jetzt etwas zum Besseren wendet. Wir streiten. Wir streiten wie bekloppt. Das Thema bringt irgendwie alle auf die Palme und lässt selbst bei den ruhigsten Seelen alle Sicherungen durchknallen. Aber die ersten Männer setzen sich ernsthaft damit auseinander. Merken, wann es besser wäre, einzugreifen, weil ein Freund oder Kollege die rote Linie einer Frau nicht respektiert. Es ist ein langer Weg. Es geht nicht darum, Männer zu verteufeln oder unter Generalverdacht zu stellen. Es geht auch nicht um Sex oder Erotik. Es geht darum, die Spielregeln des Umgangs neu auszuhandeln. Meetoo geht weiter. Weil es muss. Ich träume davon, dass in zwei, drei Generationen, Mütter und Väter ihre Töchter nicht mehr warnen müssen, damit diese halbwegs unbeschadet durchs Leben kommen.“

Ursula Schele, Vorstand bff – Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e.V.

„Ich erhoffe mir für 2018, dass es gelingt, die Politik davon zu überzeugen, dass die Istanbul-Konvention in Deutschland mit Leben gefüllt wird.“

„Damit #Metoo kein mediales Strohfeuer bleibt, müssen wir die Debatte über sexuelle Übergriffe immer wieder am Laufen halten. Wir sollten zunehmend Männer motivieren, sich solidarisch in die Debatte einzuschalten. Wichtig ist es, die strukturellen Machtverhältnisse hinter dem Phänomen Sexismus und sexuelle Gewalt zu beleuchten. Es geht nämlich nicht um Flirt, Erotik oder Beziehungsaufnahme, sondern um Machtmissbrauch, Übergriffe und Gewalt. #Metoo hat deutlich gemacht, auf welchem patriarchalen Nährboden Sexismus und Missbrauch gedeiht. In 2017 ist es unter anderem mit der „Nein heißt Nein“-Kampagne gelungen, nicht nur neue, verbesserte Gesetze zu bekommen, sondern auch eine breitere gesellschaftliche Diskussion zu initiieren. Wir in Kiel machen  gerade zum Internationalen Frauentag mit dem nächsten Schritt weiter. Die Schwedinnen und ihr Parlament haben es vorgemacht und in der Strafgesetzgebung umgesetzt, dass nur ein deutlich formuliertes Ja zu beidseitig gewollter sexueller Aktivität führen darf. Mit dem Slogan ,Ja heißt Ja – Sex ist, wenn beide wollen….alles andere ist Gewalt‘ wollen wir die Debatte weiter beflügeln und vor allem auch junge Menschen motivieren, über ihre Rechte, Wünsche und Grenzen ins Gespräch zu kommen.

Die Debatte hat auch gezeigt, wie häufig viele Medien immer noch nicht ihre Sprache über sexualisierte Übergriffe und Gewalt reflektieren. Sehr häufig war im Zusammenhang mit #Metoo von „Sex-Skandalen“ die Rede, wenn es eigentlich um Übergriffe ging. Wir könnten damit weitermachen, dass wir in konzertierten Aktionen Redaktionen dazu auffordern, ihre Sprachwahl zu überdenken und Gewalt auch Gewalt zu nennen anstatt Sex.

Wir in der PETZE haben schon vor 15 Jahren einen Ehrenkodex zusammen mit Medienfrauen entwickelt. Der wird zwar punktuell in den Seminaren für Journalist_innen eingesetzt, aber wir brauchen hier auch einen Top-Down-Prozess, in dem die Intendanten, die Rundfunkräte und die einzelnen Redaktionen inklusive dem Sport daran arbeiten, noch sensibler mit Gendergerechtigkeit und Opferschutz in den Medien zu agieren. Dem entgegen steht, dass ,Sex and Crime‘ beziehungsweise ,Sex sells‘ nach wie vor als auflagenfördernde Instrumente akzeptiert sind. 

Sie fragen: Wie können ,wir‘ weitermachen? Ich denke, es ist immer wieder bitter zu sehen und zu lesen, dass es dieses pauschale ,wir‘ nicht gibt, dass viele Frauen, die sich öffentlich in den männerdominierten Medien einen Namen mit antifeministischen Thesen machen, uns vermeintlich ,in den Rücken‘ fallen. Zum Ausgleich dazu gibt es aber auch sehr viele Männer, die sich selbstverständlich ihre eigenen Gedanken machen und sich genauso selbstverständlich klaren, feministischen Positionen anschließen und eigene, fortschrittliche Bilder von Männlichkeit leben und entwickeln.

Am 1. Februar 2018 tritt in Deutschland die so genannte Istanbul-Konvention in Kraft, ein Abkommen des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Konvention bietet ein wirklich wegweisendes Regelwerk, das alle gesellschaftlichen Bereiche in die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen einbezieht und hohe Anforderungen an den unterzeichnenden Staat stellt. Ich erhoffe mir für 2018, dass es gelingt, die Politik davon zu überzeugen, dass die Konvention in Deutschland mit Leben gefüllt wird, eine umfassende Gesamtstrategie gegen geschlechtsspezifische Gewalt erarbeitet wird und für die Bekämpfung dieser Gewalt viel Geld investiert wird. Daran wird sich eine neue Regierung messen lassen müssen.

Wir brauchen auf der Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen, Ressourcen und einen klaren Auftrag für ein unabhängiges Monitoring der bereits initiierten und geplanten Maßnahmen. So lange es noch ein so derartig eklatantes Missverhältnis zwischen erlittener, veröffentlichter und sanktionierter sexueller Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt, bleibt es eine wichtige Aufgabe der fortschrittlichen Verbände und der Medien, auf politische Umsetzung zu drängen. 

Weltweit hat #Metoo besonders das in die breitere Öffentlichkeit gebracht, was schon seit einer Generation bekannt und veröffentlicht ist. Der ,Schock‘ der Medien und der Filmindustrie ist scheinheilig. All das, was endlich an die Öffentlichkeit dringt, ist hinter vorgehaltener Hand schon ewig bekannt. Wichtig dabei zu betonen bleibt, dass alle Institutionen, Kirchen, Schulen, Vereine und so weiter innerhalb ihrer eigenen Strukturen zunächst eine Rückschau und -aufarbeitung machen sollten und sich dann entsprechende Gremien und Strukturen geben, in denen Schutzkonzepte entwickelt und umgesetzt werden.“

Auf der nächsten Seite lest ihr die Statements von Jenna Behrends, Margarete Stokowski, Lisa Ortgies, Katja Kipping, Barbara Vorsamer, Terry Reintke und  Penelope Kemekenidou.

Seite 2: #Metoo: „Es geht um Machtstrukturen, die überall (wirklich überall!) zu finden sind“

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