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Was wir Männer tun können, um endlich zu verstehen, was Frauen im Alltag erleben

Die Lebensrealitäten von Frauen und Männern sind grundlegend verschieden. Während die von Frauen oft von Diskriminierung und Gewalt geprägt ist, genießen Männer im Vergleich viele Vorteile. Unser Autor David versucht zu verstehen, weshalb sich viele Männer dessen nicht bewusst sind und was getan werden kann um diesen Graben zwischen den beiden Welten zu überwinden.

 

Der Graben zwischen zwei Welten

„Wenn ich jetzt allein wäre, würde ich mich nicht durch diesen Hinterhof trauen“, sagt meine Freundin und greift meine Hand etwas fester. Bestimmten Schrittes gehen wir im Dunkeln voran. Zu unserer Rechten eine Gruppe Männer, die rauchend und trinkend eine Sitzbank in Beschlag nimmt. Augenpaare heben sich, musternde Blicke streifen im Vorbeigehen. Um die Ecke, außer Reichweite, betreten wir das Treppenhaus und nehmen die ersten Stufen. Sichtlich erleichtert geht meine Freundin voran.

Für mich war das ein ganz normaler Weg nach Hause. Es war nichts weiter dabei, vor allem keine Angst. Für meine Freundin war das, einmal mehr eine Situation, in der sie befürchtete, von Männern Gewalt zu erfahren – eine Befürchtung, die ihren bisherigen Erfahrungen geschuldet ist.

Diese Begebenheit ist beispielhaft für eine simple Tatsache, der ich mir – leider – erst vor einiger Zeit wirklich bewusst wurde: Frauen leben in einer substantiell anderen Lebenswirklichkeit als Männer. Fast nie werden sie so respektvoll behandelt wie wir es gewohnt sind. Nur vereinzelt tut sich dieser Graben zwischen unseren Welten sichtbar auf; noch seltener erkennen wir Männer diesen Graben (an) oder setzen uns dafür ein, ihn zu schließen.

Gewalt hat ein Geschlecht

Weltweit sind Frauen Opfer von Unterdrückung, Sexismus und Gewalt. Im privaten und öffentlichen Raum, in der Beziehung, im Netz, im Beruf, auf Reisen – in allen Bereichen ihrer Leben. Weltweit gehen praktisch all diese Gewalttaten von Männern aus. Um das klarzustellen: Das heißt nicht, dass alle Männer gewalttätig und Täter, alle Frauen friedfertig und Opfer sind. Auch Männer leiden an Gewalt, auch Frauen verhalten sich durchaus gewalttätig.

Es ist jedoch wichtig, Strukturen und Tendenzen zu benennen; denn wie Rebecca Solnit in ihrem Buch „Wenn Männer mir die Welt erklären“ schreibt: „Gewalt hat keine Rasse und keine Klasse, keine Religion und keine Nationalität. Aber Gewalt hat ein Geschlecht.“ Diese geschlechtsspezifische Gewalt ist vielfältig. Sie reicht von Beschimpfungen im Internet bis hin zu Formen schlimmster physischer und sexualisierter Gewalt von Partnern oder Fremden.

Uns Männern fehlt es oft an Bewusstsein

Diese strukturelle, in unseren Gesellschaften tief verankerte Gewalt bringt Frauen zum schweigen, schränkt ihre Bewegungs- und Entfaltungsfreiheit erheblich ein. Dies führt dazu, dass Frauen in vielen Lebenslagen eine andere Realität erleben als wir Männer. Wenn ich reise, kümmere ich mich beispielsweise wenig darum, wie ich mich kleide oder zu welcher Tageszeit ich unterwegs bin. Im Netz bewege ich mich frei und unbeschwert, ohne Angst vor Androhungen von Vergewaltigung. Im Job muss ich mir keine anrüchigen Kommentare, ungebetene Annäherungen oder körperliche Übergriffe gefallen lassen. In einer Partnerschaft werde ich tendenziell nicht geschlagen oder missbraucht. Gemeinhin werde ich als Mensch und nicht als Objekt wahrgenommen.

Obwohl Frauen in ihrer Selbstbestimmung regelmäßig Einschränkungen erfahren, haben wir Männer viel zu selten ein Bewusstsein dafür. Nur begrenzt werden Privilegien des Mannseins thematisiert und anerkannt; darüber nachgedacht, was man(n) tun kann, um vor der eigenen Haustüre zu kehren oder sich solidarisch zu zeigen; verstanden, dass die Diskriminierung und gewaltvolle Unterdrückung der Hälfte der Weltbevölkerung die eigene Unfreiheit befördert.

