Foto: Engin Akyurt

Coronavirus und Psyche: Was du gegen Sorgen und Ängste tun kannst

Wir alle sind derzeit aufgerufen, unsere sozialen Kontakte einzuschränken. Doch Isolation kann sehr belasten – vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Die Lage ist ernst, aber wir sollen ruhig bleiben, uns nicht zu viele Sorgen machen. Das ist vernünftig, aber schwer umsetzbar, wenn vermutlich selbst die psychisch stabilsten Menschen sich gerade echt anstrengen müssen, die nächtliche Coronapanik von der Matratze zu schieben.

Für Menschen, die psychisch erkrankt sind, sind die soziale Isolation sowie die Ängste, die derzeit überall aufgrund der Pandemie geäußert werden, besonders hart.

Aber es gibt Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun – für uns alle. Wir haben Empfehlungen für Betroffene gesammelt und mit einem Psychologen gesprochen.

Haltet euch an die Fakten!

Wer derzeit das Handy in die Hand nimmt, wird auf allen Kanälen mit Informationen zu Corona überschwemmt. Nicht alles davon ist allerdings wissenschaftlich solide und dazu geeignet, das Wissen über die Pandemie zu erweitern. Um Panik entgegenzuwirken, solltet ihr euch möglichst nur an Stellen halten, die seriöse Informationen bieten. Zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation, das Robert Koch-Institut, Ministerien oder Wissenschaftler*innen anerkannter Institutionen. Jetzt ist nicht die Zeit, sich durch Videos von TikTok-Influencer*innen die Welt erklären zu lassen. „Fakten können Ängste minimieren“, erklärt die WHO.

„Wenn Menschen in deiner Timeline Fake News verbreiten, kannst du sie ganz einfach für ein paar Tage auf stumm schalten und musst ihre Beiträge dann nicht mehr lesen. Oder lösch sie doch einfach ganz. Es ist ganz normal und vollkommen angemessen, von der aktuellen Situation verunsichert zu sein. Undifferenzierte, populistische und frei erfundene Beiträge zum Thema machen aus der Verunsicherung dann ganz schnell Panik“, sagt der klinische Psychologe Thore Würger.

Begrenzt eure Zeit auf Social Media!

So wichtig es ist, sich informiert zu fühlen, so wichtig kann es auch sein, den eigenen Informations-Durst bewusst zu beschränken. Wer Ängste hat, versucht oft, diese Ängste mit immer mehr Informationen in Schach zu halten. Das ist derzeit kontraproduktiv. Setzt euch ein oder zwei kurze Zeitfenster am Tag, in denen ihr euch über die Pandemie informiert. Und nicht mehr.

Soziale Netzwerke sind jetzt total wichtig, damit den Menschen zu Hause nicht die Decke auf den Kopf fällt“, sagt Würger. „Wir sollten sie aber in erster Linie dafür nutzen, Kontakte, die wir als angenehm empfinden, zu pflegen.“

Gegen den Kontrollverlust!

Wer psychisch krank ist oder sich schnell von Ängsten runterdrücken lässt, der*die kennt das Gefühl von Kontrollverlust. Probleme werden riesengroß, erscheinen übermächtig und man selbst fühlt sich wie ein Staubkorn, das umhergewirbelt wird. Hilflos, sich selbst überlassen, ohnmächtig.

Psycholog*innen raten daher, sich in Zeiten des Kontrollverlusts auf die Dinge zu konzentrieren, die sich kontrollieren lassen. Fokussiert euch auf ganz praktische Verhaltensweisen, die ihr selber in der Hand habt, um etwas gegen die Pandemie zu tun. Also so oft und gründlich wie empfohlen Hände waschen, Abstand zu anderen Menschen halten, größere Menschenmengen meiden und so viel es geht zu Hause bleiben. Hier findet ihre weitere Verhaltensempfehlungen.

„Plötzlich haben alle sehr viel Zeit. Und die nutzen wir leider viel zu oft zum Grübeln. Bei der Depressionstherapie wird oft daran gearbeitet, das Grübeln auf ein Minimum zu reduzieren, damit Sorgen und Befürchtungen nicht plötzlich übergroß erscheinen. Ich glaube, die Strategien, die man bei Google durch die Suche nach ‚Grübelstopp‘ findet, können Menschen helfen, die jetzt wegen Corona zu Hause sitzen und Däumchen drehen“, sagt Würger.

Bewahrt Ruhe!

Ja, das ist natürlich leicht gesagt und schwer getan. Aber es gibt zumindest ein paar Möglichkeiten, die wir alle ausprobieren können, wenn wir merken, dass die Panik in uns aufsteigt. Zum einen: ruhig atmen. Sich ein paar Minuten auf den eigenen Atem konzentrieren und ganz bewusst ein- und ausatmen. Auch progressive Muskelrelaxation, autogenes Training oder Meditationsübungen können helfen.

