Ist Familienplanung out? Das fragt sich unsere Community-Autorin Marie Hesse – denn immer mehr Paare um sie herum bekommen Nachwuchs, doch keines der Paare hat vorher übers Kinderkriegen gesprochen.
Ich bin schwanger – aber das ist ganz überraschend passiert!
Wenn langjährige Freunde Kinder bekommen, fühlt sich das immer ein bisschen so an als würden befreundete Kinder nun Kinder bekommen. Man wächst mit ihnen auf, springt mit ihnen von Bäumen, schumelt bei Klassenarbeiten, betrinkt sich maßlos (illegal) auf Klassenfahrten und später (ganz legal) auf der Abifahrt. Man geht feiern, zieht aus, zieht weg, zieht um und obwohl man weiß, dass alle immer älter werden, fühlt man sich eigentlich immer noch wie damals in Weißensee. Eine dieser Freundinnen bekam vor nicht allzu langer Zeit ihr erstes Kind. Vor ungefähr elf Monaten trafen wir uns auf Wein und Gespräch in einem Lokal und sie erzählte mir, dass sie schwanger sei. Für sie gab es dann natürlich keinen Wein und für mich zusätzlich den von ihr.
Ganz überraschend sei das alles passiert und auf keinen Fall geplant. Vor zwei Wochen erzählte sie mir dann von ihrer außergewöhnlichen Geburtserfahrung und anderen wunderbaren außergewöhnlichen Dingen. Was man so mit der Plazenta machen kann beispielsweise, wie wichtig Geburtsvorbereitungskurse sind und dass “Elimination communication” das neue Ding ist: „Gut für´s Baby und für die Umwelt!“. Vor der Schwangerschaft hatte die gleiche Frau behauptet, dass sich „garantiert nichts ändern“ werde und dass „wir auf jeden Fall alle die Alten bleiben“. Alt waren wir noch, aber nicht mehr die Gleichen.
Die biologische Uhr tickt nicht bei allen gleich
Immer häufiger fragen mich bekannte Gesichter: „Und? Willst du nicht langsam mal ein Kind bekommen? Jetzt wird´s doch aber langsam mal Zeit, oder?“ – und grinsen dabei dümmlich vor sich hin. Ich weiß dann immer nicht genau was ich antworten soll, antworte aber meist: „Solange ich Schokoladenkekse immer noch als adäquates Abendessen empfinde, halten meine Gebärmutter und ich uns lieber zurück“.
Ich meine das todernst und werde doch nur belächelt. „Na warte mal ab, das geht meist schneller als man denkt!“, sagen sie dann und nippen an ihrem Matcha-Latte. Ich frage mich immer was sie damit wohl meinen. Werde ich irgendwann morgens aufwachen und auf einmal ein D- statt eines A-Körbchens unter der Decke finden? Oder urplötzlich einen Sechsmonatsbauch vor mir hertragen? Werde ich in naher Zukunft auf den Penis eines Mannes fallen und sofort schwanger? Oder werden irgendwelche umherschwirrenden unsichtbaren Partikel in der Luft meinen Uterus bezirzen ein Menschenkind entstehen zu lassen?
Sich ganz offiziell ein Baby wünschen? Scheint schwer!
Es scheint als wäre die Umstellung von Skinny Jeans zu Umstandshose leichter, wenn der Wunsch nach einem Baby unausgesprochen bleibt. Es klingt absurd aber vielen Frauen um mich herum scheint es so zu gehen. Immer öfter lese ich Statusnachrichten bei Facebook, die die „ganz überraschende“ Entstehung neuen Lebens verkünden. Ein unscharfes Ultraschallbild jagt das nächste. Likes und Kommentare geben sich die Klinke in die Hand, während das „total überraschte“ aber glückliche Paar neun Monate lang beteuert, dass auf jeden Fall „alles beim Alten bleibe“. „Nur weil wir den Amadeus bekommen, werden wir nicht auf einmal zu Spießern“, grinsen sie, verkaufen aber nebenbei ihre Vespa auf Ebay und erwähnen im Beschreibungstext, dass sie in Zukunft „leider keine Zeit mehr für das Schmuckstück“ haben werden.
Ich glaube, dass die Leute sich das schönreden. Man wird nicht „einfach so“ schwanger. Biologie ist zwar keine Kunst aber sie braucht trotzdem ihre Zeit. Wer auf die Pille oder ein Kondom beim Sex verzichtet wird schwanger, wer sexuell aktiv ist und einem Thermometer die Verhütung überlässt vermutlich auch. Das nennt man letzten Endes dann aber nicht Zufall, sondern viel mehr schluderige Familienplanung.
Wünsche verpflichten nicht
Ich möchte den ganzen Zufallsfamilien um mich herum nicht die Freude an ihrer Vermehrung absprechen und auch nicht die „Bedenkt-doch-was-ihr-alles-noch-hätten-machen-könntet“ – Platte auflegen aber ich plädiere für Ehrlichkeit. Ich empfände es als zeitgenössisch „zufällig geplanten“ Nachwuchs beispielsweise so anzukündigen: „Hört her, hört her! Die Anna und ich bekommen ein Kind. Das ist zwar alles totaler Zufall, ein total schöner Zufall, aber wir hätten nie gedacht, dass man tatsächlich schwanger wird, wenn man nur jedes zweite Mal verhütet“. Dahinter würde ich mir noch einen Zwinkersmiley wünschen. Ich wäre die Erste, die es liken würde.
Es fühlt sich für mich so an als wäre der verbalisierte Wunsch nach einem Kind heute nicht mehr en vogue. Als müsste man heute Hoppala schreien, um schwanger sein zu dürfen. Ich hoffe es wird einfacher. Ich hoffe sehr, dass es, je mehr ich auf die 30 zugehe, einfacher wird mit dem Schwangerschaftsthema. Ich hoffe, dass sich der, entschuldigen Sie, Drive-in-Trend, ganz zufällig Geschlechtsverkehr zu haben und dabei ein Kind zu zeugen, wieder umwandelt. In waschechte Familienplanung.
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