Eine Auszeit, endlich mal wieder durchatmen, Klarheit gewinnen, mehr denn je wünschen und brauchen wir eine Pause von unserem zunehmend stressigen Alltag. Warum nicht als Gast ins Kloster?
Pause vom Alltag
Die Sonne hat an diesem frühen Nachmittag Schwierigkeiten, sich gegen die Hochnebelwolken durchzusetzen. Ihre Strahlkraft hat deutlich abgenommen, immerhin ist es Ende Oktober. Vom Klostergarten auf der anderen Straßenseite weht der Duft frisch geschnittenen Thymians herüber, der Kräuter- und Gemüsegarten wird auf die kalte Jahreszeit vorbereitet. Auch im Labyrinth der Sinne stehen alle Zeichen auf Ende des Gartenjahres. Fast alle Sträucher und Stauden sind bereits verblüht, die bunte Pracht des Sommers lässt sich nur noch erahnen. Dennoch, dieser Ort hat etwas Besonderes, ja beinahe Magisches.
Auch die Klosterkatzen scheinen sich hier gern aufzuhalten, um sich ab und an von den Besuchern des Labyrinths, dass die Sträucher des Gartens bilden, verwöhnen zu lassen. Ein kleiner rundlicher Tiger begleitet mich durch das Grün. Ich bin 49 und hier, weil ich Antworten suche. Wie geht es weiter, jetzt wo die Kinder aus dem Haus sind, wie definiere ich mich selbst, welchen Weg soll ich gehen?
An manchen Stellen halte ich inne, hier stehen Schilder mit Zitaten und Gebeten des Heiligen Franziskus. Seit meiner Jugend habe ich, obwohl nicht religiös, eine besondere Affinität zu diesem Heiligen. Ich bin fasziniert von diesem Menschen, einem Kirchenreformer, der in Armut als Bettelmönch lebte und die Gleichheit aller Lebewesen predigte. Es scheint, als kenne die Katze den Weg, und als wolle der Heilige Franziskus mir auf diese Weise sagen:
„Komm mit, ich zeige dir den Weg, den du suchst und du wirst finden, wonach du suchst – dich!”
Am Endpunkt des Labyrinths, steht eine Tafel mit einem Auszug aus seinem Sonnengesang, einem Lobpreis an Gott, die Elemente und die gesamte Schöpfung.
Ich weine vor Erleichterung, plötzlich fühle ich mich angekommen, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Antworten auf meine Fragen erhalten habe, bin ich sehr zuversichtlich, diese in der nun folgenden Woche Aufenthalt im sogenannten „Auszeithaus“ in Reute zu bekommen.
Meine Kinder sind aus dem Haus
Ich bin zu diesem Zeitpunkt beinahe 50, seit 25 Jahren verheiratet und habe zwei erwachsene Töchter, die beide nicht mehr Zuhause wohnen. Und obwohl ich mich des Öfteren unsicher und etwas schüchtern fühle, mache ich, wie ich hier erfahren werde, einen selbstbewussten und starken Eindruck.
Ich arbeite in Teilzeit in der Multimedia-Agentur meines Mannes. Jetzt jedoch, wo beide Kinder aus dem Haus sind, ist es an der Zeit, sich umzuorientieren, etwas Neues anzufangen, bevor ich zu alt dafür ist. Was genau das sein soll, weiß ich noch nicht so genau. Von einer Woche Aufenthalt im sogenannten Auszeithaus des Klosters erhoffe ich mir Klarheit.
Außer mir gönnen sich noch drei weitere hier eine Woche Auszeit. Das erste Zusammentreffen der vier Frauen und der betreuenden Schwester findet im Foyer des zentral gelegenen Bildungshauses statt. Erstes gegenseitiges Abtasten und Einschätzen. Zur Vorfreude mischt sich Skepsis. Niemand weiß, wie die Woche verlaufen wird, ob wir vier Frauen uns verstehen und ob jede hier das findet, wonach sie sucht.
