Die Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat eine neue Leistung für Eltern ins Spiel gebracht: Das Familiengeld soll ausgezahlt werden, wenn beide Eltern in Teilzeit arbeiten – doch wie viele Paare in Deutschland würden davon überhaupt profitieren?
300 Euro mehr
Mehr Zeit für Familie und mehr Partnerschaftlichkeit zwischen Eltern ist eines der Ziele, das Manuela Schwesig immer wieder als eines betont, das ihr als Bundesfamilienministerin sehr wichtig ist. Schon zu Beginn ihrer Amtszeit hatte sie die 32-Stunden-Woche für Eltern ins Spiel gebracht und wurde vom Vizekanzler Sigmar Gabriel, Vorsitzender der SPD, zurückgepfiffen. Locker gelassen hat Schwesig jedoch nicht. Im Jahr vor der Bundestagswahl 2017 präsentiert sie nun eine neue Idee, wie Eltern von politischer Seite unterstützt werden könnten. Die neue Geldleistung, die ihr Ministerium konzipiert hat, soll Familiengeld heißen. Es ist ein recht komplexes Modell, denn sein Ziel sind drei Dinge gleichzeitig:
1) Es soll Eltern ermöglichen, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, in dem sie ihre Vollzeitstelle auf 80 oder 90 Prozent der Arbeitszeit reduzieren. In Stunden gesprochen sind das statt 40 nur noch 32 oder 36 Stunden.
2) Es soll die Partnerschaftlichkeit bei Elternpaaren stärken, denn es wird nur gewährt, wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren. Allein- oder Getrennterziehende können es jedoch auch in Anspruch nehmen.
3) Es soll die finanziellen Verluste durch die Arbeitszeitreduzierungen abfedern. Pro Familie sollen 300 Euro ausgezahlt werden, bei Paaren 150 pro Person. Alleinerziehende sollen den vollen Satz von 300 Euro erhalten. Das Familiengeld kann insgesamt für 24 Monate bezogen werden und die können bis zum achten Lebensjahr des Kindes verteilt werden.
Was bringt das Familiengeld?
Auf den ersten Blick ist der Vorstoß von Manuela Schwesig gut. Sie verfolgt damit weiter ihr Ziel, Eltern, und zwar Müttern und Vätern gleichermaßen, mehr Zeit mit ihren Kindern zu ermöglichen und etwaige finanzielle Nachteile aus dem Weg zu räumen. Doch schon die Ankündigung, dass das Familiengeld in Teilzeit arbeitende Eltern unterstützen solle, wirkt schief. Denn kann man bei 80 oder 90 Prozent einer Vollzeitstelle wirklich von Teilzeit sprechen?
Rechtlich betrachtet handelt es sich um Teilzeit. Wer weniger arbeiten möchte, kann das in seinem Unternehmen beantragen, ein entsprechendes Gesetz regelt die Voraussetzungen. So muss eine Person, die Teilzeit arbeiten möchte, mindestens schon seit sechs Monaten in dem Betrieb gearbeitet haben und das Unternehmen mindestens 15 Mitarbeiter beschäftigen – Auszubildende werden hierbei nicht mitgezählt. Außerdem muss der Wunsch, die Stunden zu reduzieren, drei Monate im Voraus angekündigt werden. Ablehnen darf der Arbeitgeber nur, wenn betriebliche Gründe dagegensprechen, etwa dass Betriebsabläufe stark beeinträchtigt oder hohe Kosten entstehen würden.
Im Gesetz ist außerdem geregelt, dass Angestellte aufgrund ihrer Teilzeittätigkeit keine beruflichen Nachteile erfahren dürfen. Doch stimmt das so in der Praxis? Die deutsche Unternehmenskultur ist relativ starr, flexible Arbeitszeitmodelle etablieren sich nur langsam, während Frauen aufgrund von Teilzeittätigkeiten ins berufliche Abseits geraten und weniger Karrierechancen haben, werden Männern ihre Wünsche nach Flexibilität oft gar nicht erst gewährt.
