Foto: René Löffler

„Alleinerziehende sind ein Geschenk – an uns sieht man die Schwachstellen der Politik“

Welche Themen sind Alleinerziehenden bei ihrer Wahlentscheidung am Sonntag wichtig? Susanne Triepel, Mutter eines neunjährigen Kindes, hat mit uns darüber gesprochen.

 

Wer hat ein Konzept für Single-Eltern?

Im Wahlkampf versprechen alle Parteien eine bessere Politik für Familien. Zur Wahl sprechen wir in einer Serie mit unterschiedlichen alleinerziehenden und getrennt-erziehenden Eltern darüber, was ihnen bei der Wahlentscheidung in diesem Jahr wichtig ist und wie sie die Pläne der verschiedenen Parteien beurteilen.

Susanne Triepel ist 46 und hat einen neunjährigen Sohn. Sie ist seit der achten Schwangerschaftswoche alleinerziehend. Der Vater des Kindes beteiligt sich nicht an der Betreuung, Susanne bekommt für ihr Kind Mindestunterhalt. Sie arbeitet 20 Stunden in der Woche für ein Projekt in der kulturellen Bildung in Festanstellung – allerdings befristet.

„Alleinerziehende brauchen und verdienen Solidarität. Was uns im Alltag ins Wanken oder Stolpern bringt, beziehungsweise völlig ausknockt, betrifft viele Frauen: Lohnungleichheit, starre Arbeitszeiten, Vereinbarkeit, Sexismus.“

Gesprächsprotokoll

Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Maßnahmen, um allein- und getrennt erziehende Eltern zu stärken?

Flexible Arbeitszeiten, bzw. das Recht darauf: so etwas wie ein Zeitkonto oder eine erweiterte Elternzeit. In Schweden kann man viel länger Elternzeit nehmen und auch mal tageweise. Das geht dort immerhin seit vielen Jahren in einem kleinen Land, das kann also nicht so schwer sein.

Ich würde es zur Bedingung machen, dass Väter Elternzeit nehmen, um überhaupt Elterngeld zu bekommen. Für Alleinerziehende, die schon in der Anfangszeit alleine sind, müsste das natürlich anders geregelt sein. Aber nur so wird Care-Arbeit aufgewertet werden und nicht automatisch der Mutter zugeteilt. Auch die Arbeitgeber müssen sich dann darauf einstellen, dass Männer fehlen.

Aus meiner Sicht fehlt die Unterstützung für Frauen und Kinder mit Mindestunterhalt bzw. Unterhaltsvorschuss und geringem Einkommen. Manche von uns sind knapp über Hartz IV, damit sind wir und unsere Kinder raus aus vielen Förderungen und Maßnahmen, die wir eigentlich dringend brauchen. Kulturelle Bildung ist dann Luxus bzw. entfällt.

Ich würde mir wünschen, dass Ganztagsschulen normal sind. Ich musste drei Jahre warten, bis wir aufgenommen wurden. Und Investitionen in gute Kinderbetreuung, denn die heißt nicht nur viele Stunden, sondern Qualität. Es ist zum Beispiel in den meisten Regel-Schulen nicht die Regel, dass dort Hausaufgaben betreut werden, oder Aktivitäten angeboten werden.

Wohnungsbauprogramme, die auf Alleinerziehende zugeschnitten sind. Wir finden keine Wohnungen: „Was nur ein Einkommen? Tschüss.“ Und es wäre auch schön, gemeinsam zu wohnen. Es gibt aber meines Wissens keine Förderung für solche Projekte. Ich find sowieso, es müsste in jeder Stadt/Landkreis eine Stabstelle für Alleinerziehende geben.“

Hast du Wahlprogramme gelesen und dort Ideen gefunden, die du gut fandest?