Betreut werden wir in dieser Zeit von Schwester Siegfrieda. Sie ist eine kleine, stämmige Frau mit offenem, freundlichem Gesicht, Brille und weißen Haaren die unter ihrem Schleier hervor schauen. Trotz ihrer 79 Jahre hat sie sich etwas Jugendliches, Spitzbübisches bewahrt, was dadurch, dass sie zu ihrer grauen Tracht in Grautönen gestrickte Ringelsocken trägt und mit ausgeprägtem schwäbischem Dialekt spricht, noch unterstrichen wird. Sie ist eine von 220 Schwestern, die im Kloster der Franziskanerinnen in Reute nach den Regeln des Heiligen Franziskus in Einfachheit und Geschwisterlichkeit zusammen leben.
Du bist willkommen, auch wenn du nicht gläubig bist
Gemeinsam macht sich die kleine Gruppe auf den Weg zu dem etwas abgelegenen Wohnhaus – das Zuhause der drei Frauen und mir für die nächsten sieben Tage. Seit 14 Jahren betreiben die Franziskanerinnen dieses Haus, um Menschen wie uns die Möglichkeit einer Auszeit, einer Pause vom Alltag zu geben. Ein Aufenthalt zwischen einer bis zu drei Wochen kostet inklusive Unterkunft, Verpflegung, therapeutischer oder spiritueller Begleitung knapp über 50 Euro pro Tag. Jeder ist willkommen, auch wenn er keiner oder einer anderen Religionsgemeinschaft angehört.
Das Klosterareal ist sehr weitläufig, eingebettet in sanft hügelige Natur mit zahlreichen Wegen, die zu ausgiebigen Spaziergängen einladen. Das Auszeithaus liegt am Rande des Areals, am Ende von Reute, einem Ortsteil von Bad Waldsee in der Nähe von Ravensburg am Bodensee. Ein kleiner verwunschener Garten mit Sitzgelegenheiten gehört zum Haus. Direkt dahinter liegt ein kleiner Park, mit bereits herbstlich gefärbten Bäumen. Die Zimmer sind zweckmäßig mit schlichten, festen Holzmöbeln eingerichtet. An den Wänden hängen religiöse Bilder.
Ich und die anderen Frauen beziehen unsere Zimmer. Ich tue dies mit gemischten Gefühlen, ich bin mir nicht sicher, ob ich es mit mir und meinen Gedanken alleine aushalte und ob ich hier wirklich das finde, was ich mir erhoffe: den Schubs in die Richtung, den ich in Zukunft einschlagen soll. Mir ist etwas bange, dennoch fühle ich mich wohl und aufgehoben in diesem einfachen Zimmer, in dem nichts unnötig ablenkt und wo ich ganz zu mir kommen kann.
Wirklich zur Ruhe kommen
Das große Esszimmer wird von allen Bewohnerinnen gemeinsam genutzt. Es ist im rustikalen Stil mit Möbeln aus schwerem Holz und schmiedeeisernen Lampen eingerichtet. Ich fühle mich an die spießigen Wohnzimmereinrichtungen meiner Kindheit erinnert. Auch wenn die Einrichtung des Hauses sicher nicht jedermanns Geschmack trifft, es vermittelt Geborgenheit, Gemütlichkeit und das Gefühl willkommen zu sein. Im Haus gibt es weder WLAN, noch Fernseher oder Radio. Ein Notfalltelefon ist die einzige Verbindung zur Außenwelt.
Die Gäste, die üblicherweise hierher kommen, sind Frauen wie ich, Frauen mittleren Alters, deren Leben oft von Umbruch und Krisen geprägt ist. Die Kinder sind aus dem Haus, da ist der Wunsch sich neu zu definieren, der Wunsch nach Veränderung oder einer Ruhepause. So, oder so ähnlich ist es auch bei den drei anderen Frauen, die mit mir die Woche verbringen.
Kloster statt Klinik?
