In der diesjährigen Fotokolumne des Zeitmagazins setzt sich die Fotografin Viviane Sassen mit der Frage „Was ist weiblich?” auseinander. Ein Interview.
Zwischen Kunst und Mode
Das Werk der niederländischen Fotografin Viviane Sassen vereint Kunst und
Fashion-Fotografie. Dabei ist sie vor allem für geometrische Formen und
abstrakte Darstellungen von Körpern bekannt. Sie setzte bereits Kampagnen für
Stella McCartney, Miu Miu und Louis Viutton um. 2017 drehte sie für für die
Künstlerin M.I.A. das Video zu deren Single „Finally”. Vergangenes Jahr
widmeten die Deichtorhallen in Hamburg ihre eine komplette Ausstellung und mit Beginn des Jahres 2018 übernahm sie die renommierte Foto-Kolumne des Zeit-Magazins. Das Thema „Was ist weiblich?” schlug sie selbst vor – und das Zeit-Magazin war begeistert. Um es in Christoph Amends Worten zu sagen: „Als sie uns einige Wochen nach dem Treffen vorgeschlagen hat, ihre Kolumne
,Was ist weiblich?’ zu nennen, war es an uns zuzusagen. Eines der großen
gesellschaftlichen Themen, gesehen durch die Augen einer so besonderen
Künstlerin – das passt perfekt zum Zeitmagazin.”
Wir haben mit der 1972 geborene Künstlerin über ihren persönlichen Blick auf Weiblichkeit, wie sich dieser im Laufe ihres Lebens gewandelt hat und ihre Pläne für die einjährige Kolumne, die gemeinsam mit der Lyrikerin Maria Barnas entsteht, gesprochen.
Mit der ersten Ausgabe des neuen Jahres übernimmst du die Fotokolumne des Zeitmagazins. Das übergreifende Thema dabei lautet: „Was ist weiblich” – Wie beantwortest du die Frage 2018 für dich?
„Die Frage kann ich noch nicht beantworten. Ich glaube, Weiblichkeit ist etwas sehr Fließendes, wie Wasser. Sie kann viele Formen und Ausprägungen annehmen. Auf mich selbst bezogen fühle ich die Notwendigkeit, besser auf mich selbst achtzugeben, ausgeglichener zu werden. Körper und Gedanken, Familie und Arbeit … Nach Ausgeglichenheit zu suchen ist an sich nichts rein Weibliches, aber es ist hilft uns, all die unterschiedlichen Elemente, die unser Leben ausmachen, zu jonglieren. Es hilft uns, zu definieren, wer wir sein wollen.”
Hat sich dein Blick als Künstlerin auf Weiblichkeit im Laufe deines Berufslebens geändert? Wenn ja, wird die Kolumne diese Entwicklung nachzeichnen oder geht es explizit um einen aktuellen Blick auf die Frage?
„Ich glaube als ich jung war, waren auch meine Gedanken jung. Ich hatte einen aggressiveren Blick auf die Welt, auf das, was ich sein wollte und was es bedeutete, eine Frau zu sein. Ich war mehr in Kampflaune. Über die Zeit sind meine Ansichten differenzierter geworden. Ich wurde Mutter, Ehefrau, eine Lehrerin. Mein Körper hat sich verändert und ich brauche ihn nicht mehr als Werkzeug der Macht, um die mangelnde Erfahrung auszugleichen. Das ist ein positiver Effekt des Älterwerdens: mehr Natur. Ich bin mir nicht sicher, wie sich die Kolumne im Laufe des Jahres entwickeln wird – vielleicht werde ich mir noch einmal mein Archiv anschauen und Bilder aus der Vergangenheit verwenden. Ich habe ziemlich viele Selbstporträts gemacht, während ich studiert habe. Vielleicht schaffen sie es in die Kolumne, das ist noch nicht klar.”
Du hast drei Jahre deiner Kindheit in Kenia verbracht. Glaubst du, das hat deinen Blick auf Weiblichkeit geweitet?
„Ja, das glaube ich auf jeden Fall. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie stark die meisten Frauen, mit denen ich in Kenia aufgewachsen bin, waren. Sie müssen extrem stark sein, weil sie viele Aufgaben haben. Landwirtschaftliche Arbeiten, Wasser holen, Feuerholz sammeln, für die ganze Familie kochen, auf dem Markt Geld verdienen, sich um die Kinder kümmern…Ihre Körper sind extrem stark. Sie helfen sich gegenseitig auf eine andere Art als Frauen hier in der westlichen Welt. Ihre Verbindung ist sehr eng, sie brauchen sich buchstäblich gegenseitig– manchmal geht es dabei sogar um Leben und Tod. Als ich vor einigen Jahren für ein paar Monate in Zambia lebte, wurde ich zu einer sehr privaten Zeremonie eingeladen: eine Frau war gestorben und ihre weiblichen Familienangehörigen und besten Freundinnen haben ihren Körper in der Leichenhalle liebevoll gewaschen. Sie haben sie stillschweigend angezogen, ihre Haare frisiert und sie geschminkt. Es war sehr bewegend, aber gleichzeitig nicht rührselig.”
Auf dem ersten Bild der Kolumne ist ein Pelikan in einer sehr verrenkten Pose zu sehen. Was sagt dieser über Weiblichkeit aus?
„Die Form des Pelikans hat mich an eine Gebärmutter oder einen Körper, der sich wie ein Fötus zusammengerollt hat, erinnert. Ich mag die weiche Leichtigkeit der hellen rosa-orangefarbenen Federn.”
Die erste Fotokolumne der Fotografin Vivianne Sassen, erschienen im Zeitmagazin 01/18. Quelle: Viviane Sassen für das Zeitmagazin
Jedes deiner Bilder der Kolumne wird mit einem Gedicht der Lyrikerin Maria Barnas untertitelt. Wie arbeitet ihr zusammen? Soll auch zwischen euch ein Dialog über Weiblichkeit entstehen oder ist die Kolumne ein gemeinschaftliches Statement?
„Ich glaube, es ist mehr ein Dialog, da wir nicht ausführlich diskutieren. Maria reagiert auf mein Foto, in dem sie ihre eigenen Gedanken, Erinnerungen und Fantasien einbringt …”
Ist die Zukunft weiblich? Und wenn ja, wie sieht sie aus?
„Pink! Nein, das war ein Scherz. Die Zukunft wird nicht rein weiblich. Und ich glaube auch nicht, dass wir danach streben sollten. Ich glaube nicht, dass wir besser sind als Männer. Aber: Wir müssen gleiche Rechte anstreben. Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen wird die Zukunft sehr viel strahlender aussehen lassen. Da bin ich mir sicher. Ich persönlich fühle mich schon sehr sicher in meiner Position. Aber wenn ich mir andere Länder ansehe, weiß ich, dass noch ein langer Weg vor uns liegt. Wir müssen auch für diese Frauen kämpfen, ohne ihnen dabei unsere Weltanschauung aufzudrängen. Der Schlüssel ist, nicht zu urteilen und zu bestimmen, sondern zuzuhören und sie zu fragen, wie wir helfen können.”
„Was ist weiblich? (2)”. Quelle: Viviane Sassen für das Zeitmagazin
„Was ist weiblich? (3)”. Quelle: Viviane Sassen für das Zeitmagazin
„Was ist weiblich? (4)”. Quelle: Viviane Sassen für das Zeitmagazin
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