Warum ist das so?

Einige Gedanken lassen sich hier aufgreifen: Zunächst scheint die simple Erkenntnis, dass wir Männer nie vergleichbare Erfahrungen gemacht haben, ein Stück Erklärung zu bieten. Was ich nicht erfahren habe, kann ich oft nur schwer nachvollziehen. Dieser Erklärungsansatz darf allerdings nie Entschuldigung oder gar Rechtfertigung sein, denn: Verantwortung zur Handlung tragen wir als Angehörige des männlichen Geschlechts, auch wenn wir nicht diskriminieren oder schlagen. Schweigen wir, so bedeutet das in gewisser Weise, dass wir uns auf die Seite einer ungerechten Sache stellen.

Darüber hinaus ist die Unterdrückung von Frauen kaum Teil des klassischen gesellschaftlichen Diskurs. Gespräche am Familientisch oder Lehrinhalte in der Schule, der Berufsbildung oder dem Studium thematisieren diesen Missstand – trotz allen Fortschritts – immer noch viel zu selten. Weiterhin gilt: Obwohl Gewalt von Männern gegen Frauen alltäglich ist, wird dieses Muster kaum herausgestellt. Es existiert die Tendenz, Erklärungen auf einer Fall-zu-Fall Basis à la „Beziehungstat“ zu bemühen, ohne das große Ganze in Betracht zu ziehen. Oft sogar wird dem Opfer (Mit-)Schuld zugeschrieben – sie hätte sich ja nun wirklich nicht so aufreizend kleiden oder diese dunkle Straße entlang gehen müssen. Mit den Worten Solnits: „Die Pandemie der Gewalt gegen Frauen wird mit allem Möglichen erklärt außer dem Geschlecht.“

In letzter Konsequenz geht es vielleicht einfach darum, dass wir Männer uns ehrlich machen müssten: Wenn wir verstehen und anerkennen würden, dass Gewalt gegen Frauen zuvorderst unser Problem ist, müssten wir uns damit auseinandersetzen, woher dieses Problem eigentlich stammt. Daraufhin müssten wir wohl jenes gesellschaftliche System, welches uns zeitlebens bevorteilt und Privilegien verschafft, hinterfragen – das wäre sicher extrem unbequem, oder?

Was können wir Männer also tun?

Wenn ich über diese Frage nachdenke, kommen mir regelmäßig drei Gedanken in den Sinn:

1) Sich bilden, fragen und zuhören: Es ist nicht an Frauen, uns Männern zu erklären, welche Probleme eine patriarchale Gesellschaft hervorruft. Wir tragen die Verantwortung, uns schlau zu machen und die Dynamiken von Macht und Dominanz zwischen den Geschlechtern – auch und gerade durch ein intersektionales Denken – zu verstehen. Hierzu gehört auch, Fragen zu stellen und wirklich zuzuhören, wenn uns Frauen erklären, in was für einer Welt sie leben; im Gespräch davon abzusehen zu relativieren, zu verteidigen oder zum „Gegenangriff“ überzugehen.

2) Anerkennen: Klingt banal, ist es aber nicht. Ich denke, wenn wir Männer öfter, offener und öffentlicher anerkennen würden, dass die Unterdrückung von und Gewalt gegen Frauen zuvorderst ein männliches Problem ist, wäre bereits viel gewonnen, denn: Anerkennung und Einsicht bilden die Grundvoraussetzung für Verhaltensänderung.

3) Neue Ideale von Männlichkeit entwickeln: Irgendetwas von dem, wie wir in unserer Gesellschaft Männlichkeit verstehen, nährt ein oft aggressives und gewalttätiges Verhalten gegenüber anderen Menschen, vornehmlich Frauen. Ich glaube daher, dass wir neue Ideale von Männlichkeit entwickeln und verbreiten müssen – Ideale, die sich beispielsweise durch Respekt, Sensibilität, Einfühlungsvermögen und Gewaltlosigkeit auszeichnen. Nur ein neues Verständnis von dem, was wir als männlich begreifen, kann langfristig unser Verhalten ändern.

Eines Tages, im Hinterhof

Dann, vielleicht, geht eines Tages eine Frau allein bestimmten Schrittes im Dunklen über den Hinterhof. Zu ihrer Rechten findet sich eine Gruppe Männer, die rauchend und trinkend eine Sitzbank in Beschlag nimmt. Augenpaare heben und senken sich. Um die Ecke betritt die Frau das Treppenhaus und nimmt die ersten Stufen. Für sie ist das ein ganz normaler Weg nach Hause. Es ist nichts weiter dabei, vor allem keine Angst.  

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