Foto: Gabriel Benois |Unsplash

Oh so sensibel: Über das Bild der fragilen Frauen, die stets bemüht sind, ihre innere Leere zu füllen

Wie sind Frauen, wie sind Männer? Was eigentlich nicht allgemeingültig zu beantworten ist, bricht der Autor Michael Nast nun einmal mehr auf das Bild der fragilen Frau und dem abgestumpften Mann herunter. Und zeigt mit seinen Thesen, warum gerade diese Geschlechterbilder so nicht stimmen können.

 

Frauen und das Bild der zarten Trauerweide

Die emotionale Fragilität von Frauen ist ja eine besonders schwerwiegende Eigenschaft: Sie hindert uns daran, im Job rational zu bleiben und andere Frauen nicht nur als Konkurrentinnen wahrzunehmen, die wir einstampfen müssen, um selbst zu überleben. Sie lässt uns unsere Sorgen in zu viel Wein ertränken und füllt den Warenkorb im Onlineshop schneller als wir „Ersatzbefriedigung“ sagen können. Sie führt dazu, dass wir nah am Wasser gebaut sind und macht uns so wahnsinnig empfänglich für jeden Missstand innerhalb der Gesellschaft, die das andere Geschlecht nur schwer ausmachen kann. Natürlich übernehmen wir auch deshalb liebend gerne den Hauptteil an emotionaler Arbeit innerhalb von Beziehungen, weil Männer einfach zu stumpf dafür sind, um die zarten Schwingungen mitzubekommen, die wir feinfühligen Wesen so genau wahrnehmen und identifizieren können. Sie treibt uns vermehrt in therapeutische Praxen und macht uns weich, wo wir stark sein wollen. Fragil, wir sind so fragil. Ach ja.

So zumindest kann man übersetzen, was der Autor Michael Nast in einem Interview mit Bento, über sein neues Buch Egoland, als sein Frauen- und Männerbild beschreibt. Auf die Frage, warum die meisten Frauen in seinem Buch psychische Probleme haben, antwortet er etwa, dass das weibliche Geschlecht eben wesentlich fragiler sei als das männliche, das decke sich auch mit seinen Beobachtungen in der Realität – Frauen Mitte 20, die er früher gedatet hat, hätten eigentlich alle eine Therapie hinter sich gehabt. Einerseits sicherlich, so vermutet er, weil eine Therapie salonfähiger geworden sei, aber wahrscheinlich auch als Reaktion auf unsere Gesellschaft. Zudem sei es so, dass Frauen häufiger eine Leere in sich füllen müssten, weil sie empathischer seien als Männer – was dann eben gerne über maßloses Shopping austariert würde.

„Ich glaube, das weibliche Geschlecht ist wesentlich fragiler als das männliche. Es reagiert eher auf das, was in der Gesellschaft nicht stimmt. Shopping ist ein super Beispiel dafür.(…) Ich wage mal die These, dass Frauen öfter die Leere in sich füllen müssen, weil sie fragilere, empathischere Menschen sind als Männer.“

Männer dagegen seien vielleicht etwas stumpfer – und das vielleicht (!) auch, weil sie privilegierter sind, mutmaßt Nast mutig. Aber Frauen könnten die „besseren Menschen“ sein, wenn sie die Ellenbogen endlich mal einfahren würden. „Ich glaube tatsächlich, obwohl ich ein Mann bin, dass Frauen die besseren Menschen sein können, in ihrer Veranlagung – wenn man mal die Stutenbissigkeit außer Acht lässt.“

Ein Flickenteppich der Stereotype

Es ist ein Interview, dass sich als Flickenteppich der üblichen Stereotype zeigt, die aus Frauen das schwache Geschlecht machen, das einen steten Mangel auszugleichen hat und aus Männern jene, deren Defizite sich in der Überbereitschaft zu Konkurrenz und Kampf zeigen – und sei es nur dem um den eigenen Stolz. Denn auch diese Idee von Männlichkeit zeichnet Nast bereitwillig nach. Und es zeigt das Verständnis eines Egolandes, in dem nach Lektüre seines Interviews nur ein Ego Platz zu haben scheint: das der Männer. Denn Frauen sind einfach viel zu sehr damit beschäftigt, nach den emotionalen Lücken zu suchen, die gefüllt werden müssen und gieren so sehr nach Ersatzbefriedigung, um den schlimmen Alltag zu vergessen, dass sie an anderen Stellen nichts mehr zu sagen haben. Die Männer kümmern sich um die wichtigen Dinge.

