Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit Angela Merkel diesen Satz sagte, der so sehr prägte: Wir schaffen das!
Ganz Deutschland wollte mit anpacken, es gab eine beispiellose Willkommenskultur. Doch was ist aus den vielen ehrenamtlichen Helfern geworden?
Ich kann nur von mir sprechen: Wenig.
Zumindest hinsichtlich einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Zu Beginn war
ich Feuer und Flamme, verbrachte jede freie Minute in den „Messehallen“, die in ganz Deutschland Bekanntheit erlangten. Schließlich wollte ich mehr tun und erfahren, wer diese Menschen waren, für die ich nach Feierabend Klamotten sortierte und faltete. Doch der „Flüchtlings-Hype“ machte mir einen Strich durch die Rechnung. Wo ich mich auch nützlich machen wollte, es hagelte eine
Absage nach der anderen. Immer waren schon genug Leute vor mir da gewesen oder besser für die jeweilige Aufgabe qualifiziert. Alles steckte noch in den Kinderschuhen, ich erinnere mich teilweise mehrfach pro Woche an einem runden Tisch gesessen zu haben, an dem kommende Angebote geplant wurden. Und das dauerte. Wenn andere sagten, dass ich mich doch beim THW engagieren sollte oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, dort suchten sie hängeringend Leute, reagierte ich beleidigt. War es denn so verwerflich, dass ich mich momentan ausschließlich für Flüchtlinge einsetzen wollte, weil
mich dieses Thema nun mal gerade so umtrieb? Ich fand nein. Insbesondere, nachdem mein Heimatdorf Salzhemmendorf traurige Berühmtheit durch den ersten Mordanschlag auf Flüchtlinge dieser Tage erlangte. Nicht besonders rühmlich fand ich jedoch mein Verhalten im Folgenden: Darauf, dass man mir nicht sofort ein Ehrenamt auf den Leib schneiderte reaigerte ich mit Trotz und verlor meine Pläne dann heimlich still und leise aus den Augen. So wie die
überfüllten Flüchtlingsboote nach und nach aus den Nachrichten verschwanden, so verschwand der Wunsch und meine Bemühungen zu helfen immer mehr von meiner To-Do-Liste. Und als es dann endlich losgehen sollte mit vielen Projekten an deren Vorbereitungsveranstaltungen ich teilgenommen hatte, da war ich dann schon davon überzeugt, dass in meinem Alltag gar kein Platz mehr für ein Ehrenamt sei.
Ein Trugschluss.
Sicherlich gibt es viele Menschen, die einen ähnlich kurzen Atem hatten wie ich, die zu ungeduldig gewesen waren.
Doch Gott sei Dank gibt es auch viele, viele Menschen, die dran geblieben sind.
Wie zum Beispiel Renate Wiehmann aus Stade.
Es ist Dienstag morgen, 9.45 Uhr. Wie jeden Dienstag bereitet sie im Kreiswehrersatzamt ihren Deutschunterricht für Flüchtlinge vor, der um 10 Uhr beginnt.
Was sind ihre Beweggründe für ihr Engagement?
Dreh- und Angelpunkt sei sicherlich, dass sie Menschen möge und dass sie selbst es immer gut gehabt habe. „Meine Eltern waren beide Akademiker, mir hat es nie an irgendetwas gefehlt, hinsichtlich Bildung hatte ich immer alle Chancen. Mein Leben lang habe ich die Sicherheit des Beamtendaseins genossen. Davon möchte ich gerne etwas zurückgeben. Und Sprache ist eben der Schlüssel. Ich habe in der Schule gesehen, was passiert, wenn sich niemand darum kümmert. Die Menschen sprechen teilweise auch noch nach 40 Jahren kein Deutsch, man kann sich auch gut ohne Deutschkenntnisse durchschlagen. Sicherlich ist das was ich leiste nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber doch immerhin ein Anfang. Ich möchte den Menschen unser Leben hier verständlich machen. Und sie freuen sich wahnsinnig, wenn sich jemand auch für ihr Leben
interessiert.“
Im Oktober 2015 wurde sie auf die Ankunft vieler Flüchtlinge in Stade aufmerksam und wusste gleich, dass sie helfen wollte. Zunächst landete sie in der Spendenhalle für Kleider und kam so das erste Mal mit Flüchtlingen in Berührung. Zwar konnte sie sich dort nützlich machen, allerdings wünschte sie
sich, nicht nur einer anonymen Masse gegenüber zu stehen, sondern
innerhalb einer kleinen Gruppe helfen zu können und gleichzeitig
mehr über die Menschen zu erfahren.
