Das Armband Ava zeigt die fruchtbaren Tage im Zyklus an und soll so die Chance erhöhen, schwanger zu werden. Doch der Co-Gründerin Lea von Bidder geht es um mehr: den weiblichen Körper insgesamt besser zu verstehen.
„Zu Themen, die stigmatisiert sind, gibt es sehr viele Missinformationen“
Im so genannten Femtech-Bereich kommen immer mehr Produkte auf den Markt: Apps zum Zyklus-Tracking, Wearables, die beim Schwangerwerden unterstützen sollen oder sogar als Verhütungsmethode zertifiziert sind, wie die App „Natural Cycles“, die aktuell in der Kritik steht, da Nutzerinnen vermehrt ungewollt schwanger geworden sind.
Die Schweizerin Lea von Bidder und ihr Team haben Ava entwickelt, ein Armband, das über Nacht am Handgelenk getragen wird und im Schlaf verschiedene physiologische Parameter erfasst, anhand derer die App die fruchtbaren Tage im Monat prognostizieren kann. So soll Ava dabei helfen, schneller schwanger zu werden. Seit 2016 ist es erhältlich. Einer ersten einjährigen klinischen Studie des Universitätsklinikums Zürich zufolge kann das Armband mit einer Genauigkeit von 89 Prozent rund fünf fruchtbare Tage pro Zyklus anzeigen. Ava arbeitet weiterhin eng mit dem Universitätsspital Zürich zusammen, das in groß angelegten Studien unter der
Leitung von Prof. Brigitte Leeners neue Technologien testet und die klinischen Ergebnisse zudem auf internationalen Fachkonferenzen vorstellt.
Ava hat vor wenigen Wochen eine Series-B-Finanzierungsrunde über 30 Millionen Dollar abgeschlossen und will weiter in Forschung und Entwicklung investieren.
EDITION F hat mit Lea von Bidder darüber gesprochen, welches Potenzial die Forschung zum weiblichen Körper hat, warum der Femtech-Bereich gerade boomt und was sie als Schweizer Gründerin mit ihrer Arbeit in den USA dazu gelernt hat.
Große Teile der Erkenntnisse medizinischer Forschung basieren darauf, an männlichen Körpern geforscht und getestet zu haben. Warum ist das so und welche Effekte hat das?
„Der weibliche Körper ist sehr komplex. Er geht durch einen hormonellen Zyklus und auch die Forschung hat alle Effekte des Zyklus noch nicht ganz verstanden: wie nun welches Hormon auf was wirkt und was es alles im Körper bewirkt. Das ist erst einmal ein Risiko für eine klinische Studie, aus dem Grund, dass man nicht weiß, ob es einen Einfluss hat. Zudem sind Schwangerschaften für Studien ein weiteres Risiko: Was ist, wenn eine Probandin innerhalb der Studie schwanger wird? Wenn man eine Studie macht, möchte man möglichst wenige Risikofaktoren dabei haben. Wenn man das vermeiden kann, indem man keine Probandinnen mit reinholt, dann wird man das machen.
Das Risiko dahinter ist dann, dass Medikamente als auch medizinische Geräte, die zugelassen werden, und nur an Männern getestet wurden, bei Frauen anders wirken können oder gar nicht. Wenn man bei einem Medikament nur weiß, was bei Männern passiert und sich in der Dosis dann zum Beispiel aufs Körpergewicht bezieht und sich denkt ,Lass uns da mal 30 Prozent runtergehen‘, dann kann das natürlich gefährlich sein. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir nie besser verstehen werden, wie der Zyklus den Körper einer Frau beeinflusst, wenn man die Effekte, die er hat, in Studien nicht mit einschließen muss. Wir müssen wissen, was da passiert. Was wir jetzt machen als kleine Firma aus der Schweiz mit knapp 80 Mitarbeitern ist bemerkenswert, denn wir finden Sachen über den Zyklus heraus, die man bislang nicht wusste. Es geht also nicht nur um Risiken, sondern auch darum, endlich den weiblichen Körper noch besser zu verstehen.“
Geht es bei Studien, die Geschlechter ausschließen, vor allem um Kostenreduktion, oder kann man auch von einer naiven Herangehensweise sprechen, nach dem dem Motto, ,Männer und Frauen werden schon nicht so unterschiedlich funktionieren‘?
