Foto: Dario Valenzuela | Unsplash

Der perfekte Moment? Warum wir wichtige Gespräche nicht aufschieben sollten

Unsere Community-Autorin ist Sterbebegleiterin im Hospiz und hat auf neue Art erfahren, was es bedeuten kann, zu spät für ein wichtiges Gespräch zu sein.

 

Alltag im Hospiz 

Immer wenn ich erzähle, dass ich ehrenamtlich im Hospiz arbeite, höre ich: „Oh wow, Respekt, aber ich könnte das nicht.” Klar, verstehe ich, aber ich frage mich oft, was sich Menschen unter einem Hospiz vorstellen. Manchmal ist es sogar total lustig. Und was für bewegende Geschichten ich oft höre. Da ist ein älterer Herr, der jedem der ihn besucht das Hochzeitsfoto von ihm und seiner Frau, aus den 60ern, zeigt. Und mit so viel Stolz erzählt er dann von seiner Frau. Immer noch, 50 Jahre später. Dann erzählt er noch von seiner Arbeit in der DDR und was er in seinem Leben alles erlebt hat.

Es ist so wichtig, dass wir die Geschichten dieser Menschen anhören, denn kurz vor dem Tod lassen wir vieles nochmal Revue passieren und gerade Menschen die keine Angehörigen haben oder keinen Kontakt zu ihnen, haben oftmals Angst, dass ihr Leben in Vergessenheit geraten wird. Das Schöne am Hospiz ist, dass das Weltliche, dass das womit wir uns eigentlich täglich beschäftigen (oder ablenken) nicht mehr wichtig ist. Wichtig ist, dass die Menschen gut versorgt sind. Sie bekommen alles, was sie möchten, vom Schnaps bis hin zur Schmerztablette. Und ansonsten werden sie umsorgt.

Es ist schade, dass erst im Hospiz wieder ausreichend Geld für Pflegepersonal zur Verfügung steht. Ich sehe hier jede Woche mehrere Pfleger*innen für 14 Patienten. Im Altersheim war es am Wochenende ein*e Pfleger*in. Zum Sterben machen wir es uns wieder schön, das soll „würdevoll” und „angenehm” sein – aber was ist mit dem Leben davor? Immer arbeiten wir auf etwas hin, aber was machen wir am Ende unseres Lebens?

Warten bis es zu spät ist 

Wie mit allem in unserem Leben warten wir auf den Moment, der es verdient hat, besonders zu sein. Wir arbeiten monatelang auf den Urlaub hin. Wir warten auf den Moment, in dem alles „perfekt” ist für die eine Frage, dieses eine wichtige Gespräch. Wir warten im verwohnten Altersheim auf das schöne neue, perfekt ausgestattete Hospiz.

Zwei von den Menschen die ich länger begleitet habe bis sie verstorben sind, hatten Familie bzw. Kinder, aber aus irgendeinem Grund bestand kein Kontakt. Wegen Fehlern die jemand gemacht hat, wegen „falschen Verhaltens”, wegen eines Streits. Jeder hat in so einer Situation sicherlich ein bisschen Recht und ein bisschen Unrecht. 

Und ich kann Menschen wirklich verstehen die sagen: „Dann soll er/sie doch endlich sterben, dann bin ich meine Sorgen los.” Weil wir in dem Moment glauben, dass unser Schmerz damit zusammenhängt, dass die andere Person sich nicht ändern will oder nicht einsehen will, was sie falsch gemacht hat. Und dass diese unerfüllte Hoffnung endlich weg ist, wenn die Person nicht mehr existiert. Ja, das wird sie auch, aber gleichzeitig ist eben auch deine Chance weg, der Person zu sagen, was dir wichtig gewesen wäre. Unabhängig davon, ob sich das Gegenüber darauf einlässt oder nicht.

Man bereut immer etwas

Ich habe bisher niemanden getroffen, der nicht in seinen letzten Tagen oder Monaten bereut hat, was er im Leben seiner Meinung nach falsch gemacht hat. Oftmals waren es Eltern, deren Kinder den Kontakt abgebrochen hatten, weil sich die Eltern nicht ausreichend gekümmert hatten. Das ist unentschuldbar, keine Frage. Aber beide Seiten haben es nicht geschafft, sich den Frust von der Seele zu reden. Und zwar nicht mit einer anderen Person, sondern mit dem Beteiligten selbst. 

Die Chance darauf ist weg, wenn eine Seite verstirbt. Es ist unwichtig ob man vergibt oder sich versöhnt. Das ist natürlich schön, wenn es passiert, aber meistens sind die Fronten dazu schon zu lange verhärtet. Aber wir schulden es uns selbst, dass wir der Person, von der wir uns verletzt fühlen, genau das sagen. Wir können es therapeutisch aufarbeiten, Halt bei unserem*er Partner*in finden, etc., aber nichts ersetzt, dass du dem*der „Verursacher*in” sagst, was dich belastet. Oder auch umgekehrt, dass du dich erklärst, wenn du etwas getan hast, was du bereust.

Deshalb: Warte nicht auf den perfekten Moment oder den Sommer oder das nächste Mal. Was heute ist, kann morgen vorbei sein. Ich erlebe das immer wieder. Fass dir ein Herz und sage was dich bedrückt. Ohne Erwartung, ohne Bedingung. Einfach nur für dich. Du wirst sehen, dass es befreiend ist, wenn du für dich selbst einstehst.


Alexandra ist Trauer- und Sterbebegleiterin und Coach für Trauer und Verlust. Dieser Artikel ist bereits auf ihrem Blog Leid und Freud erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht. 


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