Anita Tillmann ist Mitgründerin und Chefin der Premium, einer Fachmesse für Mode im High-Fashion-Segment. Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten gelingt ihr ein stetes Wachstum. Wie, hat sie uns erzählt.
Mode in Deutschland? Es gibt noch viel zu tun
In einem Berliner Hinterhof befindet sich das Headquarter der Premium Exhibitions GmbH, einer Fachmesse für Mode, die zweimal im Jahr zur Berliner Fashion Week stattfindet. Dorthin mache ich mich auf, um Anita Tillmann zu besuchen, die als Mitgründerin und Chefin der Messe seit gut zwölf Jahren die Branche maßgeblich mitprägt. Das nicht nur durch ihren Einsatz für die Mode selbst, sondern auch dadurch, dass sie es immer wieder schafft, verschiedene Branchen zu vernetzen und neue Spannungsbereiche aufzubauen. Zudem ist sie Mitglied des kürzlich unter der Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp gegründeten „German Fashion Design Council”, der nach dem Vorbild der Institutionen in den USA und in Großbritannien die Modebranche in Deutschland stärken und auch international ausbauen will.
Ob sie nun, kurz vor dem Start der Messe, schwer im Stress ist, frage ich sie, als wir das trubelige Treiben des Großraumbüros hinter uns lassen, um uns in ihr Büro zum Gespräch zurückziehen. Aber Anita Tillmann winkt ab, sie sei jetzt eigentlich nur noch in Vorfreude und will endlich präsentieren, wofür sie und ihr Team die letzten Monate gearbeitet haben.
Die Premium ist mit jedem Jahr gewachsen, während Messen wie die Bread & Butter mittlerweile mehr schlecht als recht dastehen. Wie erklären Sie sich den Erfolg der Messe?
„Das Erfolgsgeheimnis basiert darauf, dass wir zwar wachsen, den Fokus auf Qualität aber beibehalten, statt auf Quantität zu setzen. Dafür verzichten wir auch auf Wachstum und Umsätze zugunsten des Portfolios, wenn das notwendig ist. Das ist eine Grundhaltung unserer Arbeit und unsere Verpflichtung dem Markt gegenüber. Es geht darum, nachhaltig zu agieren und zu arbeiten und nicht um jeden Preis zu wachsen. Das alleine ist natürlich noch kein Erfolgsgarant. Vor allem arbeiten wir viel und hart dafür, und konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenz – also die Selektion von relevanten Marken und Designern, die wir jede Saison dem Fachbesucher präsentieren. Wir sehen uns als Marktplatz, zu unserem Angebot an nationalen und internationalen Brands und Trends gehören aber auch Informationen zu diversen Zukunftsthemen.“
Wie beurteilen Sie die Übernahme der Bread & Butter von Zalando? Kann das in eine gute Zukunft weisen?
„Die Bread & Butter als B2B-Konzept hat vorerst ausgedient, auch unter Zalando. Zalando ist daran interessiert, und das macht auch sehr viel Sinn, einen B2C-Showcase zu schaffen, interaktiv und interdisziplinär. Damit wird eine digitale Plattform physisch emotionalisiert. Zalando ist ein tolles Unternehmen und ich freue mich, dass es so ein Event für Berlin gibt. Das ist für den Standort eine Bereicherung, denn das was da passiert, ist die Zusammenführung von Creative Industries at it’s best.“
Die Premium hat sich der Innovation verschrieben und bringt verschiedene Branchen zusammen, wie seit letztem Jahr Fashion und Tech. Wie wichtig ist es, sich für ein erfolgreiches Konzept auf einen Blick über den Tellerrand einzulassen?
„Ich halte das für sehr wichtig. Wir haben uns von Beginn an als Innovationsleader positioniert. Wir haben schon 2006 der Branche Blogger-Seminare angeboten, Bryan Boy hat seinen ersten Blog bei uns gezeigt, und Suzie Menkes hat mit einer Videobotschaft unsere Blogger-Konfernez gelauncht. Wir waren immer schon sehr früh mit neuen Themen. Das hat auch viel mit mir als Person zutun. Ich bin, man kann fast sagen ‚getrieben’ von dem Gedanken, neue Dinge auszuprobieren und sie dem Markt vorzustellen. Ob das so relevant für unseren Erfolg ist, weiß ich nicht. Aber ich halte es für richtig und wichtig und denke, dass wir es unseren Besuchern und Ausstellern schuldig sind, Brücken zu neuen Themen zu schlagen.“
Bei der Premium wird auf „konsequente Kuration“ der präsentierten Marken gesetzt. Nach welchen Kriterien wird hier vorgegangen und wie viele Menschen sind daran beteiligt?