Da ist Johanna, eine hochgewachsene schlanke Frau, Anfang 50, mit wilden blonden Locken. Auf den ersten Blick wirkt sie sehr selbstbewusst und fröhlich. Sie trägt bunte Kleidung aus dem Eine-Welt-Laden, selbst gestrickte Pullover und bequeme Schuhe. Seit 26 Jahren ist sie mit dem Vater ihrer beiden erwachsenen Söhne verheiratet.
Johanna war im Sommer wegen eines Burnouts schon einmal bei den Franziskanerinnen im Auszeithaus. Damals war sie elf Wochen krank geschrieben. Sie arbeitet in der mobilen Altenpflege und unterrichtet zusätzlich angehende Altenpfleger. In ihrer Freizeit spielt sie Theater und singt im Chor. „Irgendwann war einfach Schluss, ich konnte nicht mehr“, erzählt Johanna, „Ich hab das schon lang irgendwie gemerkt und mit mir rumgeschleppt, aber eines Morgens konnte ich einfach nicht mehr aufstehen, ich konnte mich nicht mehr bewegen. Nach ein paar Metern war ich schon völlig am Ende.” Daraufhin begann sie eine Therapie, die bis heute andauert. Der Aufenthalt hier war damals der Abschluss ihrer Genesung. Johanna fällt es schwer sich abzugrenzen, nein zu sagen. Heute, nach ihrem ersten Aufenthalt im Sommer, wirkt Johanna sehr reflektiert und bei sich. Damit es nie wieder so weit kommt, wie damals, hat sie sich fest vorgenommen sich zukünftig öfter eine Auszeit hier zu gönnen.
Inge, mit 78 Jahren die Älteste in der Gruppe, engagiert sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Eine Aufgabe, der sie sich mittlerweile allerdings nicht mehr ganz gewachsen sieht. Sie ist hier, um zur Ruhe zu kommen und Kraft zu tanken. Auch sie war in ihrem Berufsleben in der Altenpflege tätig. Schon früh von ihrem Mann getrennt, hat sie ihre beiden Kinder alleine groß gezogen. Inge wirkt sehr patent. Dennoch wird schnell spürbar, dass hinter ihrer sehr gepflegten Hülle eine unsichere ängstliche Person steckt, stetig auf der Suche nach geistiger Führung. Ihre enorme Körperfülle wirkt wie eine Art Schutzpanzer.
Anna, 46 Jahre, eine zierliche, schmale, blasse Frau, ist Mutter von zwei Teenagern, verheiratet und als Ärztin in einer Klinik mit Schwerpunkt Geriatrie und Palliativpflege tätig. Anna wirkt auffallend angespannt und nervös. Nach eigener Aussage steht sie kurz vor einem Burnout und möchte die Zeit im Haus nutzen, um zur Ruhe zu kommen und sich über ihre Lebenssituation Klarheit zu verschaffen. Ihre Ehe stehe vor dem Aus, und obwohl sie sich in ihrer evangelischen Gemeinde sehr engagiere, habe sie Zweifel an ihrem Glauben zu Gott: „Ich würde so gerne uneingeschränkt an Gott glauben, aber ich schaffe es einfach nicht, und das nagt an mir. Ich hoffe so, dass ich hier irgendwie weiter komme.”
Spiritualität trifft Therapie
Bedingung für alle, die sich für einen Aufenthalt im Auszeithaus entscheiden, ist ein Vorgespräch, telefonisch oder vor Ort, mit Frau Dr. Piber, Leiterin des Hauses, Psychotherapeutin und Theologin. Frau Piber macht durch ihre ruhige, bedachte Art einen kompetenten und einfühlsamen Eindruck. Mit gezielten Fragen versucht sie zu ergründen, warum sich jede Einzelne für einen Aufenthalt im Auszeithaus entschieden hat, welche Erwartungen jede einzelne Person daran knüpft, und ob das Haus dafür der geeignete Ort ist. Denn die Einrichtung ist ausschließlich auf Prävention, nicht Heilung psychischer Erkrankungen, wie beispielsweise Burnout oder Depressionen, ausgelegt.
