Die Vorweihnachtszeit kann uns außer Stress auch innere Sicherheit bringen. All die kleinen Rituale sind viel mehr als Kitsch.
Verzauberte Adventswelt
Am Wochenende hatte Cornelia Funke Geburtstag, die Grande Dame der Kinder- und Jugendliteratur, heiß geliebt für die Abenteuer des Schatzsuchers John Reckless, ihre Tintenwelt-Trilogie, anarchistische Geschichten, in denen Mädchenbanden wie Geflügel oder Pferde wie Flüsse heißen, und noch so viele mehr. Jetzt, in der Adventszeit, ist unser All-Time-Favourite ihre weihnachtliche Geschichte „Hinter verzauberten Fenstern“. Die ist eigentlich schnell erzählt: Es geht um einen zunächst ungeliebten und wenig spektakulären Adventskalender, der dann aber hinter seinen Fenstern, ganz Funke-typisch, eine eigene spannende Welt offenbart, die nicht nur die schmollende Kalenderbesitzerin wider Willen, sondern auch uns Leser*innen unwillkürlich in ihren Bann zieht. Obwohl wir die Story inzwischen in- und auswendig kennen, wird sie in unserem Hause jedes Jahr aufs Neue verlangt, und so sitzen wir auch dieser Tage wieder gemütlich zusammengekuschelt auf dem Sofa und lesen von fliegenden Badewannen, silbernen Schurken und muffiger Schokolade.
Plätzchen und Sterne als Akt der Rebellion
Das ist es, was ich an der Weihnachtszeit so mag: Dieses Ruhig-Werden und Sich-Zeit-nehmen, obwohl natürlich wieder alle denkbaren Krisen auf einmal genau jetzt als hämische Verbündete gemeinschaftlich an die Tür klopfen und Zeit eigentlich genau das ist, was jetzt am aller wenigsten übrig bleibt. Ich empfinde es deshalb beinahe schon als rebellischen Akt, irgendwann am Wochenende den Arbeits-PC auszuschalten und mich um so „triviale“ Sachen wie einen Adventskranz zu kümmern, Plätzchen zu backen, Sterne aufzuhängen oder winzige Kalenderpäckchen zu packen. Und es erfüllt mich fast schon mit diebischer Freude, dem Wahnsinn vor meiner Tür ein Schnippchen zu schlagen und einfach die Zeit mit meiner Familie zu genießen, Geschichten zu lesen, Kastanien zu rösten und Weihnachtsfilme anzuschauen. Vielleicht habe ich auch in letzter Zeit besonders das Gefühl, dass die Welt da draußen langsam wahnsinnig wird und feiere die Zuneigung und den Frieden in meinem Refugium mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln und Ritualen. Ich bin gerade ganz besonders dankbar und achtsam.
Lichterglanz in unsicheren Zeiten
In der Psychologie gibt es dafür auch einen Ausdruck: Resilienz. Das ist die innere Stärke, die es uns ermöglicht im Angesicht von Krisen und Belastungen nicht aus den Schuhen zu kippen, sondern stehen zu bleiben, in uns selbst Sicherheit zu schaffen und damit auch die Anforderungen zu bewältigen, denen wir uns gegenübersehen. Ich habe ja den Eindruck, dass Rituale nicht nur meine innere Ruhe und damit meine Widerstandskraft stärken, sondern dass das vermutlich seit jeher so war. Es ist sicher kein Zufall, dass zur dunkelsten Jahreszeit, in der das Überleben zuweilen recht hart werden konnte (und kann), schon immer Lichtfeste gefeiert wurden zum Erhalt der Hoffnung und des Durchhaltevermögens. Eine Gruppierung hat aus den bestehenden Lichtritualen eben ganz geschickt Weihnachten gemacht, das Licht in ihrer Metapher ist eine Person. Ich glaube aber, es geht eigentlich nicht darum, dass ein Baby vor zweitausend Jahren in einen Futtertrog gelegt wurde. Ich glaube, im Grunde zeigt sich hier die Fähigkeit des Menschen, sich im Angesicht von Dunkelheit, Entbehrung, Unsicherheit usw. Rituale zu schaffen, die dazu dienen sollen, sich gegen die Unwägbarkeiten des Lebens zu schützen, Kräfte zu sammeln und sich dafür bereit zu machen, den Herausforderungen, die auf sie zukommen würden, zu begegnen – und im besten Fall andere genau dabei zu unterstützen, die es nicht so gut getroffen haben (wie wir).
Bewusst innehalten und Kraft tanken
Wer weiß schon, was das kommende Jahr für uns alle bringen wird? Für mich, meine Familie, meine Nachbarn und Freunde, Kollegen, die Stadt, die Gesellschaft, die weltpolitische Lage … Das Jahr 2016 hat jedenfalls meinem Empfinden nach einen recht hohen Tribut gefordert und ich schaue gespannt und aufmerksam dem entgegen, was da kommen mag. In der Zwischenzeit aber tanke ich, mitten im Gewimmel und Chaos, Ruhe und Gelassenheit, sammle mich, mache Spaziergänge, genieße die Zeit Zuhause im Kreis meiner Lieblingsmenschen, backe Plätzchen (dieses Wochenende sind wieder Vanillekipferl dran und mein Mann hat es noch immer nicht geschafft, mich bei unserer privaten Plätzchen-Challenge zu übertrumpfen, hehe), koche Tee, höre Weihnachtslieder von Dean Martin und Frank Sinatra, schau mir gemütliche alte Schinken an, lese Geschichten vor, stelle abends bunte Kerzen ins Fenster, so dass von außen funkelnde und leuchtende Vierecke im Dunkeln zu sehen sind, strecke den Widrigkeiten des Lebens frech die Zunge raus und freue mich an unserem kleinen Bollwerk aus Liebe und Zuversicht hinter unseren ganz persönlichen verzauberten Fenstern.
Wer es übrigens mit Märchen und Co. nicht so hat und sich für die kalte Jahreszeit eher einen subversiven Schmökertipp wünscht, probiere es doch mal mit Holidays on Ice von David Sedaris – ganz großer (und ein bisschen böser) Spaß!
Könnt ihr die Adventszeit auch nutzen, um Kraft zu tanken? Wie nutzt ihr die letzten Tage im Jahr?
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