Findet denn ein Umdenken statt bei der Gendersensibilität in der Forschung?
Die EDITION F-Serie zu ungewollter Kinderlosigkeit
40 Jahre IVF: Wie Frauen heute eine Kinderwunschbehandlung erleben
Am 25. Juli 1978 wurde in Großbritannien Louise Joy Brown geboren, das erste Retortenbaby der Welt, gezeugt außerhalb des Körpers. Mittlerweile gibt es Millionen Kinder, die so entstanden sind – doch für jedes Paar, jede Frau ist eine Kinderwunschbehandlung bis heute eine Zeit voller körperlicher und seelischer Herausforderungen. Und von politischer Seite wird vielen Paaren bis heute die Unterstützung verweigert. Weiterlesen
Wo verortet sich ein Fem-Tech-Startup wie Ava im Bereich der Frauengesundheit – wollt ihr langfristig mehr verändern?
Werdet ihr für die Phase der Wechseljahre etwas anbieten?
„40 bis 50 Prozent der Frauen, die aktuell einen Kinderwunsch haben, haben keine Ahnung, wann sie überhaupt fruchtbar sind.“
Wenn Frauen schwanger werden wollen und es nicht klappt, beschäftigen sie sich häufig das erste Mal intensiv mit ihrem Zyklus. Warum erst so spät?
Müsste also schon früher mehr Wissen über den Zyklus vermittelt werden?
Für wen wurde Ava entwickelt? Nur für Frauen oder auch für Partner*innen?
Ava kann dabei helfen, die fruchtbaren Tage zu erkennen, an denen eine Schwangerschaft auf natürlichem Weg wahrscheinlicher ist. Ab wann sollte man denn zum Arzt gehen, wenn eine Schwangerschaft nicht eintritt?
„Wenn wir Frauen helfen wollen, den Stress aus der ganzen Sache rauszunehmen, dann müssen wir ihnen richtige Informationen an die Hand geben.“
Allein das Tracking reicht ja nicht aus, um ein tiefes Verständnis vom eigenen Körper rund ums Schwangerwerden zu bekommen. Seht ihr es als eure Pflicht, die Kundin stark mit mehr Informationen zu begleiten?
Das heißt, ihr habt auch ein Redaktionsteam?
Ihr bringt viel Differenzierung in die Gründe, warum man nicht schwanger werden kann. Oft denkt man an körperliche Störungen, Hormonstörungen, ihr erhebt aber auch Daten dazu: wie schlafe ich, wie gestresst bin ich? Welchen Anteil macht das aus, wie wichtig ist es, den Alltag mit zu betrachten?
