Foto: A.Bekassine

Das Reihenhaus

Bei jedem Besuch im heimatlichen Elternhaus kommentierte ich arrogant die miefige Gedrängtheit

 

Eng, spießbürgerlich, hässlich: Im westdeutschen Reihenhaus bin ich aufgewachsen. Eigentlich ja auch kein Haus, sondern vielmehr eine vertikale Wohnung mit schmalen Türen, niedrigen Decken und einspurigen Treppen. Nüchterne Billighäuser der sechziger Jahre ohne jeden Bauhaus-Charakter. Die Küche so groß wie eine Tischtennisplatte, ein Fetzen Garten reichte gerade für einen Rosenstock. Null Intimsphäre, auch nicht im eigenen Kinderzimmer.
Aus dem Keller konnte man sich problemlos mit Personen im ersten
Stock unterhalten. Über das Leben der Nachbarn war man stets auf dem
Laufenden. Ich empfand diese Behausung damals als Zumutung. Vor meinen damaligen Mitschülern mied ich Themen wie Zimmergröße, man wohnte in renovierten Bauernhäusern, schicken Altbauwohnungen, luxuriösen Neubauten und wenn nicht, hielt man die Klappe. Wobei die Enge noch nicht mal das Problem war, das Bild ‘REIHENHAUS’ störte mich grässlich. Ich war der festen Überzeugung, dass dieses Haus abfärbte. Spießbürgerlich und hässlich wollte ich wirklich nicht sein. Und dann diese Gleichförmigkeit! ‘Karnickelställe’ nannte ein Freund die Siedlung. Und ausgerechnet ich – als ausgeprägte Individualistin – sollte in einer beton-gewordenen Uniform leben.
Nach dem Abitur kam dann endlich das ersehnte knarzende Parkett, der Stuck, die hohe Decken. Natürlich lediglich in Form eines WG-Zimmers, aber immerhin. Der individuelle Lebensstil war bereits zu einem Teil käuflich erworben, endlich konnte ich mich mit meinem Zuhause identifizieren: Es war so lässig und originell wie ich. Wann immer ich in den folgenden Jahren umzog, achtete ich bei den Wohnungen darauf, dass sie bitte kein Reihenhaus-Flair besaßen. Bei jedem Besuch im heimatlichen Elternhaus kommentierte ich arrogant die miefige Gedrängtheit. Nein, ich bewohnte nun endlich Zimmer mit
Schlosscharakter. Auf diversen Reisen bewunderte ich die Architektur, die bewundert werden sollten: Blumiger Jugendstil, „le style haussmanien“, pompöse Schlösser, coole Backstein-Bauten, imposante Wolkenkratzer. Und in den Zeitschriften und Blogs den fotogenen Wohnungsstil, den es nachzuahmen galt: Entweder Kreuzberger Altbau oder Brooklyner Loft. Alles wunderschön und sehr beeindruckend vollgestellt mit coolen Flohmarkt-Möbeln und
Design-Klassikern. Ich war ein architektonisches Fashion-Victim.
Während einer sehr langen Zeit. Wohl aus geistiger Trägheit oder pubertierender Rebellion oder wie man es auch sonst küchenpsychologisch analysieren mag. Denn: Wenn ich ehrlich bin, erinnern mich Lofts irgendwie immer an, wie soll ich sagen…Fabriken. Oder Turnhallen. Oder 70er-Jahre Universitäten. Und in Altbauwohnungen fühle ich mich wie in einer Kulisse für
einen klischeehaften Berliner Fernsehfilm, künstlich und falsch.
Erst sehr spät bin ich darauf gekommen und leicht zu akzeptieren war es auch nicht, denn mit dem Wort ‘Reihenhaus’ assoziiere ja nicht nur ich zunächst automatisch ‘Brutstätte der Engstirnigkeit’. Aber belgische, nordenglische und niederländische Kleinstädte und ja, auch der Ruhrpott wurden zu meinen Lieblingsdestinationen: Reihenhaus-Wohnsiedlungen in allen Variationen, bei denen mir quasi das Herz aufgeht: Jede Menge verschachtelte, verwunschene winzig schmale Häuschen, hübsch aufgereiht, voller Stufen, Treppen und
Ecken mit niedlichen Zimmerchen und süßen Vorgärtchen. Zwergenhäuser. Es ist Architektur für den zweiten Blick. Die totale Durchschnittlichkeit. Reihenhäuser verkörpern nicht das Bild illusorischer Einzigartigkeit, sie sind unaufdringlich und das finde ich recht angenehm. Für Walter Gropius verschwand die Individualität seiner Bewohner auch nicht mit der Einheitlichkeit seiner Bauhaussiedlungen. Sie ist einfach nur weniger dramatisch in Szene gesetzt.

neon.de/community

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