Interessant an den Ansichten von Michael Nast ist nicht einmal das klischeegespickte Männer- und Frauenbild. Denn sobald man begriffen hat, dass die Veränderung von Geschlechterrollen keine lineare Bewegung ist, überraschen diese Gedanken auch von einem Mann mittleren Alters wie ihm nicht mehr sonderlich. Bemerkenswert ist vielmehr, wie er selbst den eigenen, privilegierten Status als die mental weniger fragile Position wahrnimmt. Wer Privilegien hat, hat schließlich einiges zu verlieren. Und bemerkenswert ist auch das Bild von Frauen als vermeintlich fragilere Wesen, die zeitgleich empathischer sein sollen und dennoch mit dem Zustand einer inneren Leere leben. Beide Bilder hinken. Denn die Frage ist doch die: Wie viel Stärke steckt wirklich in jemandem, der gesellschaftlich weniger Hürden nehmen muss und sich trotzdem nicht aus der Komfortzone bewegen kann – und sich am Ende nur um sich selbst dreht? Wie fragil ist ein Mann, der aus einer extrem bequemen gesellschaftlichen Position heraus nicht ein Mehr an Empathie aufbringen kann? Wie stabil ist ein Geschlechterbild, dass sich keinen Deut bewegen möchte, weil es sonst zerbricht?

Auch Privilegien machen verletzlich

Wo zeigt sich bei jenen Männern, wenn wir dieses Bild von Nast einmal annehmen, das Mehr an emotionaler Stabilität im heteronormativen Geschlechterkosmos, wenn ihnen gegenüber so viele Frauen stehen, die die Stärke dafür haben, auch aus einer weniger privilegierten Situation noch ein Mehr an emotionale Arbeit im Privaten und auch im öffentlichen Raum auf sich zu nehmen? Frauen, die auf- und erklären, die sich engagieren, die Finger in die Wunde legen – eben weil sie weniger privilegiert sind. Erzählen sie vom schwächeren Geschlecht? Von den Trümmerfrauen will ich nun gar nicht anfangen. Vielleicht hilft es eher, die Trümmerfrauen im Netz zu erwähnen, die versuchen, den sich gerade zeigenden gesellschaftlichen Backlash die Stirn zu bieten. Dass das Kraft kostet: geschenkt. Dass das müde machen kann, ebenso. Aber eine Leere zu füllen, sich durchtherapieren lassen zu müssen, weil alles so sehr auf unseren zarten Seelen doppelt lastet, sich zufrieden zu shoppen, weil doch alles andere so unfassbar kompliziert und nervenzehrend ist, davon erzählen sie sicher nicht.

Am Ende geht es auch um das ewige Missverständnis, Verletzlichkeit mit Schwäche gleichzusetzen und weiche Anteile als zu vermeidbare Angriffsfläche zu verstehen. Und es geht um die Annahme, Stärke fälschlicherweise mit Männlichkeit zu übersetzen sowie Emotionalität nur in Bezug zum Weiblichen zu denken. Dass der Beginn einer Therapie kein Zeichen von Schwäche, sondern Selbstermächtigung ist, davon muss man wohl gar nicht anfangen. Gerade ein männlicher Kosmos, der allein von Erfolg, Macht und Durchsetzungskraft zusammengehalten wird, macht das heteronormative Männerbild so unfassbar viel fragiler als jenes der Frauen, die sich durch Emanzipation ein Stück mehr Freiheit für ihre Identität erkämpft haben.

Wo bleibt die Emanzipation der Männer?

Wie schwerwiegend sich diese Idee männlicher Identität auswirken kann, kann man im Übrigen auch gerade sehr gut am nationalen und internationalen politischen Geschehen beobachten. Denn aus fragiler Männlichkeit kann sich schnell eine toxische entwickeln. Ein ego-getriebener Mensch, der sich nur innerhalb engster Bahnen wahrnehmen kann, ist offensichtlich fragiler als es einer, der sich als Teil eines Systems begreift, für das man einstehen kann und will. Wie ein Umdenken darin beginnen kann, das hat sie Künstlerin G.D. Anderson mal folgenderweise auf den Punkt:

„Beim Feminismus geht es nicht darum, Frauen stärker zu machen, Frauen sind bereits stark. Es geht darum, zu ändern, wie die Welt diese Stärke wahrnimmt.“

Diese Veränderung von der Wahrnehmung von Attributen würde sich auch jedem Mann als emanzipatorischer Akt anbieten – aber bis eine Mehrheit dazu bereit ist, die dann auch endlich an den althergebrachten Normen rütteln kann, bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg. Zu verlockend ist es, die Welt in Einsen und Nullen zu denken.

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