Zwei jeweils einstündige Gespräche mit einem der Therapeuten/ innen, die für das Auszeithaus arbeiten, zählen zu den Maßnahmen, die dabei helfen sollen. Ich mag solche Gespräche eigentlich nicht, ich spreche nicht gern über mich, schon gar nicht mit einer ihr völlig fremden Person, die jeder Therapeut zunächst einmal darstellt. Der Therapeut hier, ein attraktiver älterer Herr, schafft es jedoch mit seiner offenen unkomplizierten Art, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es mir, wie leicht gelungen ist offen über Beweggründe und Ängste, die mich veranlasst haben, diese Auszeit zu nehmen, zu sprechen. Ich gehe aus diesem Gespräch mit dem guten Gefühl, meinem Ziel ein Stück näher gekommen zu sein.
Zusätzlich buche ich eine Stunde Maltherapie. Ich habe schon immer gerne mit Farben gearbeitet und viel gemalt, und es scheint mir eine gute Methode auf kreative, nonverbale Art, die bisher erworbenen neuen Erkenntnisse verinnerlichen zu können. In einem einführenden Gespräch mit der Therapeutin wird zunächst geklärt, was ich mir von dieser Stunde Maltherapie erhoffe. Dann darf ich intuitiv, ohne Rücksicht auf Aussehen und Perfektion malen, schmieren, klecksen was die zur Verfügung gestellten Materialien hergeben. Es geht dabei darum, das, was mich im Inneren bewegt, nach außen darzustellen. Die Therapeutin gibt dabei lediglich Anstöße, leitet an und hakt nach. Diese Stunde war für mich ein Schlüssel-Erlebnis. Danach hatte ich seit langer Zeit wieder einmal das Gefühl, einen Zugang zu mir und meinen ureigenen Bedürfnissen gefunden zu haben.
Ein weiteres Zusatzangebot, das es wahrzunehmen lohnt, ist eine Massage. Diese dient zwar keinem therapeutischen Zweck, aber es tut einfach gut, sich umhüllt vom krautig blumigen Duft der verwendeten Aromaöle, verwöhnen zu lassen. Natürlich kommt bei einem Aufenthalt im Kloster auch das Spirituelle nicht zu kurz. Die Gäste des Auszeithauses können jeden Abend um 18 Uhr an einem Abendgottesdienst teilnehmen. Der Gottesdienst findet in einer Kapelle statt, die sonst nur von den Schwestern genutzt wird. Sie ist hell und schmucklos, bis auf ein paar bunte Wandteppiche mit religiösen Motiven, die eine künstlerisch ambitionierte Schwester aus dem Kloster fertigt.
Auch für religionsfreie Menschen ist es beinahe unmöglich, sich der Faszination dieser Gemeinschaft, wie sie die Schwestern darstellen, zu entziehen. Ich bin solch ein Mensch. Dennoch fühlt ich mich auf eigentümliche Weise geborgen und dazugehörig. Für mich scheint es jetzt nachvollziehbar, warum sich junge Frauen immer noch für den großen Schritt, ins Kloster zu gehen, entscheiden.
Das Gefühl bedingungslos akzeptiert und willkommen zu sein, Teil einer Gemeinschaft zu sein, in der alle das eine Ziel haben, Gott zu dienen, das kann reizvoll sein.
Der Abschied
Das letzte gemeinsame Frühstück im Auszeithaus verläuft erwartungsgemäß in etwas gedrückter Stimmung. Die Gefühle sind gemischt. Zwar überwiegen bei uns allen die positiven Emotionen, dennoch gibt es Bedenken ob wir das hier Erfahrene und Gelernte dauerhaft in den Alltag integrieren werden können.
Die zahlreichen, intensiven Gespräche, die in selten erlebter Offenheit und mit dem Gefühl großen Vertrauens und zunehmend inniger Vertrautheit geführt wurden, haben vier sehr unterschiedliche Frauen auf eine ganz besondere Art zusammenschweißt. Und dennoch ist, obwohl unausgesprochen, uns allen Vieren klar, dass das gemeinsam Erlebte an diesem besonderen Ort, in dieser besonderen Zeit bleiben wird.
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