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Kind oder Karriere? Die Elternschaft ist doch das beste Führungskräftetraining!

Eine nicht schaffbare To-Do-Liste, tausend offene Baustellen und Ansprüche von allen Seiten? Unsere Community-Autorin findet, dass die Elternschaft ziemlich viel mit einer anstrengenden Führungsposition gemeinsam hat.

Elternschaft ist ein sehr anspruchsvoller Job 

Kennt ihr noch diese Übung aus Assessment Centern, in denen man ein überfülltes Postfach innerhalb kürzester Zeit abarbeiten muss? Die Personaler*innen versuchen in der sogenannten Postkorbübung die Priorisierungskompetenz der Kandidat*innen zu testen. Auf den ersten Blick erscheinen alle Aufgaben wichtig und dringend, doch die Prüflinge muss schnell Prioritäten setzen.

Klassischerweise muss man dabei Kund*innenbeschwerden, enge Deadlines, aber auch Verpflichtungen aus dem privaten Umfeld, die nicht unbedingt was mit dem Job zu tun haben, nach ihrer Dringlichkeit sortieren. Dann ist die Aufgabe, sich in Windeseile zu entscheiden, welche Aufgaben sofort und von einem selbst erledigt werden müssen und welche man delegieren oder sogar verschieben kann. Mitunter wird die Aufgabe durch zusätzliche Dokumente, Telefonate oder Mitarbeiter*innengespräche gestört, um den Stressfaktor zu erhöhen. Die Aufgabe ist in der Regel auch so konzipiert, dass man in der vorgegebenen Zeit gar nicht alles schaffen kann, realitätsnah eben. 

In den letzten Wochen und Monaten habe ich oft gedacht, dass die Elternschaft an sich eine tägliche Postkorbübung mit Führungsverantwortung ist. In diesem Moment schläft unsere zweitgeborene Tochter, könnte aber jeden Moment aufwachen. Selbstverständlich bin ich kurz nach ihrem Einnicken unter die Dusche gesprungen und habe ganz nach dem Motto „First Things First” meine persönliche Prioriätenliste abgearbeitet. Nun sitze ich hier und schreibe diesen Text, während das Breigläschen in der Warmhaltefunktion wartet, das Wohnzimmer wieder einigermaßen begehbar und die Wäsche angeworfen ist. Natürlich habe ich auch ein paar E-Mails abgearbeitet – eine höchst willkommene Abwechslung neben der sogenannten Familienarbeit und dem Haushalt.

Eltern stellen sich jeden Tag der Postkorbübung

Das klingt vielleicht nach Eltern-Geplänkel, aber so verändert sich nun mal das Leben, wenn man Kinder bekommt. Sowohl in der Elternzeit als auch in der darauffolgenden Berufstätigkeit wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einer Zerreißprobe für die ganze Familie, oft insbesondere für die Frau. Eine Postkorbübung für Fortgeschrittene. 

Über die Postkorbübung testen Personaler*innen die allgemeine Stressresistenz, analytische Fähigkeiten, die Entscheidungsfreudigkeit und Delegationsbereitschaft. Und genauso sieht der Alltag von vielen Eltern aus, die sich jeden Tag aufs Neue eben diesen Herausforderungen stellen: Immer in Eile und ständig am Priorisieren, welche Aufgaben denn nun am wichtigsten einzuordnen sind. 

Kinder spüren den Stress der Eltern 

Hashtags wie #unseralltagistihrekindheit erheben dabei ganz subtil den Zeigefinger. Will heißen: Der Lebensalltag, also auch die ganze Hektik und die Sorgen der Eltern übertragen sich auch auf die Kinder, denen wir doch so gern eine friedliche und gleichzeitig pädagogisch wertvolle Kindheitserfahrung ermöglichen wollten. Aus dem Eltern-Magazin habe ich mir ein schönes Zitat rausgerissen, das jetzt bei uns am Kühlschrank hängt:

„Macht euch keine Gedanken darüber, dass eure Kinder euch nie zuhören. Macht euch lieber Gedanken darüber, dass sie euch immer beobachten.” (Robert Fulghum)

Man weiß es ja eigentlich und hat es schon in vielen Erziehungsratgebern gelesen – es geht darum, ein gutes Vorbild zu sein. Oder auch gern mal ein*e „Leitwölf*in”, um es mit Jesper Juuls, einem dänischen Bestsellerautor für Ratgeberliteratur, Worten auszudrücken.

