Was die Musik von Linkin Park für mich bedeutete: Ein Nachruf auf meine Teenage-Angst

Als Mädchen hast du nicht wütend zu sein. Oder sauer. Oder laut. „Hab dich nicht so“, war das Credo der Umgebung, in der ich aufgewachsen bin. Dann war da Linkin Park, die Band um den in dieser Woche verstorbenen Chester Bennington. Nach dem Hören von „Hybrid Theory“ hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es ok ist, wütend zu sein.

Weint man mit 30 noch um ein Idol?

Vorgestern Abend kam die Nachricht per Spiegel-Eilmeldung auf mein Handy: Chester Bennington hat sich mit 41 Jahren das Leben genommen. Ich war gerade auf einer Netzwerk-Party und musste ein wenig gute Miene zum bösen Spiel machen. Hier freundlich lächeln, da einen kecken Witz. Aber irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Bedürfnis, nach Hause zu fahren und vor lauter Fassungslosigkeit und Trauer in mein Kissen zu schreien. Aber warum? Immerhin liegt die Zeit meines Hardcore-Linkin-Park-Fan-Daseins schon mehr als zehn Jahre zurück. Und ich bin ja keine 15 mehr. Mit fast 30 heult man doch keinem Idol mehr hinterher, oder? Ich schob es auf die drei Biere ging schlafen.

Heute Morgen war ich dann aber noch immer völlig aus der Bahn geschmissen und versuchte für mich herauszufinden, warum mich der Tod des Linkin Park Frontmannes so mitnimmt.

„Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der es gang und gäbe war, Frauen den Mund zu verbieten.“

„Sei doch mal still“ oder „Reagier nicht schon wieder über“ oder „Hab dich nicht so“ oder „Ist doch halb so wild“. Das habe ich nicht nur von meiner männlichen, sondern auch von meiner weiblichen Verwandt- und Nachbarschaft gehört. Und so blieb ich still. Wollte ja eh keiner hören, was ich zu sagen hatte. War wahrscheinlich auch nicht sonderlich erwähnenswert.

In der Schule war es dann ähnlich: Ich wurde mit einem Springseil gefesselt, in der Umkleidekabine eingeschlossen. Aber so sind Kinder nun mal, nicht wahr? „Das muss man dann mal aushalten. Das legt sich schon wieder“, so der Vertrauenslehrer. Alles also back to normal. Als Mädchen hat man nicht wütend zu sein. Punkt.

„It’s just too much pressure to take“

Und dann hörte ich zum ersten Mal „Hybrid Theory“ von Linkin Park. Ich
lernte neue Freund*innen kennen. Trank meinen ersten Cola- Korn. Ging auf mein erstes Schützenfest. Um mich herum hauptsächlich Jungs, die alle Nu- Metal hörten. Plötzlich war es ok, als Mädchen zu schreien, wütend und laut zu sein. Wenn diese Jungs das durften, durfte ich das auch. Zum Vorglühen in einem alten Wohnwagen oder in der lokalen Rock-Disco traf sich die Jugend, um irgendwann halb betrunken bei „Crawling“ mit zu gröhlen, zu pogen. 
Und goddamn, tat das gut! Ich war ein Teil von irgendwas. Ein Teil von ihnen. Und endlich, endlich durfte ich auch wütend sein.

„Shut up, when I’m talking to you!“

Die Musik von Linkin Park hat mich auf den Weg gebracht, mehr Selbstbewusstsein aufzubauen. Mir meinen Platz zu erkämpfen. Ich habe ein Recht hier zu sein und zu sprechen: „Ich rede doch gerade. Können Sie mal aufhören, mich zu unterbrechen?“ (An dieser Stelle schöne Grüße an meinen ehemaligen Erdkunde-Lehrer). Plötzlich war ich nicht mehr das kleine blonde
Mädchen, das versuchte, allen zu gefallen. Das den Mund hielt. Das putzige
Püppchen aus der ersten Reihe des katholischen Kirchenchores trug plötzlich
zerrissene Hosen und hatte bunte Haare.

Wo ist die Teenage-Angst geblieben?

Ich habe zwei jüngere Schwestern, die beide noch zur Schule
gehen. Da wird nicht rebelliert. Da hat man Angst, nicht genügend Likes auf
Instagram zu bekommen. Die einzigen Vorbilder, die man zur Zeit haben kann, verkaufen Creme-Produkte und falsche Wimpern. Ich habe oftmals das Gefühl, nur noch am Feldrand zu stehen und mit den Schultern zu zucken, wenn Trump mal wieder irgendwen bei der Pussy grabben will. Ich glaube, ein Teil von mir ist traurig über den Tod Chester Benningtons, weil er fürchtet, dass meine Teenage-Angst verloren ist und vom „Bebe Young Care Beauty Package ausgetauscht wurde. 

Aber dann drehe ich mir eine Zigarette und höre „Numb“ … und bin wieder die junge Göre mit den lila Haaren, die ihrer Mathelehrerin sagt, dass es ihr einfach scheiß egal ist, was sie von ihr hält. Danke dafür, Chester. 

Titelbild: Chris Parker | Flickr | CC BY-ND 2.0

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