Über Mut und weibliches Selbstwertgefühl
Der Zauber liegt in den Unterschieden
Freundschaft kennt weder Raum noch Zeit. So geht Samstag Morgen um 6:31 Uhr mein Telefon. Meine Freundin und ich sprechen über das, was uns bewegt. Eines bewegt uns zu dem Zeitpunkt ganz besonders. Das weibliche Selbstwertgefühl im Allgemeinen und unsers im Besonderen. Ach ja, und da war noch Mut. Den hatten wir beide fast vergessen. Er gehört ebenso ganz oben auf unser gedankliches Gesprächsprotokoll. Jetzt aber langsam und von vorne…
Jeder kennt die Situation, in der man auf Menschen mit unterschiedlicher Meinung trifft. Sei es im Büro, unter Freunden, beim Sport, beim Bäcker in der Schlange oder sonst wo. Die Welt ist so besonders, weil wir Menschen unterschiedlich sind. Einzigartigkeit und Verschiedenheit machen den Zauber des Lebens aus. Die Frage ist nur: Wie gehen wir mit diesem Zauber um?
Ich beobachte immer wieder zwei Gruppen von Menschen: Die einen, die bei Konfrontation von Meinungen häufig umschwenken und ihrem Gegenüber schnell zustimmen (obwohl sie offensichtlich vorher komplett anderer Meinung waren) und die anderen, die mutig ihre Meinung sagen, ungeachtet dessen, ob sie dem Gegenüber gefallen könnte. Dabei rede ich nicht von Beleidigungen oder verletzenden Worten. Ich spreche einfach nur von verschiedenen Meinungen: Der eine mag Rot, der andere mag Grün. Nüchtern betrachtet, ist das eine nicht besser oder schlechter als das andere.
Ein klassisches Beispiel: Karrierefrau oder Mutter?
Ich persönlich bin sehr von den Menschen angetan, die zur zweiten Gruppe zählen. Aber was ist mit den Menschen, die umschwenken? Welche Motivation steckt dahinter? Meine Freundin, zum Beispiel, wurde nach ihren ersten, etwas holprigen Wochen im neuen Job von ihrer Chefin gefragt, ob sie denkt, dass sie an diesem Platz richtig aufgehoben sei. Dazu muss man wissen: Ihre Chefin zählt zweifelsfrei zur zweiten Gruppe. Sie ist Karrierefrau durch und durch und steht täglich ihre Frau in einer männerdominierten Chefetage eines Weltkonzerns. Sie weiß, für ihre Meinung einzustehen. Sie war mit der Leistung meiner Freundin nicht immer zufrieden und suchte ein gut gemeintes Gespräch unter Frauen. Sie erklärte meiner Freundin, dass das Arbeitsklima bei ihnen sehr tuff sei und nicht jeder Gefallen daran finde. Eines wurde klar: Im Leben der Chefin steht die Arbeit im Fokus. Aber wie reagierte meine Freundin, Mutter einer zweijährigen Tochter und dankbar für ihren ersten Teilzeit-Job nach der Elternzeit?
Hinterfrage deine Motivation
In ihren ersten Sätzen, die wie Rechtfertigung klangen, sich aber nicht nach Ausreden anhören sollten, entschuldigte sie sich mehrmals für ihre Missgeschicke: “Ja, mir gefällt dieser Job und ich werde mich zukünftig noch viel mehr anstrengen.” Zum Glück wurde das Gespräch vertagt. Was folgte waren Selbstzweifel, Frust und ein innerer Aufruf zu mehr Disziplin und Konzentration im Job.
Nach einer Weile meldete sich, erst leise, dann etwas lauter, eine Stimme in ihr. Sie musste sich nämlich selbst eingestehen, dass sie sich zwar hier und da noch verbessern kann, aber sie diesen Job nicht mit derselben Leidenschaft machen wird wie ihre Chefin. In ihrem Leben liegt der Fokus woanders. Sie hat Familie und ist sehr glücklich darüber. Sie möchte aktuell einen Job, der ihr Spaß macht und die Familie finanziell absichert. Der es ihr ermöglicht, nachmittags ihre Tochter aus der Kita abzuholen und für ihre Familie da zu sein. Für sie ist es ein Job, in dem sie Verantwortung übernimmt und ihr Bestes gibt – nicht mehr und nicht weniger. Sie hatte Bedenken, ihre Gedanken laut auszusprechen, aus Angst vor möglichen Folgen. Sie wusste, dass es nicht die Meinung war, die man von ihr hören wollte. Obendrein stellte sie fest, dass Anerkennung dafür, Teilzeitkraft und Mutter zu sein, nicht an jeder Ecke leicht zu finden war und zur gleichen Zeit ihre Kollegen an ihrer Karriere arbeiteten. Jetzt stand sie da, hin- und hergerissen zwischen dem, was sie glaubte, das ihr Umfeld von ihr erwartete, und dem, was ihre innere Stimme ihr sagte.
Ein hoher Preis für ein bisschen Anerkennung und Harmonie
Wie gut konnte ich meine Freundin verstehen. Hatte ich doch früher auch oft meine Meinung nicht gesagt, aus Angst dem Anderen nicht zu gefallen. Es ist häufig leichter und angenehmer, der Harmonie und Anerkennung geschuldet, die Meinung des anderen anzunehmen. Aber macht uns das glücklich?
Der Preis, den wir dafür zahlen würden, wenn wir nicht zu uns stehen, ist hoch. Genau wie meine Freundin ihrer Chefin anfangs zeigen wollte, dass in ihr doch eine Karrierefrau steckt, die wie andere Kollegen hoch hinaus will, war sie im Grunde ihres Herzens glücklich mit der Entscheidung, Mama zu sein und einen Teilzeit-Job zu haben. Es gibt keinen Grund, sich länger dafür zu verstecken. Sie hatte für einen kurzen Moment vergessen, wer sie wirklich ist. Was sie gut kann. Was ihre Träume sind. Was ihr wichtig ist im Leben. Wenn man sie jetzt fragt, ob sie in dieser Position richtig ist, wird sie antworten: “Ja, ich bin richtig an diesem Platz und ich mag meinen Job. Es gibt für mich aber noch einen anderen Platz außerhalb des Büros. Und über den bin ich sehr glücklich.”
Steh zu dir selbst
Im Leben stoßen wir immer wieder auf unterschiedliche Meinungen. Sie sollten uns aber nicht dazu verleiten, unsere eigene nicht zu sagen. Nur weil Menschen anders denken als wir, dürfen wir uns selbst nicht verraten. Im Gegenteil: Lass uns mutig sein und an uns selber glauben. Lass uns sagen, was uns wichtig ist (und nicht das, was sich harmonisch irgendwo einfügt). Es ist nicht falsch, wenn wir anders denken. Es ist einfach nur anders.
Oder wie Julia Engelmann in ihrem Gedicht “Stille Wasser sind attraktiv” sagt:
“Was soll das überhaupt heißen, jemand ist sonderbar und eigenartig?
Das sind doch bloß Synonyme für besonders und für einzigartig.
Jemand sagt dir: ‘Du bist anders’. Dann denk dir für dich: ‘Anders ist nicht falsch, ist bloß ‘ne Variante von richtig’.”