Renate Wiehmann ist Deutschlehrerin, ging 2014 in Rente. Es bot sich an, dass sie Deutsch unterrichtete. Dies allerdings zunächst unter sehr erschwerten Bedingungen, denn anfangs fand der Unterricht noch in der Gemeinschaftsunterkunft in einer Turnhalle statt- es gab kleine abgetrennte Kabinen, dort wurde Fußball gespielt, Kinder liefen herum, von Arbeitsatmosphäre war wenig zu spüren. Einige Monate später konnten die Familien dann zumindest Zimmer im Kreiswehrersatzamt der Stadt beziehen. Und nun kam endlich ein einigermaßen fester Zirkel zustande.
Wer mit Flüchtlingen arbeitet, muss sich klarmachen, dass die kulturellen Unterschiede mitunter doch sehr groß sind. Und dass eben nicht alle darauf warten, an die Hand genommen zu werden. „Neulich habe ich in der Küche eine junge Frau gesehen, die mir ganz unbekannt war und ich fragte sie auf türkisch, warum sie nicht in den Deutschunterricht käme. Ihr Mann wolle nicht, dass sie die Sprache lerne, war ihre Antwort. Natürlich macht einen sowas nachdenklich. Aber man muss sich über das freuen, was klappt. Und viele sind unglaublich wissbegierig und dankbar.“
Es ist 10.15 Uhr.
Die meisten Kursteilnehmer sind inzwischen eingetrudelt. Die akademische Viertelstunde scheint auch in anderen Kulturkreisen verbreitet zu sein. „Am Anfang hat es mich geärgert, gerade weil ich so ein überpünktlicher Mensch bin. Und ja, da ist manchmal der Gedanke warum können die Leute denn nicht pünktlich sein, wenn sie doch den ganzen Tag nichts zu tun haben, diese „komm ich heute nicht, komme ich morgen-Mentalität“ ist für uns Deutsche teilweise schwer nachvollziehbar. In den Herkunftsländern meiner Schüler ist der Umgang mit der Zeit ein ganz anderer.“
Aus der Schule wusste Frau Wiehmann schon im Vorfeld um das Pünktlichkeitsproblem. Während sie am Anfang dennoch mit Unverständnis reagierte und an allen Zimmern klopfte, sieht sie es nun gelassen. „Ich freue mich über jeden der kommt. Wer den Anspruch hat, dass alle jedes Mal wieder dabei sind, pünktlich und mit tadellos erledigten Hausaufgaben, der ist hier fehl am Platz. Wir sind hier nun mal nicht in der Schule, das was ich hier anbiete erfolgt nur auf freiwilliger Basis und ist ein guter Einstieg für die Menschen, die noch keinen Platz in einem offiziellen Sprachkurs ergattern konnten.“
Ida kommt auf ihre Kursleiterin zu. Sie ist 31 Jahre alt und kommt aus Syrien. In ihren jungen Jahren ist sie schon Mutter von sechs Kindern. Das Baby trägt sie auf dem Arm, die anderen Kinder beschäftigen sich am anderen Ende des Raumes mit Spielsachen, die Renate Wiehmann extra mitgebracht hat, damit der Unterricht möglichst ohne allzu viele Störungen verläuft. Die Teilnehmer, die Kinder haben, haben diese meist dabei. Man könnte sich fragen, warum der Ehemann nicht vielleicht in diesen zwei Stunden auf die Kinder aufpasst. Aber Frau Wiehmann winkt ab, die Rollenaufteilung in der Familie gehe sie nichts an.