„Dass es dennoch wahnsinnig viele Hürden gibt, wenn ArbeitnehmerInnen in Teilzeit gehen wollen, und dass sie von ArbeitgeberInnen oft dafür ,bestraft’ werden, ist leider auch eine Tatsache. Aber das ist gesetzlich kaum zu regeln. Da muss etwas in den Köpfen und in den Herzen passieren, da muss sich die gesamte Gesellschaft verändern.“
Ruth, Mutter von zwei Kindern
Das Familiengeld, das von einem Paar nur beantragt werden kann, wenn beide Elternteile ihre Arbeitsstunden reduzieren können, ist aus dieser Perspektive schon weniger praxistauglich. Denn: Wie viele Eltern werden es schaffen, dass sie beide in einer 80-Prozent-Stelle arbeiten?
Das Familiengeld wäre somit vermutlich eine Leistung, die vor allem bei Familien ankäme, deren Jobs in modernen, flexiblen Unternehmen sind. Und das sind Jobs, die vor allem in der oberen Mittelschicht liegen. Brauchen diese Familien 300 Euro extra im Monat?
Welche Familien würden davon profitieren?
In der Diskussion, die ich dazu auf Facebook angestoßen habe, sagt eine Mutter: „Oft ist 80 Prozent gar nicht so wenig Geld, weil man so die Kosten für die Kinderbetreuung, die bei einer 100-Prozent-Stelle ab 16/17 Uhr oft privat geregelt werden muss, spart.“ Das stimmt natürlich. Sobald beide Eltern 80 Prozent arbeiten, könnte es gelingen, dass sie das oder die Kinder selbst aus der Kita oder von der Schule abholen, und Kosten für Babysitter, Nanny oder Hort einsparen. Ich bezahle selbst aktuell 400 Euro im Monat dafür, dass eine Babysitterin unser Kind mehrfach in der Woche aus der Kita abholt. Die Kitagebühr kommt noch einmal oben drauf.
Doch käme ein Familiengeld, das einkommensunabhängig gezahlt würde und von dem also Familien mit niedrigeren Einkommen mehr profitieren würden, bei diesen Familien an? Eine andere Frau meint auf Facebook dazu: „Für geringqualifizierte ,Männer‘-Jobs sehe ich in der Mehrzahl der Betriebe nicht die notwendige Flexibilität, sich auf ,große Teilzeit‘ einzulassen.“ Sie hält das Modell aber auch für Hochqualifizierte praxisfern und ergänzt: „Für Hochqualifizierte reichen aus meiner Sicht 300 Euro pro Monat nicht aus, um sich in der Mehrzahl der Firmen freiwillig ins berufliche Abseits zu stellen. Und diejenigen, die freiberuflich oder in modernen Firmen arbeiten, werden es ohnehin für sich passend organisieren, auch ohne Zuzahlung. Um ein kulturelles Umdenken in der Breite zu erreichen, werden die Fallzahlen zu gering sein.“
Und damit trifft sie einen weiteren Punkt: Die Bundesregierung vergisst wieder einmal die Selbstständigen, die schon bei Mutterschutz und Elterngeld enorme Probleme haben und unzureichend unterstützt werden. Vom Familiengeld haben sie wieder einmal nichts.
Wie viel Zeit für Kinder lässt eine 32-Stunden-Woche?