„Wir kümmern uns darum, dass im Jahr etwa 20 bis 30 Prozent neue Aussteller dazukommen. Es geht uns darum, ein sich stets entwickelndes Portfolio zu präsentieren. Im Kern sind es 15 Mitarbeiter, die sich darum bemühen. Die Hauptkriterien sind unter anderem die Distributionsstrategie der Marken, der Preis spielt eine Rolle, ebenso wie die Fashion-Relevanz im Gesamtkontext des Portfolios. Zusätzlich stellt sich immer die Frage, welche Marken brauchen Messen? Was wir nicht abbilden, sind große, marketinggetriebene Brands. Diese zeigen wir nur dann, wenn sie etwa eine neue Kooperation oder eine neue Linie präsentieren oder wenn sie einen neuen Designer haben – kurz, wenn sie dem Markt etwas Neues vorstellen wollen. Danach ziehen sie sich aber wieder zurück. Was auch richtig ist.“
Sie sind nun seit über zehn Jahren die Chefin der Messe. Gibt es da zwischendurch auch mal Ermüdungserscheinungen bezüglich der Ideen für die Zukunft?
„Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, ob ich müde bin. Das Geschäft ist sehr schnelllebig, der Wettbewerb ist hart und der Markt im Umbruch. Die ganze Branche ist sehr unternehmergetrieben, man kommt ständig mit spannenden Menschen und Projekten in Kontakt und entwickelt sich quasi automatisch weiter. Wenn man gelangweilt ist und sich zurücklehnt, dann sollte man vielleicht darüber nachdenken, etwas anderes zu machen. Wir befinden uns konstant in einer Art Betaphase, da wir uns kontinuierlich weiterentwickeln. Zu sagen: ‚Ich hab es jetzt geschafft’, passiert einfach nicht.“
Was haben Sie vor der Messegründung gemacht? Können Sie kurz etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?
Ich habe schon sehr jung angefangen, in der Modebranche zu arbeiten und habe in allen Bereichen der Branche Erfahrungen sammeln können. Ich habe nach meinem Ingenieursstudium der Textil- und Bekleidungsbranche im Headquarter bei Joop! angefangen und dort als Franchise Assistant Manager die Shop-in-Shops bei Retailern wie Peek & Cloppenburg umgesetzt, in Berlin dann unter anderem bei Pixelpark gearbeitet, das war damals die größte Digitalagentur Deutschlands, und kurz darauf auch schon die Premium gegründet.“
Was war die Initalzündung zur Gründung der Messe 2003?
„Die Initialzündung war eigentlich ein Freund aus der Branche, der sagte, man müsse in dem Bereich etwas unternehmen, um die deutsche Mode neu aufziehen. Das fanden wir auch. Auf dem deutschen Markt herrschte in der Zeit eine totale Sättigung. In den Läden hing überspitzt gesagt überall nur Hugo Boss und Strenesse, während man international viele neue spannende Designer sehen und kaufen konnte. Wir hatten von Beginn an die Vision, ein revolutionäres Messekonzept aufzuziehen und neue Standards zu setzen. Das haben wir auch geschafft. Schon auf der ersten Premium hatten wir mehrheitlich internationale Brands aus unter anderem Italien, Frankreich, Skandinavien und den USA. Im Prinzip ging alles Schritt für Schritt – und plötzlich hatten wir ein eigenes Messeformat aufgesetzt. Ich bin bis heute für das Konzept, die Marke, Kommunikation und Strategie zuständig. Heute gibt es keine Messe im hochwertigen Bereich in dieser Größe und Qualität, wie wir sie führen und leben.“
Wenn Sie zurückblicken: Deckt sich die Vision zur Messe, die Sie zu Beginn hatten, noch mit der Vision, die Sie heute von ihr haben?
„Nein, sie ist viel besser geworden (lächelt)! Ich habe zwar damals bereits groß und über den Tellerrand hinaus gedacht, aber dass wir es schaffen, in so einer kurzen Zeit von zehn Jahren eine international relevante Messe aufzubauen, habe ich mir vielleicht gewünscht, gerechnet habe ich damit aber nicht.“
Sie haben schon viele Brands kommen und gehen gesehen. Was raten Sie jungen Designer, um ein Label auf einen erfolgreichen Weg zu bringen?
