Foto: Patrizia Isabella Widritzki

bitte ankreuzen: herr oder frau

wie kann es dazu kommen, dass sich jemand regelrecht falsch fühlt? innerhalb welcher parameter leben wir, wenn menschen darin scheinbar ihren platz nicht finden? an welchem punkt sind die normen, die aus unserem mensch-sein erwachsen sind, zu festgesetzten und unverrückbaren regelwerken geworden? wieso ist die einhaltung der normen, das angepasst sein in diese, wichtiger und mächtiger, als die ursprünglichste aller empfindungen für uns selbst?

 

es war einmal ein menschen-kind. es wurde gehegt und gepflegt. umsorgt und aufgezogen. es bekam seinen platz in der gesellschaft, es war willkommen als das, was man ihn ihm sah. alle waren glücklich und zufrieden. doch eines tages, schaute das menschen-kind in den spiegel. was es sah, verstörte es. ein seltsames gefühl überkam das kind, es fühlte sich unwohl beim betrachten seines spiegelbildes. die besorgten eltern, versuchten das als ganz normale phase abzutun, die kinder ja immer wieder haben. aber das menschen-kind sagte: nein. das bin ich nicht. das fühlt sich irgendwie falsch an.


augen auf bei der titel-wahl

wir brauchen mehr empathie und akzeptanz. wir müssen darüber reden, genau hinsehen und uns informieren, um zu erkennen was unsere menschlichkeit ausmacht. unser mensch-sein.

identität ist etwas persönliches. es lässt sich nicht festschreiben oder vorgeben. und die geschlechtsidentität ist ein grosser teil davon. es hat mit dem gefühl für sich selbst zu tun, für das eigene geschlecht, für die eigene identität.

gefühle lassen sich nicht normieren. und wenn identität vorallem ein gefühl für das eigene selbst ist, und die geschlechtsidentität ein teil davon, lässt auch diese sich nicht in eine norm packen. kein mensch soll sich für das was er ist, erklären müssen, sondern seine eigene berechtigung haben. kein mensch sollte anders sein, sonder einfach sein können.

wenn die norm nicht dem entspricht, wie wir uns empfinden, also unser gefühl regelrecht getrennt ist vom normativen – weil unsere gefühle nicht von der norm erzeugt werden – inwieweit kann die norm dann menschlich sein? wie kann sie dann überhaupt menschlichkeit vertreten? unsere menschlichkeit übersteigt das normative, nicht andersherum. wir, als menschen, in all unserer vielfältigkeit, machen die norm.

was nicht passt, wird passend gemacht

deshalb bedarf es der anpassung gewisser normativer vorgehensweisen. zum beispiel unserer sprache. denn sprache darf nicht korrektur und norm-alisierung sein. sie soll ausdrücken was wir sind und sein wollen. sie soll ermöglichen, beschreiben und beweglich sein. keine grenzen bilden, sondern um-grenzen. und wenn jemand, der sich weder eindeutig als mann oder noch viel weniger als frau identifiziert, schon am anfang eines bogens unter “titel” ankreuzen muss, ob er herr oder frau hirsebrei ist, ist das schlichtweg unnötig, unerheblich und ausgrenzend. wem das jetzt zu weit geht oder wem das zu kleinkariert ist, der darf sich gern fragen inwieweit seine eigene kleinkariertheit ihn daran hindert über den eigenen tellerrand hinwegzusehen.

wer der norm entspricht, darf ja schon mensch sein

ja, ich weiß schon, dass es vielen angst macht, so weit zu gehen. bis zum tellerrand, und noch weiter. denn vielleicht ist die erde ja flach und dann? freier fall, kein halt mehr, boden unter den füssen einfach weg. nein. das will ja keiner. schuster, bleib bei deinem leisten. auf dem sicheren, bekannten boden.

sie. er. sier*. transident. queer. inter. cis. es gibt keinen anspruch auf vollständigkeit, denn dann würde ich zugestehen, dass irgendwann der deckel zu ist. das wird er aber nicht sein, soll er auch nicht. im gegenteil. der unendlich süsse identitäts-brei soll dem ihn einengenden topf entfliehen und sich ausbreiten. in alle richtungen, mit dem versuch alle(s) abzudecken, was nicht bei vier auf den bäumen ist. es weiß doch, im wahrsten sinne des wortes, kein mensch, was die zeit, die weiterentwicklung der menschheit, die zukunft, noch so alles mit sich bringt oder aufdeckt. welche möglichkeiten sich zu erkennen geben. und wie könnten wir den deckel draufmachen, wenn wir doch offen sein wollen für das noch-nicht bekannte.

und die moral von der geschicht – die darf sich jeder gern selbst überlegen

eine möglichkeit wäre, tatsächlich auf das ankreuzen einer kategorisierung wie frau oder herr gänzlich zu verzichten!

veröffentlicht am 3. märz 2018 auf doingdiversity.org

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