Bemerkenswert ist aus meiner Sicht außerdem, dass die Untergrenze für „Teilzeit“ bei 80 Prozent liegen soll. Eltern, die zum Beispiel beide in 50-Prozent-Stellen arbeiten, viel Zeit für ihre Kinder aufbringen und auf viel Gehalt verzichten, gehen im ersten Modell des Familiengelds leer aus. Ihre Familienorientierung und Partnerschaftlichkeit wird nicht belohnt, dabei könnten sie Vorbilder für moderne Familienbilder sein. Denn seien wir ehrlich: Wer das Kind um 16 oder 17 Uhr aus der Kita holt, hat nicht mehr wirklich viel Zeit mit dem Kind: Man geht nach Hause oder noch gemeinsam einkaufen, es gibt Abendessen und eine Gute-Nacht-Geschichte. Obwohl ich meine Tochter selbst auch zwei Mal in der Woche aus der Kita abhole, sind mir die Wochenenden heilig. Die Zeit mit ihr ist mir unter der Woche viel zu wenig, obwohl ich nicht 40 Stunden am Schreibtisch verbringe, sondern flexibel und zusätzlich abends im Homeoffice arbeite.
Mütter sehen das Konzept des Familiengelds dennoch unterschiedlich, so sagt eine Berliner Mutter von zwei kleinen Kindern: „Ich finde es einen (weiteren) Schritt in die richtige Richtung. Natürlich bleiben viele Themen offen, natürlich ist das eine Maßnahme, die eher die obere Mittelschicht anspricht. Aber die soll ja auch mehr Kinder bekommen und beschwert sich immer über zu wenig Zeit für die Familie. Ich fände andere Dinge auch wichtiger, wie den Ausbau und die Verbesserung von Betreuungsplätzen, aber – wurde ja schon gesagt – das ist eben nun mal primär Ländersache (finde ich übrigens total doof). Letztendlich ist es aber eine recht einfache Maßnahme zur Entlastung von arbeitenden Eltern, und für mehr 50:50 – deshalb: not so bad!“
Eine andere kritisiert hingegen: „Ich sehe es als realitätsfern, wenn man es sich genauer anschaut. Was mich als Kinderreiche ja auch immer stört, dass diese Konzepte nur für Kleinfamilien gedacht sind. Mit mehr als zwei Kindern hat man entweder sowieso nicht die Möglichkeit, 80 bis 90 Prozent zu arbeiten – oder man hat die Nanny eh und so hohe Ausgaben, dass man sich sicher nicht für 300 Euro Jobchancen versaut.“
Mein Eindruck, nachdem ich mit ein paar Dutzend Eltern über das Familiengeld gesprochen habe: Wirklich brauchen tun die meisten – sie stammen überwiegend aus der Mittelschicht, viele davon getrennt erziehend, aber mit guten Jobs – das Familiengeld nicht. In der Diskussion kommt das Gespräch schnell auf den Zugang zu guter und flexibler Kinderbetreuung und sehr viel Kritik an der oftmals starren Unternehmenskultur in Deutschland, die schon Männer und Frauen, die nur magere(!) 80 Prozent arbeiten möchten, beruflich nicht mehr für voll nimmt. Wie war das noch gleich mit Fortschritt?
Sehr viele Eltern sind außerdem – wie in den letzten Jahren auch immer wieder in großen Zeitungen und eigenen Büchern zum Thema „Geht alles gar nicht“ geäußert wurde – der Meinung, dass Vereinbarkeit eine Utopie ist. Ein Vater, der wie seine Frau auch auf einer 75-Prozent-Stelle arbeitet und mit ihr zwei Kinder hat, erzählt dazu:
„Ich bin ich immer weniger überzeugt davon, dass diese Vereinbarkeit von Beruf und Familie-Nummer hier und heute überhaupt funktioniert. Am Ende von den zwei Dreivierteljobs und nach dem Wegorganisieren der Kinder in Betreuungseinrichtungen bleibt immer noch soviel Haushalt und Familienorga, dass Liebe, Zuneigung, Erholung und Selbstsorge nicht mehr angemessen Platz haben.“
Und kein Geld der Welt kann einspringen, wenn diese Dinge fehlen.
Wie profitieren nun Alleinerziehende vom Familiengeld?