Entweder man kann intuitiv gut führen, weil man dahingehend vielleicht auch ein gutes Vorbild hatte oder man muss es sich spätestens jetzt mühsam erarbeiten. Denn klar, ein gutes Vorbild sein, das ist die eine Sache. Für einen einigermaßen reibungslosen Familienalltag gilt es aber auch Haltung zu zeigen. Das Familienleben ist quasi ein Führungsworkshop für Einsteiger, Learning on the Job. Da reicht es natürlich nicht, nur Vorbild zu sein. Man muss es, genauso wie eine Führungskraft, auch aushalten können, sich unbeliebt zu machen. Ein Beispiel: „Jetzt ist Schlafenszeit und darüber wird auch nicht diskutiert.”,  Alles andere führt langfristig in den körperlichen Ruin. Natürlich gilt das nicht für Neugeborene, aber ab einem gewissen Zeitpunkt, für jede Familie individuell,  etablieren sich hier feste Gewohnheiten. Idealerweise ritualisiert durch die Eltern.

Eltern müssen verhandeln können 

Und Eltern kommunizieren, genauso wie Führungskräfte, regelmäßig unschöne Entscheidungen und versuchen gleichzeitig die Arbeitsmoral bzw. die Kooperationsbereitschaft hoch zu halten. Ob es nach der Kita heute wieder ein Eis gibt oder nicht, kann durchaus schon mal zur kurzfristigen Belastungsprobe im Elternalltag werden. So banal es klingt, so bedeutend können Entscheidungen wie diese sein. Der gelassene Umgang mit hoher Frustration und Demotivation – Stichwort Trotzphase – kann in der Elternschaft super erlernt werden. Ein Kleinkind mit Tobsuchtsanfall bändigen oder eine demotiviertes Team wieder auf Kurs bringen – beides sicherlich Grenzerfahrungen.

In Zeiten, in denen die wenigsten im Kreise der Großfamilie leben und leben, bleibt vielen jungen Familien gar keine andere Wahl als mit viel Organisationsgeschick und klugem Zeitmanagement den Alltag der Kleinen zu koordinieren: Babysitter*innen, hilfsbereite Nachbar*innen und befreundete Kita-Eltern sind da sehr willkommene Helfer*innen. Sie stehen für das vielzitierte Dorf, das es braucht, um ein Kind zu erziehen. Delegationsbereitschaft? Alles nur eine Frage der persönlichen Belastungsgrenze.

Ebenso geht es um etliche Aspekte der neuen Arbeitswelt: Agilität, Flexibilität und die Tatsache, dass die Führungskraft mehr denn je als Vorbild und Coach an der Seite der Mitarbeiter*innen steht. Als Eltern jongliert man immer etliche Bälle in der Luft. Gibt es eine agilere Projektmanagement-Aufgabe als den Familienalltag?

Elternschaft: das beste Führungskräftetraining 

Das Sozialgefüge und die kommunikative Herausforderung in der Familie gibt es in gewisser Hinsicht also auch in vielen Jobs. Natürlich ist die Tonalität im Business und in der Familie eine ganz andere. Aber in beiden Fällen geht es um ein soziales Miteinander, es geht um Kommunikation, um Frustration und darum, gemeinsam durch gute und schlechte Zeiten zu gehen. 

Sicherlich gibt es viele Eltern und vor allem Mütter, die sich Sorgen machen, während der Kleinkindjahre irgendetwas im Job oder im Rahmen ihres beruflichen Werdegangs zu verpassen. Dabei kann man gerade in der Familienarbeit extrem gutes Handwerkszeug für den Job erlernen oder vertiefen, wenn man sich nur darauf einlässt und es als persönliche Weiterentwicklung und Bereicherung betrachtet. Natürlich ist ein Business-Workshop zum Thema Zeitmanagement, idealerweise mit Hotelaufenthalt inklusive Fitnessstudio, Sauna und reichhaltigem Frühstück, komfortabler. Aber das ist eben nicht das echte Leben, sondern eine Laborsituation. 

Familienarbeit ist ein ständiges „Learning on the job”. Es ist hart, unbequem und phasensweise richtig anstrengend. Besonders schlimme Phasen haben die Qualität eines Bootcamps. Aber die Sinnfrage stellt sich nicht. Die Liebe ist von Anfang an bedingungslos und all die hingebungsvolle Familienarbeit kann auch mit keinem Gehaltsscheck und keinem Jahresbonus verrechnet werden. Das was zurückkommt, ist unbezahlbar. Und ganz ehrlich: Gibt es denn eine schönere Management-Aufgabe als ein Kind ins Leben zu begleiten? 

In eigener Sache

Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder (noch) nicht. Schaut doch mal vorbei

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