In diesem Jahr müssen Frauen in Deutschland durchschnittlich 79 Tage mehr arbeiten als Männer, um im gleichen Job in vergleichbarer Position auch das Gleiche zu verdienen. Um das zu ändern, müssen mehr Menschen sich trauen, ihr Gehalt offenzulegen.
Ungleiche Bezahlung bedeutet Diskriminierung
Männer haben zwar ein Chromosom weniger als Frauen, dafür
aber sehr viel mehr Zeit. Schon seit dem 1. Januar könnten die Kerle faulenzen,
während ihre Kolleginnen noch bis zum 19. März umsonst schuften: 79 Tage arbeiten
Frauen in diesem Jahr umsonst. Nicht weil sie schlechter, fauler oder unmotivierter
wären, sondern weil sie Frauen sind. Das ist ungefähr genauso fair, als würden
Grünäugige oder Rothaarige mehr verdienen als alle anderen. Das nennt man
Diskriminierung.
79 Tage sind eine lange Zeit. Man könnte mit Jules Vernes
einmal um die Welt reisen; den Keller aufräumen, die digitale Fotosammlung
sortieren, sämtliche Folgen aller Lieblingsserien gucken und den Rest der Zeit am
Strand liegen und lesen, zum Beispiel die sieben Bände von Prousts „Auf der Suche
nach der verlorenen Zeit“.
Angleichung im
Schneckentempo
Der Equal Pay Day, der in diesem Jahr auf den 19. März fällt,
macht seit neun Jahren auf die Lohnlücke in Deutschland aufmerksam. In den USA
gibt es ihn schon 20 Jahre länger. Die Ungleichheit in der Bezahlung von
Männern und Frauen ist noch älter: 1927 bekam ein amerikanischer Buchhalter 45
Dollar in der Woche, eine Buchhalterin nur 30. Ein Lohnunterschied von 30
Prozent.
90 Jahre später sind es noch immer 21,6 Prozent. Jährlich knapp ein Zehntel Prozent weniger. In diesem Tempo haben wir bis zur Lohngerechtigkeit noch
21 Jahrzehnte vor uns. Im Jahr 2226 könnten unsere Urururururenkeltöchter den
Equal Pay Day und Silvester am gleichen Tag feiern. Und unsere Urururururenkelsöhne
auch.
Equal Pay ist kein
Frauenthema
Denn eines wird oft vergessen, wenn es um Entgeltgleichheit
geht: Equal Pay ist kein Frauenthema. Gerade junge Männer und Frauen wünschen
sich gleichberechtigte Partnerschaften und hätten statt der Lohnlücke lieber 79
Tage Freizeit miteinander. Schon jetzt ist jede fünfte Frau in Deutschland
Familienernährerin. Und Unternehmen, die für Gleichstellung und Chancengleichheit
sorgen, können Fachkräfte für sich gewinnen und an sich binden.
„Was ist meine Arbeit wert?“, fragen sich Männer und Frauen
gleichermaßen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten – von der Berufswahl bis zur
Rente. „Was ist meine Ausbildung wert?“
wollen junge Menschen wissen, die sich um ihre Zukunft Gedanken machen. „Was
ist mir Karriere wert?“ fragt sich, wer Erfüllung im Beruf sucht oder diesen
mit der Familie in Einklang bringen will. Die Gesellschaft: „Was ist uns
Erziehung wert? Und Pflege?“ Der Arbeitgeber: „Was sind meine Beschäftigten
wert?“
Hingucken und handeln
Es lohnt sich für alle, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Gerade Frauen sollten herausfinden, was ihre Arbeit wert ist. Wer weiß, woran
er oder sie sich misst, kann in Gehaltsverhandlungen selbstbewusster auftreten.
Unternehmen sollten die Lohnauszüge ihrer Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer
einmal ganz genau überprüfen. Welche Lohnstrukturen zeigen sich? Gibt es
Ungleichheiten, die es zu hinterfragen gilt? Das gilt nicht nur für die
Lohnunterschiede zwischen Männer und Frauen, sondern auch zwischen den
Abteilungen. Bringen die Leute im Vertrieb wirklich so viel mehr Leistung für das
Unternehmen als die Leute im Controlling? Ist die Arbeitsstunde des
Hausmeisters wirklich mehr wert als die Arbeitsstunde der Putzfrau?
Und dann gilt es zu handeln: Wer Ungleichheiten beseitigen
und Frauen gezielt fördern will, kann das auch ohne gesetzlichen Druck tun. Mit
Gewinn für alle: Unfaire Bezahlung schafft Unfrieden und Neid, nicht nur
zwischen Männern und Frauen. Um für Fairness zu sorgen, braucht es Transparenz.
Das ist der erste Schritt, wenn wir nicht noch 210 Jahre bis zum großen
Equal-Pay-Silvesterfeuerwerk warten wollen. Also: Hosen runter, Löhne rauf!
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