Manuela Schwesig hat in ihrer ersten Legislatur als Familienministerin immer wieder neue Konzepte präsentiert, die Modernität versprechen und medienwirksam aufgegriffen werden. Es handelt sich jedoch immer um Themen, die moderne, intakte Familien ansprechen. Viel zu wenig getan hat auch sie – obwohl Sozialdemokratin – für allein- und getrennt erziehende Eltern, queere Familien und andere, die noch keine gleichen Rechte haben oder Diskriminierung erfahren.
Im Familiengeld sind Alleinerziehende mitgedacht und auf den ersten Blick könnten auch sie besonders davon profitieren, denn ihnen wir bei einer 80- oder 90-Prozent-Stelle die Zuzahlung von 300 Euro komplett garantiert. Für eine Frau, die in einem Vollzeitjob beispielsweise 3.000 brutto verdient, ihre Stelle um zehn Prozent reduziert und dann 300 Euro Zuschlag bekommt, würde das im Nettoeinkommen sogar ein Plus bekommen – bemerkenswert, dass rechnerisch mehr Geld als vorher dabei herauskommen könnte.
Andererseits sind politische Lösungen überfällig, die alle Alleinerziehenden signifikant entlasten. Denn in Vollzeit oder vollzeitnah in der Gruppe der Alleinerziehenden mit jüngeren Kindern bis etwa zehn Jahre arbeiten nur 30 bis 40 Prozent der Mütter, die überhaupt berufstätig sind. Der Anteil der Alleinerziehenden, die in Vollzeit beschäftigt sind, gerechnet auf alle Menschen in dieser Familienform, liegt, wenn man die Erwerbslosen hinzurechnet, dann nur noch bei etwa 20 Prozent. Schwesigs Modell schließt folglich 80 Prozent der Alleinerziehenden vom Familiengeld von vornherein aus, und von den übrigen, die sich überhaupt für das Familiengeld qualifizieren, wird dann nur noch ein Anteil im einstelligen Bereich übrig bleiben.
Das Familiengeld ist eine Chance für einen Minimalanteil der Alleinerziehenden, man kann auch sagen, wer es als Alleinerziehende in Anspruch nehmen kann, hat wirklich Glück. Denn im Kern ist es nicht für diese Familienform gemacht. Gar nicht. Manuela Schwesig bleibt also auch im dritten Jahr ihrer Tätigkeit als Familienministerin eine Antwort schuldig, wie Familien, in denen die Eltern nicht mehr zusammenleben oder nur ein Elternteil sich um die Kinder kümmert, unterstützt werden können und sie und ihre Kinder vor Armut bewahrt werden können. Schwesig wird oft zitiert: „Wir wollen kein Kind zurücklassen.“ Wer keine guten politischen Angebote für Alleinerziehende macht, tut aber genau das.
Ja, Manuela Schwesig macht viele Vorschläge für Familien, denen es ohnehin materiell sehr gut geht und die eher unter „Zeitarmut“ leiden, ich finde im sozialdemokratischen Kontext aber so viel wichtiger, dass andere Familien schnelle und unbürokratische Hilfe bekommen, und an der Front hat auch Schwesig zu wenige Ideen.
Das Familiengeld wirkt auf den ersten Blick „sexy“, weil es neu ist und 2016 noch immer revolutionär erscheint, die 40-Stunden-Woche in Frage zu stellen. Wenn Manuela Schwesig nach ihrer Amtszeit eine gute Bilanz ausgestellt werden soll, muss sie jedoch noch einige Ideen mehr präsentieren, die zeigen, dass sie Familienpolitik ganzheitlich, inklusiv und sozial gerecht denken kann.
Titebild: Mateus Lunardi Dutra – Flickr – CC BY 2.0
Mehr bei EDITION F
Wie Politik und Gesellschaft Alleinerziehende und ihre Kinder im Stich lassen. Weiterlesen
Teilzeit-Chefs: volle Kraft mit 70 Prozent? Weiterlesen
Schluss damit! Warum Unternehmen endlich aufhören müssen, Mütter beim Wiedereinstieg zu schikanieren. Weiterlesen