„Also am schlimmsten finde ich das Parteiprogramm der CDU. Das ist so an der Realität vorbei. Da will ich sagen ,Lass stecken, Angie‘. Ich kann gar nicht glauben, dass das Frau Dr. Angela Merkel abgesegnet hat, die ist doch nicht völlig ohne Einfluss und auch eine Frau. Das Ehegattensplitting befördert die Ungleichheit bei der Aufteilung der Care-Arbeit und verhindert damit Gleichberechtigung. Es ist immer noch und gerade wieder so, dass sich viele Paare für die Ehe entscheiden, weil das Alleinverdiener-Modell bevorzugt wird. Und selbst wenn kein Trauschein da ist: Viele Frauen gehen immer noch selbstverständlich zwölf Monate in Elternzeit und arbeiten danach in Teilzeit. Was das für Auswirkungen hat auf ihre wirtschaftliche Existenz und ihre Rente ist vielen nicht klar, und in vielen Partnerschaften ein blinder Fleck. Das wird ausgeblendet.

Die Alleinerziehenden trifft dann der Wegfall des Alleinverdieners oder Mehrverdieners wie eine Keule. Wie willst du denn von einem Nicht-bzw. Teilzeit-Gehalt dich und dein Kind ernähren? Betreuungsunterhalt gibt es ja nicht. Das ist so 1958, ich krieg schon wieder Bluthochdruck nur vom darüber Reden! Auch das Kinderbaugeld ist aberwitzig – vor allem für Alleinerziehende – wovon und wie sollen wir denn bauen? Die Kindergelderhöhung ist ein Witz – von den 25 Euro wird ja die Hälfte auf den Unterhalt angerechnet. Beratung zum Wiedereinstieg? Es wäre wichtig das zu ändern in Unterstützung. Frauen hängen immer noch in der Teilzeit-Falle. Ich bin das beste Beispiel. Ich bin in neun Jahren von der gut bezahlten Projektleitung jetzt bei 20 Stunden angekommen. Ich habe mit jeder neuen Arbeitsstelle Rückschritte gemacht. Weniger Geld, weniger Stunden, und schließlich auch seit zwei Jahren Befristung auf ein Jahr. Es gibt auch kaum Arbeitgeber, die Alleinerziehende einstellen. Ich zum Beispiel bin inzwischen den meisten auch noch zu alt.“

FDP: Das Wechselmodell als Regelfall ist kein Regelfall. Das ist das Problem. Da in den meisten Fällen die Erziehungsarbeit-und Sorgearbeit nicht 50:50 aufgeteilt war, funktioniert das nicht reibungslos. Die meisten Paare scheitern an ganz alltäglichen Dingen, darunter leiden natürlich vor allem die Kinder. Das kann in zehn Jahren Regelfall sein, wenn die meisten Väter Elternzeit genommen haben, die der Gesetzgeber vorschreibt (mindestens sechs Monate, nicht übertragbar auf die Mutter). Völlig realitätsfern. Das ist doch auch mitunter mit (Fahrt-)Kosten verbunden, wie wird das denn berücksichtigt?

SPD: Auch das habe ich gerade noch mal gegoogelt: ‚Unter einer von ihm geführten Regierung würden neben der Abschaffung der Kita-Gebühren Familien mit Kindern entlastet‘, sagte Schulz der ‚Welt am Sonntag‘. Konkret solle jedes Elternpaar – egal ob verheiratet oder alleinerziehend – 150 Euro pro Kind von seiner Steuerlast abziehen können. Allein mit diesem Bonus könnte ein Paar mit drei Kindern dann rund 900 Euro im Jahr sparen, betonte Schulz. Von einem erweiterten Kindergeld und den Beitragsentlastungen für Geringverdiener profitierten vor allem Alleinerziehende.

Ich habe das kürzlich mit einem Reporter eines Magazins durchgerechnet. Da ich sehr wenig Steuern zahle, nutzt mir das nix. Geringverdiener haben nichts davon. Für mich sind das 20 Euro im Monat = der Karateunterricht meines Kindes. Die meisten Alleinerziehenden sind leider Aufstocker mit geringem Einkommen, die gehen leer aus. Diese Idee vom Bonus – und das Wort ist sehr bezeichnend – ist eine Prämie für die, die sich wirtschaftlich noch  gerade oben halten. Ist aber kein Mittel gegen Kinderarmut: Die die es dringend brauchen erreicht es nicht, so wie mich.