„Das ganz Wichtige ist es, zu sehen, dass die meisten Frauen glauben, dass es ihre Schuld ist, wenn sie nicht schwanger werden. Nur ihre Schuld. Eine unserer Kundinnen, um ein Beispiel zu nennen, hat von ihrem Arzt die Diagnose bekommen, dass sie in einer Vorstufe der Menopause ist, und sie hat sich nachher so fertiggemacht, weil sie dachte, dass sie etwas falsch gemacht hätte, dass ihr Lebensstil falsch gewesen wäre, und das hab ich aus nächster Nähe mitbekommen. Und Frauen geben sich selbst sehr hart die Schuld, auch wenn es keinen medizinischen Grund gibt. Daher muss man mit allen Sachen aufpassen, die sich insbesondere auf den Lebensstil beziehen. Es gibt natürlich Studien, die sagen, Stress ist schlecht fürs Schwangerwerden, aber da reden wir von extremem Stress, nicht von leichtem Stress. Und solche Informationen führen dann dazu, dass Frauen sich selbst die Schuld geben. Wir tracken bestimmte Sachen, weil klinische Studien Zusammenhänge aufzeigen, aber wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einem Blame-Game wird, in dem Frauen sich immer die Schuld geben. Denn was ja auch betrachtet werden muss, ist, dass die Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit genauso oft auf der Seite der Männer liegen, und auch hier ist wichtig: Der Mann ist ja nicht Schuld daran, wenn er zum Beispiel sehr wenige Spermien hat. Man sollte Paaren nie das Gefühl geben oder über sie denken, dass sie etwas falsch gemacht haben. Denn es gibt viele medizinische Gründe. Und bei einem Drittel aller Paare, die schwanger werden wollen und es nicht passiert, kann man keine Gründe finden, warum es nicht klappt. Ein Drittel ist wirklich viel, was eben zeigt, wie viel wir noch nicht wissen über Unfruchtbarkeit. Warum Männer einen ,Low Sperm Count‘ haben, kann man in den meisten Fällen noch nicht erklären. Es gibt zwar viele Studien zu Fruchtbarkeit oder auch gerade zur Spermien-Qualität, aber heruntergebrochen auf das einzelne Paar findet man oft keinen genauen Grund, und das ist sehr frustrierend für sie.
Mit den Daten, die wir haben, versuchen wir nun Licht ins Dunkle zu bringen. Unfruchtbarkeit ist ein riesiges gesellschaftliches Problem in sehr sehr vielen Ländern und ein großer Kostenfaktor für die Gesundheitssysteme. Und wir verstehen noch nicht genau, wie man das besser beeinflussen kann, außer zu sagen: ,Wenn du jünger bist, geht es besser.‘ Aber aus medizinischer Sicht verstehen wir noch viel zu wenig.“
„Oft reden die Paare nicht mal miteinander, weil entweder sie oder er denkt, dass sie jeweils Schuld haben, dass es nicht klappt.“
Hast du einen Tipp, wie Frauen oder auch Paare sich die Leichtigkeit beim Schwangerwerden bewahren können?
Siehst du Unterschiede, wie US-Amerikanerinnen und Europäerinnen an das Thema Schwangerschaft herangehen?
„Der Unterschied in den USA sind vor allem Rolemodels. Man denkt dann: ,Ach, das könnte ich eigentlich auch.’“
Unterscheidet sich das US-Startup-Umfeld von dem in der Schweiz?
Hast du eine Mentorin, die dich auf deinem Weg begleitet?
Macht es einen Unterschied, wie du als Gründerin wahrgenommen wirst, dass du zu einem ,Frauenthema‘ gegründet hast?
Ist der Femtech-Bereich attraktiver für Investments geworden, kann man besser deutlich machen, warum der Bereich relevant ist?
Wo sieht eure klinische Forschung gerade aus?
Wolltest du immer gründen?
Werdet ihr Ava vor allem in den USA weiter ausbauen?
„Nein, der Schwerpunkt wird in der Schweiz bleiben. Wir machen unsere klinische Forschung hier, unser Produkt-Team ist hier, wir haben alles hier. Der Markt-Schwerpunkt bleibt in den USA, im Moment. Es kann auch gut Asien sein in der Zukunft.“
Wollt ihr euch denn als nächstes in den Bereich Verhütung hineinbewegen?
„Das wird sich zeigen. Wir schauen uns das schon gerade an, aber wir kommen erst auf den Markt, wenn wir ein wirklich gutes Produkt haben. Die Vision von Ava ist, dass wir eine Begleitung sind für eine Frau durch alle Stufen ihres Lebens: wenn sie schwanger werden will, wenn sie versucht nicht schwanger zu werden, schwanger ist, in die Wechseljahre kommt. Die klinischen Resultate werden zeigen, ob wir das machen können oder nicht.“
In eigener Sache:
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei!
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