Foto: Viktor Hanacek I Picjumbo

Abi und dann? Die neue Spießigkeit

Zukunftsängste und die Kunst sich selbst zu finden. Diese turbulente Reise beginnt schon im Abiturjahr. So viele Möglichkeiten und die Zeit rennt.

 

Was kommt nach dem Abitur?

„Lena Dunham? Das ist doch die, die mit ihren breiten Hintern nackt vor der Kamera hüpft.“ Meine Schulkameradin schaut mich irritiert an, als ich von der erfolgreichen Produzentin, Schauspielerin und Drehbuchautorin schwärme. Wir sitzen in der Kantine eines Hamburger Gymnasiums, welches wir besuchen und unterhalten uns über alles und jeden. Eben auch darüber, was nach dem Abitur passieren wird. Work&Travel? FSJ? IFJD? Oder doch gleich studieren?

Es ist ein Thema, das Tag für Tag an Omnipräsenz zunimmt. Logisch – in einem halben Jahr halten wir unsere Abiturzeugnisse in der Hand und von uns wird erwartet, dass wir in die Welt hinausschreiten und die Führungskräfte von morgen werden. Ich träume schon seit langem davon Journalistin zu werden und auf Weltreise zu gehen. Nach dem Abschluss meine sieben Sachen packen, die Tür aufreißen und… bekomme unerwartet eine Reihe von Vorwürfen an den Kopf geknallt. „Also ich würde meinen Freund ja nicht einfach so im Stich lassen. Ein Jahr ist total lang“, kommt es mir entgegen. Autsch, das hat wehgetan.

Erfolgreiche Frauen „befremdlich“?

Was auf dem ersten Blick wie eine passiv-aggressive Anschuldigung klingt, spiegelt in Wirklichkeit das Gefühl vieler von uns Abiturienten wider: Angst, Unsicherheit. Ja, sogar eine gewisse Spießigkeit. Womit ich wieder bei Lena Dunham wäre: eine junge erfolgreiche Frau, die sich für ihren Körper nicht schämt und sich nackt vor der Kamera wohlfühlt, gilt unter 18-jährigen nicht als bemerkenswert oder mutig.

Es ist „ekelerregend“, „befremdlich“ und „total überflüssig.“ Die Tatsache, dass eine damals 24-jährige Frau eine eigene Serie produziert, schreibt und zusätzlich auch noch Regie führt, wird völlig außer Acht gelassen oder ist nicht relevant.

Angst vor unbegrenzten Möglichkeiten

Eine Palette an Möglichkeiten wird uns dargelegt und wir sind überfordert und verunsichert. Aber warum? Sind es die Lehrer, die mit der fortschreitenden Digitalisierung nichts anfangen können und uns daher nicht bei der Berufswahl unterstützen? Bei den Begriffen „Social Media Manager“ und „Marketing Kommunikation“ winken sie sofort ab. „Mach lieber was solides wie Jura.“ Klingt wie ein zynisches Klischee, sehe ich oft aber als traurige Realität. Das Mädchen mit einem Faible für Kunsthistorik kommt eingeschüchtert aus der Berufsberatung und will zwei Wochen später plötzlich Sozialökonomie studieren. Woher kommt diese Unsicherheit? Sind es die Medien, die uns tagtäglich wissen lassen, dass die Welt immer droht unterzugehen? Und was ist unsere Antwort darauf: Festanstellung!

Die neue Spießigkeit der Generation Y

Ich als angehende Journalistin werde ständig entgeistert angeguckt, wenn ich meinen Berufswunsch nur erwähne. Vom Prinzip des „Freelancing“ ganz zu schweigen. Sätze wie „Wäre mir zu unsicher“ oder „Du willst doch nicht wie die Brigitte-Redakteurinnen enden“ muss ich mir oft anhören. Zu oft. Es ist mir durchaus bewusst, dass es schwierig ist. Jedoch spornt es mich zusätzlich an, es wenigstens zu versuchen. Über die Monate habe ich eine gewisse Zielstrebigkeit entwickelt, wenn nicht sogar Ehrgeiz.

Aber auch das wir eher als unattraktiv wahrgenommen. Jetzt schon anfangen seine berufliche Karriere zu planen? Wozu das denn? „Wirst du jetzt auch so eine feministische Karriere-Tussi?“ Das Bedürfnis sich ständig rechtfertigen zu müssen, habe ich langsam satt. Einer Mitschülerin zu erklären, warum ich das machen will, was ich machen will und noch nicht über Kinder nachdenken kann, empfinde ich als ein eigenartiges Phänomen. Sie auch noch davon überzeugen zu müssen, dass Mütter, die nach sechs Wochen wieder Vollzeit arbeiten gehen wollen, keine Rabenmütter sind, als gruselig. Werden wir immer spießiger?

Ich will mehr!

Man fühlt sich nicht selten einsam mit dem Gefühl, mehr zu wollen. Einerseits wachsen die eigenen Erwartungen und andererseits muss ich aufpassen mit 18 Jahren nicht schon als „Karrierefanatikerin“ abgestempelt zu werden. Das Wort „Traumberuf“ scheint zunehmend aus der Mode gekommen zu sein.

Wenn wir jetzt nicht träumen dürfen, wann bleibt uns dann Zeit es zu tun? „Die Jugend von heute“ wird immer dahingesagt. Ja wie ist sie denn, die Jugend von heute? Wenn ich mich umgucke, denke ich sie ist die Erwachsenen von vorgestern.

Anzeige