Chefinnen und Chefs werden von Ratgebern überhäuft, wie Führung heute geht. Kathalin Laser, Organisationsberaterin und Coach, plädiert dafür, wieder mehr aus eigener Kraft zu führen und sich dem Selbstoptimierungsdruck zu widersetzen.
So führt man heute!
Ratgeber-Artikel gibt es nicht nur zum Thema Bewerbungsgespräche, auch die Texte und Bücher zum Thema „gute Führung“ werden immer mehr. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich habe das Jahr 2016 damit beendet, dass ich gefühlt jeden zweiten Tag irgendwo gelesen habe, wie man Führung heute richtig macht. Und schon in dem wenige Tage alten 2017 ging es ähnlich los, denn aus verschiedenen Kanälen erreichten mich schon die Headlines: „Wie ein guter Chef sein muss!“ „Leadership 4.0?!“ „Führung von heute muss Führung von morgen sein“ …
Ich bin satt – und das sage ich als Führungskräfte-Coach und Organisationsberaterin. Ich arbeite mit tollen Chefs und Chefinnen zusammen und beschäftige mich leidenschaftlich gerne mit Führungsthemen, reflektiere Führung von heute und entwickele Ideen für wirksame Führung – aber ich
habe aktuell das Gefühl, die Optimierung von Führung wird langsam ein bisschen inflationär behandelt.
Die Masse an Führungslektüre macht mich müde und auch ein bisschen wütend. Jeden Tag aufs Neue müssen wir lesen, was Führung noch sein und was eine Führungskraft noch beachten und abdecken soll und so weiter. Und wenn ich mich in die Rolle der Führungspersonen hineinversetze, dann müsst ihr, liebe Führungskräfte, doch besonders müde darüber sein, nicht? So wird euch
tagtäglich stetige Weiterentwicklung vor Augen geführt…
„Tu dies nicht, tu das nicht, aber führe umso mehr.“
Eine Führungskraft hat doch gar keine Zeit und auch keine Lust, jede Woche ein neues Buch zu lesen, um am Ende mit dem Ergebnis dazustehen, dass sie noch mehr Arbeit (in ihre Führungsrolle) investieren muss.
Führung höher, schneller, weiter
Der Selbstoptimierungsdruck macht auch vor Führungskräften nicht halt. In der Welt von heute scheint über all dem, was wir sind und was wir tun, zu schweben: „Du bist nicht genug.“ Das bedeutet, wir spüren meistens eine latente Unzufriedenheit, da es immer noch mehr und anderes zu erreichen gilt und wir uns immer wieder neu erfinden können und auch sollen. Führungskräfte bekommen das ganz besonders zu spüren, denn die Unternehmen setzen ihre Ziele von Quartal zu Quartal höher an. So steigt an Manager und ihre Mitarbeiter ständig die Erwartung, den Profit der Firma noch zu toppen und besser zu werden.
Ich möchte hier gar nicht dafür plädieren, dass wir aufhören sollen uns weiterzuentwickeln und Ergebnisse zu steigern, aber ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir, vor allem als Führungskraft, nicht immer dem „Mehr“ hinterherlaufen sollten. Stattdessen könnten wir wieder lernen, uns selbst zu akzeptieren, als Mensch in unserer (Führungs-)Rolle. Je mehr ich mit mir als Führungskraft zufrieden und mir meiner selbst bewusst bin, desto mehr Freude kann ich empfinden, meine Mitarbeiter und meine Firma in die Zukunft zu führen.
Wir sind alle (stark) genug
Es wäre doch schön, wir würden uns alle groß und stark fühlen – und zwar aus uns selbst heraus. Bei diesem Thema muss ich immer an Janosch denken, da sagt der kleine Bär zum kleinen Tiger: „Ich bin stark wie ein Bär und du bist stark wie ein Tiger. Das reicht.“ Janosch macht uns darauf aufmerksam, dass jeder einzigartig stark und kraftvoll ist.
Ich wünsche mir aus ganzem Herzen für die Führung von heute, dass es wieder mehr um die Stärke und Kraft von innen gehen kann, und weniger um das Außen.
Ich wünsche mir, dass Leader ihre Grenzen kennen und sie auch offen aussprechen.
Ich wünsche mir, dass Unternehmen Führungskulturen etablieren, die Kraft geben und das Miteinander groß schreiben.
Dann bräuchten wir viel weniger Input von außen wie von inspirierenden Speakern oder schlauen Professoren, müssten weniger Bücher über Führungsansätze lesen und keine Führungsseminare und Co mehr besuchen.
Dann schaffen wir es über aufmerksames Reflektieren in uns selbst zu ruhen und uns auf uns selbst zu verlassen.
Dann haben wir ein größeres (Selbst-)Bewusstsein mit dem wie wir die Dinge tun und lassen, uns von der Dynamik des „Höher, schneller, weiter“ freudig mitreißen lassen, aber nicht unangenehm treiben.
Dann gibt es Führungskräfte, die Führung selbstverantwortlich leben, in dem sie sich selbst und ihren Mitarbeitern Kraft geben und diese auch halten.
Aber mehr Selbstakzeptanz wächst ja nicht über Nacht?!
Abschließend stelle ich mir die Frage, ob mein Wunsch nach mehr Stärke und Selbstakzeptanz bei euch auch das Gefühl auslöst, wieder mehr „machen“ zu müssen, um dahin zu kommen. Dann würde sich dieser Artikel genau in die Reihe der Führungsoptimierung einreihen, die mich so aufregt. Schließlich ist das gar nicht so leicht, sich mit sich selbst zu beschäftigen, vor allem, wenn man das nicht so gewohnt ist.
Aber ich möchte euch ermutigen, es leicht zu nehmen und einfach mal anzufangen. Im Grunde geht es nur um einen Perspektivwechsel in den Situationen eures (Führungs-)Alltags: anstatt die anderen, mehr euch selbst zu beobachten und zu reflektieren. Das bringt ganz viele spannende Erkenntnisse.
Ich wünsche uns allen ein Jahr mit mehr Selbstakzeptanz und kraftvollen Momenten!
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