„Meditationsapps sind doch total angesagt zur Zeit. Allerdings bezweifle ich stark, dass wirklich viele Menschen weiter als bis zum Download der App gekommen sind. Jetzt wäre ein super Zeitpunkt, sich jeden Morgen hinzusetzen und loszulegen“, sagt Würger.

Bewegt Euch!

Gerade depressiven Menschen wird sportliche Betätigung von Psycholog*innen dringend empfohlen. Bewegung ist für das mentale Wohlbefinden von entscheidender Bedeutung. Wer also jetzt zwangsweise auf den regelmäßigen Fitnessstudio- oder Sportkursbesuch verzichten muss, dem*der fällt ein wichtiger Pfeiler der Self care weg.

Und auch wenn ihr eigentlich am liebsten gerade Indoor-Spinning oder Thaiboxen machen würdet: Gebt euch einen Ruck und probiert mal etwas anderes aus. Joggen und Radfahren tun auch gut, gerade jetzt, wo in vielen Teilen von Deutschland die Sonne scheint und schon wärmere Temperaturen herrschen. Auch spazieren gehen kann gut tun. Und auf YouTube oder in unzähligen Apps findet ihr Anleitungen zum Heim-Sporteln, von Yoga bis zum Training mit dem eigenen Körpergewicht.

„Am besten wäre: Alle holen sich einen Hund. Die Bewegung kommt dann automatisch und man ist ständig in der Sonne und an der frischen Luft“, sagt Würger.

Bleibt bei euren Routinen!

Wenn der Alltag so durcheinandergewirbelt wird und die eigenen Routinen wegfallen, kann das für viele ganz schön destabilisierend wirken. Deshalb: Versucht, so gut es geht an euren Routinen festzuhalten. Wenn ihr im Homeoffice seid: Steht zur gewohnten Zeit auf, macht euch fertig, als würdet ihr auf die Arbeit gehen, haltet eure Essens- und Schlafzeiten ein. Und nehmt die Verabredungen wahr, die ihr sonst auch treffen würdet. Macht einfach digitale Dates daraus.

„Sicherheit und Stabilität sind für die meisten Menschen mit und ohne psychische Vorerkrankungen wichtig. Vorhersehbarkeit senkt Ängste“, sagt Würger.

Gegen das Stigma!

Wer selbst von Corona betroffen ist, oder Freund*innen hat, die betroffen sind, wird vielleicht auch angefangen haben, unter der Stigmatisierung zu leiden. Die WHO empfiehlt daher allen, mit Corona infizierte Menschen nicht als „Corona-Opfer“ oder „Corona-Fälle“ zu bezeichnen, sondern als „Menschen mit Corona“ oder „Menschen, die wegen Corona in Behandlung sind“.

Holt euch Hilfe und helft anderen!

Für viele psychisch kranke Menschen ist es sehr, sehr schwer, um Hilfe zu bitten. Anderen Menschen zu sagen, dass es ihnen nicht gut geht. Dass sie psychische Probleme haben. Der Appell von Psycholog*innen lautet aber insbesondere jetzt: Sagt es! Sprecht Freund*innen an, schreibt auf Social Media von euren Ängsten, teilt eure Sorgen und bittet andere um Hilfe.

„Ich bin gespannt, wie sich die psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung in den nächsten Wochen entwickelt. Hoffentlich kommen die Krankenkassen zu unbürokratischen Lösungen, wenn es zum Beispiel darum geht, ob ambulante Psychotherapien ausnahmsweise am Telefon durchgeführt werden dürfen. Darüber hinaus ist es jetzt natürlich total wichtig, dass alle ihre sozialen Ressourcen aktivieren. Ruft eure Freund*innen an, wenn ihr euch unwohl fühlt. Die sitzen ja wahrscheinlich auch zu Hause rum. Und ganz wichtig: Ruft eure Freund*innen an, denen es vielleicht nicht so pralle geht, und kümmert euch. Seid einfach besonders lieb zueinander in den nächsten Wochen“, sagt Würger.

Es tut einem auch selbst gut, anderen Menschen zu helfen. Hilfe anzubieten und zu leisten stützt die eigene mentale Gesundheit. Wenn ihr es könnt, bietet also Hilfe an. Vielleicht mit einem Zettel im Hausflur oder mit einem Telefonat im Verwandtenkreis. Auf lokaler Ebene organisieren sich derzeit viele Menschen in Hilfegruppen auf Social Media oder bei Telegram. Vielleicht mögt ihr euch solch einer Gruppe anschließen und eure Hilfe anbieten.

Der Originaltext von Gunda Windmüller ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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