Also die Grünen haben leider keine sehr konkreten Zahlen veröffentlich bis jetzt was die steuerliche Entlastung für Alleinerziehende angeht. Aber sie möchten eine Kindergrundsicherung einführen, Ganztagsschulen ausbauen und das mit diesem Recht auf Home-Office als Ergänzung zum Büroarbeitsplatz vorschlagen finde ich auch gut. Insgesamt setzen sie mehr Impulse als SPD und CDU – die Linke macht das übrigens auch.

LINKE: Das Gesetz, das den Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder regelt, finde ich sehr wichtig, gerade im Hinblick darauf, dass das Umgangsrecht vielen Tätern wieder Kontakt mit den Opfern ermöglicht. Ich halte tatsächlich am meisten von deren Wahlprogramm – und ich hätte nie gedacht dass ich mal in Erwägung ziehe, diese Partei zu wählen. Aber viele Maßnahmen in ihrem Programm kommen automatisch den Alleinerziehenden zugute, da muss man gar nichts extra stricken.

Die AfD finde ich ungeheuerlich Die sind unwählbar, wegen allem – aber eben vor allem auch wegen diesem völlig rückschrittlichen, aberwitzigen Familienbild –  wieso muss ich mir denn von einer Partei aufoktroyieren lassen, wie ich lebe oder Kinder habe im Jahr 2017  – das hatten wir ja alles schon mal und es ist zum Glück vorbei. ‚Eine staatliche Finanzierung des selbstgewählten Lebensmodells ‚Alleinerziehend’ lehnen wir jedoch ab‘, schreibt die AfD, ‚Wir wenden uns entschieden gegen Versuche von Organisationen, Medien und Politik, Alleinerziehende als normalen, fortschrittlichen oder gar erstrebenswerten Lebensentwurf zu propagieren.‘ Was heisst denn selbstgewählt? Wenn du es nicht schaffst, ,den Mann zu halten‘ =  er geht – oder du gehen musst, weil die Beziehung völlig destruktiv ist, dann haste halt Pech und dein Kind verhungert? Ja blöd, was machen wir denn da?“

Welche politischen Themen sind dir außerdem wichtig bei deiner Wahlentscheidung?

„Soziale Ungleichheit, bzw. strukturelle Armut, die fehlende Erkenntnis, dass Frauen nach der Elternzeit oft nicht an die Karriere anknüpfen können. Es werden immer noch keine oder zu wenig Karrieren aus Teilzeit herausgemacht. Die Arbeitszeiten sind in Deutschland zu starr an Präsenzzeiten gekoppelt. Da müssten viel mehr Impulse von oben zu den Arbeitgebern kommen als deutliches Signal. Die neue Regierung in NRW zeigt gerade sehr eindrucksvoll wo es eigentlich nicht hingehen sollte – nämlich zurück statt vorwärts.“

Siehst du in der deutschen Politik eine Fürsprecherin/einen Fürsprecher für Alleinerziehende?

„Nein, ich hadere sehr mit der Lobbyarbeit, die es für Alleinerziehende gibt. Ich bin jetzt sehr oft bei politischen Veranstaltungen gewesen und da waren Alleinerziehende nicht immer sichtbar bzw. von etablierten Verbänden (VAMV e.V.) vertreten. Wir haben keine Lobby und keine Fürsprecher. Frau Schwesig tauchte mal kurz wie ein Fixstern am Horizont auf – und strahlt jetzt leider über Schwerin. In der Politik haben Väterrechtler viel mehr das Sagen, weil Politik immer noch hauptsächlich von Männern gemacht wird. Ich finde das Parteiprogramm der SPD spiegelt das sehr gut. Das ist für mich so, als ob ein paar alte Genossen kurz mal was für die Mädchen mit reingesteckt haben, und sich dann auf die Schulter klopfen und das Ding alleine durchziehen. Ich bin wirklich entsetzt. Aber ist ja auch kein Wunder: Frauen – und die Mehrheit der Alleinerziehenden ist weiblich –  kommen zu wenig vor und zu Wort.