„Ich glaube, grundsätzlich fehlt es in Deutschland an umfassender, auch vom Staat geförderter Schulung und nachhaltiger Förderung. Wir versuchen, dazu etwas beizutragen und haben genau deshalb den Fashion Council Germany gegründet. Es ist, wie schon gesagt, ein unternehmergetriebenes Business und deshalb ist Förderung und ein Training so entscheidend. Wir wollen die Newcomer fördern, beraten und unterstützen sowie auch die Kommunikation für sie übernehmen, um auch international ‚Fashion Made in Germany’ zeigen zu können. Deutschland hat talentierte Designer und viel kreatives Potenzial, und diese Talente dürfen wir nicht in andere Länder ziehen lassen. Sie müssen hier eine Chance haben, sich zu entwickeln und zu etablieren. Bis wir soweit sind, würde ich Designern raten, viel Praxiserfahrung zu sammeln. Von der Schule zu kommen und zu glauben, einfach so eine wettbewerbsfähige Kollektion zu kreieren, ist eine Illusion. Das funktioniert nicht, wenn man nicht einen Sponsor hat oder extrem gut in der Branche vernetzt ist, da brauchen wir uns nichts vormachen. Weil es das aber selten gibt und mehr oder weniger auch dem Zufallsprinzip unterliegt, glaube ich daran, dass Praxiserfahrung, auch im Vertrieb und in der Produktion, ungeheuer wichtig ist. Der Weg ist lang und hart, aber nicht aussichtslos.“
Die Berlin Fashion Week wird immer wieder kritisiert. Zu wenig, zu unprofessionell, zu wenig Einkäufer. Wie sehen Sie das?
„Die Leute, die das sagen, wissen wahrscheinlich gar nicht, wer die richtigen Einkäufer sind und wer überhaupt Relevanz hat. Schauen sind vor allem für die Presse da, es geht um Bilder für die Presse. Und auf den Shows sind Vertreter eines jeden relevanten Mediums, die darüber berichten. Dass manche die Entscheidung treffen, lieber über die Ochsenknechts zu schreiben, als über die Designer, kann man leider nicht beeinflussen. Was auch beachtet werden muss: Die Fashion Week Berlin als Gesamtkonstrukt ist nicht alleine das, was sich im Zelt abspielt. Über die Sponsoren der Mercedes-Benz Fashion Week und über die Qualität der Designer lässt sich natürlich diskutieren, es gibt sicher Optimierungsbedarf, wie überall. Blickt man auf das gesamte Angebot Berlins, muss man sagen, ist es umfangreich und gut. Nirgendwo auf der Welt gibt es so stark verdichtete Informationen über Brands, wie wir sie hier in Berlin präsentieren: Damen, Herren, Sportswear, Accessoires, Schuhe, Avantgarde, Streetwear und Urbanwear sowie nachhaltige Mode. Wer sich informieren und arbeiten will, wird hier bestens versorgt. “
Im Januar hat sich Mercedes-Benz von der New Yorker Fashion Week zurückgezogen. Wird Berlin das auch blühen und welche Auswirkungen hätte das?
„Was heißt blühen? Das hört sich ja an wie eine Drohung. Wenn Mercedes-Benz sich dazu entscheidet, dann ist das so. Es kann natürlich sein, dass die Marke sich zurückzieht. Ich finde das aber nicht so schlimm, denn wir reden hier über einen Sponsor. Das hat nichts mit dem Inhalt zu tun. Relevant ist alleine der Content, sprich die Designer und die Message, die wir aus Deutschland herausgeben. Also: Wofür stehen wir und was haben wir zu bieten? Ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn wir alle daran arbeiten, bestmögliche Qualität abzuliefern, wir einen ganzen Schritt weiter sind. Welche Marke das dann sponsert, ist erst einmal nicht wichtig. Ich glaube aber, dass Mercedes-Benz diese Haltung wahrscheinlich unterstützt, denn Mercedes steht für Qualität.“
Was steht dieses Jahr für die Premium an? Gibt es Neuerungen, von denen Sie erzählen wollen?
„Wir haben einen Trend aus den USA zum Thema Active Wear. Ein super spannendes, umsatzversprechendes Segment. Sie kennen den Look: Leggings, Sneaker, Chanel-Tasche und Lederjacke. Das passt in den derzeit vorherrschenden gesunden und fitnessorientierten Lifestyle und es passt außerdem zum Wearable Design – es gibt viele Schnittstellen. Wir werden das sehr kompakt vorstellen durch die Kollektionen, Yogastunden, Bücher, Health Food und Drinks. Bis jetzt ist der Markt in Europa stark durch Adidas und Nike dominiert, da passiert aber ganz viel. Und dann haben wir noch das Thema ‚Premium App’: Bereits bei der Registrierung werden die relevanten Informationen zum Sortiment, zu Styles, zu bisherigen Brands sowie Preislage und so weiter beim Besucher abgefragt und in der Premium-Database ausgewertet. Mit diesen Angaben wird über einen Algorithmus für jeden Einkäufer ein persönliches Profil erstellt, um diesem eine individualisierte Auswahl an Kollektionen vorzuschlagen. Wer möchte, kann sich dann per GPRS durch die Halle führen lassen und bis zu 40 Prozent Zeit einsparen. Die Idee: Erst die Pflicht, dann die Kür. Und natürlich dem Einkäufer zu helfen, sich besser orientieren zu können. Natürlich gibt es auch weiterhin die persönlichen Führungen, die besonders von Einkäufern aus Asien und Osteuropa genutzt werden.“
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