Der Weihnachtsbaum liegt auf der Straße, doch was passiert nun mit dem Weihnachtsstern? Dieser Frage geht in dieser Woche unsere Kolumnistin Nathalie Weidenfeld nach.
Weg mit dem Kitschgefühl!
Weihnachten ist schon ein paar Tage vorbei. Man hat die Kerzen am Tannenbaum angezündet, sich beschenkt, gesungen und es festlich gehabt. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber spätestens nach Neujahr habe ich das ganze weihnachtliche Glitzerzeug gründlich satt. Voller Elan packe ich die Weihnachtskugeln wieder in die Kartons, hänge das Lametta ab, und räume den Adventskranz und den Weihnachtkalender weg. Herrlich fühlt sich das an. Schließlich will man unbeschwert und kraftvoll und ohne sentimental-heimelige Kitschgefühle das neuen Jahr angehen. Bei der großen roten Christsternpflanze halte ich inne. Christsterne gehören doch eindeutig zu Weihnachten. Andererseits ist sie aber auch eine ganz normale Zimmerpflanze. Was also tun?
Am 1. Januar ist die Pflanze immer noch da. Prächtig sieht sie aus, mit riesigen roten und grünen Blättern. Ich habe ein mieses Gefühl. Wie soll das nur weitergehen? Wenn im März die Krokusse und Narzissen rauskommen, soll ich dann im Wohnzimmer immer noch auf den weihnachtlichen Christstern schauen? Wie soll man da unbeschwert und kraftvoll und ohne sentimental-heimelige Kitschgefühle das neuen Jahr angehen? Eines ist jetzt völlig klar: Der rote Christstern muss weg. Die Frage ist nur: Wie? Soll ich eine kerngesunde vor Leben strotzende Pflanze einfach so in den Müll kippen? Nein, das wäre irgendwie falsch. Sie müsste schon … ich meine… am besten von selbst, also am besten einfach so … vertrocknen. Ich beschließe, die Pflanze in den nächsten Tagen konsequent zu ignorieren. Dann wird sich das Problem quasi von selbst regeln. Der Tag vergeht, dann der nächste. Und der übernächste. Und dann der überüberübernächste. Bis auf ein kleines Blatt, das sich ein wenig gelb verfärbt hat, hat sich die Pflanze kein bisschen geändert. Kerngesund steht sie da, mit prächtigen weihachtlich grün und roten Blättern.
Am Morgen kippe ich heimlich den Rest meines Kaffees in die Erde. Am Abend den Rest meines Rotweins. Am nächsten Tag eine Flasche Schnaps und ein paar Aspirin. Mit der Folge, dass am übernächsten Morgen das eine Blatt wieder grün geworden ist. Wütend schlage ich mit der Faust auf dem Tisch.
„Was ist los?“ fragt mein Mann, „Du bist so nervös.“
„Ich bin nicht nervös“, fauche ich ihn an. Ich sehe ihn misstrauisch an. Könnte es sein, dass er oder die Kinder hinter meinem Rücken heimlich den Christstern wässern und ihn gegen meinen Willen am Leben halten? Um die Pflanze habe ich einen Maschendrahtzaun gezogen. Wer sich unerlaubterweise der Pflanze nähert, der bekommt es mit mir zu tun.
2. Januar. Der Pflanze geht es nach wie vor bestens.
3. Januar. Irgendwo lese ich dass Christsterne eine Temperatur von 20 Grad brauchen. Ich haste zur Heizung und stelle den Regler auf 36 Grad. Jetzt ist ein bisschen heiß hier, aber das ist mir egal.
4. Januar. Meine Familie mag sich an das Wüstenklima nicht so recht akklimatisieren. Ich habe ihnen vorgeschlagen, weiße Baumwollkleidung und Turbane anzuziehen, aber sie sind auf den Vorschlag nicht eingegangen.
5. Januar. Noch immer keine Veränderung. In der Nacht träume ich dass sich meine Arme zunehmend bräunlich verfärben und dann abfallen.
6. Januar. Ich fühle mich müde und erschöpft.
7. Januar. Kann nicht mehr schlafen. Bin hinunter zum Wohnzimmer und habe mich neben die Pflanze gelegt. Erst als ich leise „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen habe, bin ich eingeschlafen.
8. Januar. Ich habe die Weihnachtsplatte von Sinatra wieder herausgeholt.
9. Januar. Der Weihnachtsbaum steht wieder. (Zum Glück hatte die Müllabfuhr ihn noch nicht entsorgt). Als die Kinder zum Frühstück kommen, liegen frisch gebackene Weihnachtsplätzchen auf dem Tisch. Als meine Familie mich fragt, was los ist, sage ich nur „Zum Teufel mit Krokussen.“ Dann hole ich Wasser und bewässere den Christstern.
10. Januar. Am nächsten Morgen sind die Blätter des Christsterns völlig verfärbt, manche bereits abgefallen. Es sieht so aus als würde er keine Stunde mehr überleben. Mit Tränen in den Augen versuche ich ihn wiederzubeleben. Besprühe ihn mit Thermalwasser und stecke ein Düngerstäbchen hinein. Das scheint ihm den Rest zu geben. Die Pflanze krümmt sich, dann brechen ihre Zweige ab.
Mit hängenden Schultern trage ich ihn zum Komposthaufen.
Es ist zum Heulen. Wer auf dieser Erde meint, man könne das neue Jahr unbeschwert und kraftvoll und ohne sentimental-heimelige Kitschgefühle angehen, ist ein Vollidiot.
Titelbild: depositphotos.com
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