Ida jedenfalls freut sich und zeigt ihrer Lehrerin stolz ein Formular des Landes Niedersachsen- endlich hat sie einen Platz für einen richtigen Sprachkurs bekommen, von Montags bis Freitags, drei Stunden am Tag. Dann die Ernüchterung: Frau Wiehmann übersetzt das Formular und muss Ida mitteilen, dass der Kurs im Herbst 2017 beginnt, also erst in knapp einem Jahr. Sie spendet ein paar tröstende Worte und spornt Ida an, hier in diesem Kurs weiterhin so fleißig mitzuarbeiten. „Die Kapazitäten hier im Landkreis sind einfach erschöpft. Jedes Mal wenn ich hier bin, bin ich noch länger da, um ein bisschen zu helfen, jeder könnte immer ein Papier aus der Tasche ziehen, dass er nicht versteht. Diese bürokratischen Schreiben sind ja selbst für uns als Muttersprachler nicht immer auf Anhieb zu erfassen!“
Beeindruckendes Engagement
Es ist toll, dass sich so viele Lehrer, ehemalige Lehrer und Pädagogen anbieten, hier und anderenorts Flüchtlingen deutsch beizubringen, denn die vielen verschiedenen Nationalitäten, Generationen und Ausgangslevel stellen eine große Herausforderung dar. Schwer vorstellbar, dass ein Laie das händeln könnte. Während einige Kursteilnehmer neben ihrer Muttersprache gutes Englisch beherrschen, sind andere nicht einmal alphabetisiert. So wie Mohammed, ein freundlicher Syrer um die 60. Er sagt, in Syrien sei er Kopierer gewesen. Seine Frau und er kommen regelmäßig, sie habe hier in Stade bereits Fahrrad fahren gelernt, erzählt Renate Wiehmann stolz.
Sie hat als Grundschullehrerin gelernt anschaulich zu unterrichten, ist es gewohnt vor einer Gruppe zu stehen und es ist kein Neuland für sie, ihren Schülern das Alphabet beizubringen und immer wieder viel zu wiederholen- wenngleich ihre Schüler bislang immer jünger waren. Am Schluss spielen sie immer „Ich sehe was, was du nicht siehst“, ein Ritual, das bei der Gruppe gut ankommt.
Ein Verlag spendete die Lehrmaterialien, die Stadt finanzierte eine Tafel für den kahlen Raum, der bislang nicht als Schulklasse diente.
Schade sei, dass die Neulinge wenig Kontakt zur Außenwelt haben und nicht wirklich ihr deutsches Umfeld kennenlernten. Vor einigen Wochen lud Renate Wiehmann ihre Schüler zu sich nach Hause ein. Dort wurden gemeinsam Weinblätter im Garten gepflückt und ihre Schüler brachten ihr bei, wie man damit umgeht und sie verarbeitet. Auch einen Stadtbummel hat die Gruppe schon hinter sich, die erworbenen Sprachkenntnisse sollten angewandt werden, learning by doing.
Mit der Integration läuft es allerdings bislang eher mau
„Von Idas Kindern sind inzwischen drei im Chor und können mithilfe von Spenden auch an der Chorfreizeit teilnehmen, sowas ist wichtig, genau wie Sportvereine! Den Kindern gebe ich ganz viele Chancen, vielleicht schaffen es über die Berührungspunkte in der Schule usw. auch einige Eltern, das würde ich mir sehr wünschen. Ich habe jedenfalls vor Weihnachten noch einmal alle mit Kind und Kegel zu mir nach Hause eingeladen, zum Sterne basteln!”
Was sie ganz toll findet ist, wie viele unterschiedliche Menschen sich hier gerade einbringen, jeder mit dem was er kann, es werden Nähkurse angeboten, Fahrräder repariert…“Ich lebe nun seit über 40 Jahren in dieser kleinen Stadt und doch habe ich durch meine Aktivitäten in der Flüchtlingsunterunft noch einmal ganz andere Leute kennengelernt.“
Renate Wiehmann sagt, dass die jungen Leute erstmal ihren Pflichten nachgehen sollten- Job und Co, der Alltag sei schon stressig genug. „Ich war alleinerziehende Mutter und immer berufstätig, da hätte ich ganz sicher auch keine Zeit für solche Aufgaben gehabt. Jetzt bin ich in Rente und habe die Muße
mich ehrenamtlich zu engagieren. Genauso sollte es bei den folgenden Generationen auch laufen“.
Solche Aussagen beruhigen das Gewissen und haben natürlich auch ihre Berechtigung. Ein bisschen Zeit könnte sich aber sicher auch jeder Berufstätige nehmen. Und sei es aus purem Egoismus, denn von einer freiwilligen Tätigkeit
profitiert nicht nur derjenige, dem diese zuteil wird: Menschen, die ein Ehrenamt bekleiden sind glücklicher und werden seltener depressiv als solche, die sich nicht sozial engagieren.
Wir schaffen das!