Es gehört immer noch sehr viel Mut dazu sich zu einer sehr normalen Lebensform alleinstehend mit Kind öffentlich zu bekennen. Und zu sagen: Das ist nicht leicht, nicht weil wir nicht wollen, sondern weil wir manchmal nicht können, wie wir wollen! Probleme anzusprechen heißt in Deutschland Schwäche zeigen und Gesichtsverlust. Dann heißt es oft: Die jammert – und das ist das Gegenteil von dem, was Politiker ausstrahlen wollen.

Ich hatte ein Schlüsselerlebnis bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, das sagte eine Abgeordnete auf dem Podium: „Wir haben ja eine alleinerziehende Ministerin“. Es dauerte 48 Stunden bis ich darauf kam, wen sie eigentlich meint. Andrea Nahles. Sehr bezeichnend. Franziska Brantner von den Grünen hat sich jetzt noch ,geoutet‘. Und allein, dass ich das so bezeichne, ist wieder sehr bezeichnend.

Ich glaube Alleinerziehende sind für die Regierungsparteien schwierig, weil an unseren Problemen sehr gut ablesbar ist, welche Schwachstellen es in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Familienpolitik gibt. Und wo man mal dringend ran müsste. Ich sehe uns eher als großes Plus und als Geschenk. Wenn ich noch als Projektleiterin arbeiten würde, dann würde ich sagen: ,Wahnsinn da sieht man ja alle Schwachstellen auf einmal, kann man gleich mal ran, bevor der Kunde was mitkriegt, oder alles in die Hose geht.‘ Quasi Best Practice, Beispiel Worst Case. Für sowas müssten eigentlich sechsstellige Beratungshonorare gezahlt werden an Agenturen, in denen leider zu wenig Alleinerziehende arbeiten. Höchstens Männer mit Hund.

Apropos: Dass wir im Jahre 2017, staatliche Verhältnisse haben, die ermöglichen, dass der Beziehungsstatus einer Mutter immer noch ausschlaggebend ist, ob sie wirtschaftlich unabhängig sein kann, oder Karriere machen, finde ich skandalös. Das ist ein Umstand der alle Frauen auf die Barrikaden treiben sollte. Wir werden diskriminiert. Und kein Politiker hat den Mut, das offen auszusprechen und Verantwortung zu übernehmen. Ich spreche hier auch noch gar nicht von der Kinderarmut, die damit einhergeht. Das ist auch ein Fass, dass ich aufmache.“

Wie würdest du gern arbeiten?

„Ich würde gerne zusätzlich zu meiner Festanstellung frei arbeiten. Ich hatte auch schon die Kombi: 20 Stunden und Mini-Job, aber das bringt außer dem kurzen Vorteil, dass man keine Steuern zahlen muss, nur Nachteile. Man gewöhnt sich sehr schnell an das bisschen mehr – und ist vollbeschäftigt ohne voll oder gut zu verdienen, von der Rente möchte ich gar nicht reden. Es wäre großartig, wenn ich vom Schreiben leben könnte. Das ist voll mein Ding. Mein Blog dümpelt aber leider so vor sich hin. Du hast zu wenig Rezepte und zu viel Politik hat mir kürzlich jemand gesagt.“

Bist du politisch engagiert, zum Beispiel in einem Verein oder einer Partei?

„Noch nicht. Ich überlege ob ich die neue Linke Hoffnung werde. Ich hab so viel Expertise zum Thema soziale Ungleichheit und Armut – und Humor. Ich finde Letzteres fehlt denen manchmal, die sind so verbissen. Gibt ja auch viel Ungerechtigkeit in der Deutschland, ist nicht zum Lachen, aber das Thema erreicht irgendwie niemanden richtig, dabei betrifft es uns alle: Chancengerechtigkeit egal wo wir herkommen – und ob wir Brüste haben oder eben nicht. Der Witz ist: Laut meinen Einkommen müsste ich für das linke Parteibuch so viel zahlen wie für den Karate-Unterricht meines Kindes. Im Moment ist das nicht drin. Ich werde also erstmal nicht in den Bundestag einziehen.“

Danke für das Gespräch, Susanne.

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