Die Wahl ist gelaufen. Und viele fragen sich, was sie zu bedeuten hat. Ein wunderliches Wesen geistert durch die Schlagzeilen: der Ostmann. „Wer ist das eigentlich und was ist das Problem mit ihm?“, fragt sich Community-Autor Johannes Staemmler.
Gedanken eines Ostmannes über die Bundestagswahl
Selten bin ich medial so direkt angesprochen worden wie in den letzten Tagen. Die BILD titelt am 27. September: „Darum sind Ost-Männer so wütend”, die Berliner Zeitung am 24. September so ähnlich: „AfD in Sachsen vorne. Ostdeutsche Männer wählten den Rechtsruck im Bundestag.”, die Welt schreibt am 26. September: „Die Sorge der Männer im Osten.”
Ich bin 1982 in Dresden geboren und lebe seit 2006 in Berlin. Qua Geburtsort und Geschlecht qualifiziere ich mich als Ostmann. Lange habe ich versucht meine Herkunft in Gesprächen zu verschleiern, weil es unangenehm war, in die vorurteilsbeladenen Diskussionen über Sprache und Habitus einzusteigen. Doch damit habe ich meinen Frieden geschlossen und liebe es mittlerweile sogar, meinen nichts ahnenden Gegenüber damit zu erschrecken, ihn nach dem jovialen Ossiwitz meine tatsächliche Herkunft zu verraten.
Ich bin auch ein Mann, der bewusst und unbewusst seine Identität als solcher sucht. Vor Kurzem bin ich Vater geworden. Dadurch hat sich alles verändert. Das Kind wächst und wächst und ich widme ihm viel Zeit. Erst langsam entsteht ein neues Bild in mir darüber, was es heißt Mann zu sein.
Der Ost-Mann als Problemwähler
Nun lese ich vom wütenden Ostmann, der immer noch autoritär geprägt und seit den 1990er-Jahren frustriert ist. Die Frauen sind ihm in den Westen weggelaufen, dafür bekam er halbseidene Glücksritter und Versicherungsvertreter. Wenn er Arbeit hat, dann ist sie befristet und schlecht bezahlt. In seinem Umfeld sieht es ähnlich aus. Der Ost-Mann hat viele Probleme und ist nun, weil er tatsächlich wählen gegangen ist, ein Problem für alle.
Vieles davon ist richtig – und in seiner Summe doch Quatsch. Kategorische Zuschreibungen dieser Art fassen „das Problem“ unzureichend und versuchen es auch noch in die Plattensiedlungen und ins Erzgebirge abzuschieben, weil man es damit los zu werden glaubt. Es ist auch politisch zweifelhaft, denn dadurch wird nur mehr Frustration erzeugt, die sich wahlweise gegen Fremde, Frauen, Westdeutsche, Weggezogene oder Politiker richtet. Und an mir selbst merke ich, wie leid ich es bin, als Ostdeutscher jede vermeintlich ostdeutsche Besonderheit erklären zu müssen.
Krise traditioneller Männlichkeit
Etwa zwei Drittel der AfD-Wähler sind Männer – in Ost und West. Dieser Spur möchte ich für einen Moment folgen. Ich möchte die Hypothese formulieren, dass wir es mit einem Ausdruck nicht mehr funktionierender Rollenbilder zu tun haben, gerade auf Seiten der Männer.
Das von der arbeitsteiligen Moderne geprägte Männerbild idealisiert den versorgenden Familienvater, der den materiellen Rahmen für die fürsorgende Mutter mit den Kindern schafft. Die Männer haben als Jungen gelernt, dass eine ihrer Haupteigenschaften das Nichtbeachten eigener Gefühle ist. Ihre eigenen Väter waren ihnen darin exzellente Vorbilder. Ihre Männlichkeit drückt sich durch Kraft, Trinkfestigkeit, Schweigen, sexuelle Bereitschaft und gelegentliches Über-die-Stränge-Schlagen aus. Alles was den Anschein erweckt, nicht männlich zu sein, wird abgelehnt. Wer kennt das diffamierende „das ist schwul“ vom Schulhof nicht als eine der schärfsten verbalen Waffen der Degradierung. Viele Männer versuchen nach wie vor diesem Bild zu entsprechend, um Rollenkonflikte zu vermeiden.
Diese traditionellen Männerrollen stehen aber schon seit langem unter Druck und stellen Männer allgemein vor die Herausforderung, trotz fehlender Vorbilder eigenständige Entwürfe ihres Mann-Seins zu entwickeln. Allein die Veränderung des Arbeitsmarktes, der weniger Industriejobs bereithält und auf den die Frauen drängen, setzt das Modell des Familienernährers erheblich unter Druck. Häufig gelingt es nur unzureichend, ein eigenes und vor allem konsistentes Bild vom eigenen Mann-Sein zu entwickeln, was man an der Vielzahl relativ traditioneller Familien sieht. Auch die aufbrausende Ablehnung des „Gender-Wahns“ und des Feminismus kann als Ausdruck männlicher Bedrängtheit gelesen werden.
Die alten Rollen wieder herstellen
Das Ergebnis der Bundestagswahl lässt sich auch als der Versuch einer Wiederherstellung der Geschlechterrollen des 20. Jahrhunderts interpretieren. Die AfD jedenfalls bietet diese den Wählern in verschiedenen Varianten an. Sie stellt mehrheitlich männliches Personal auf und hat bis auf Alice Weidel kaum noch Frauen in ihren Führungsriegen.
Im Wahlkampf wurde vor allem die Bundeskanzlerin Merkel als Quelle der deutschen (der männlichen?) Krise dargestellt. „Hau ab“, war der Schlachtruf der Störer im Wahlkampf überall dort, wo Merkel auftrat. Sich von einer Frau sagen zu lassen, die eignen Kräfte zur Integration Hilfesuchender einzubringen, war für den kriselnden Mann zu viel. Auch das Lob der Deutschen Soldaten (Gauland) ist eine Figur, die dezidiert die männlichen Tugenden hervorheben soll.
Die AfD betreibt keine dezidierte Männerpolitik. Aber ihr Auftreten weckt männliche Hoffnungen, wieder die „natürliche“, die überlegene Position einzunehmen. Diese ist längst verloren, weil weder die alte Geschlechter – noch die industrielle Wirtschaftsordnung wieder hergestellt werden kann – und das ist auch gut so, denn im Endeffekt profitieren auch Männer von einer freieren Gesellschaft. Aber der Wunsch nach männlicher Dominanz ist virulent und er wird nun auch politisch bedient.
Traditioneller Mann, was nun?
Der Ost-Mann wirkt wie eine gereizte Bestie, die in ihrer Würde verletzt und aus Mangel an Alternativen in den Kampf zieht. Aber er ist beileibe nicht der einzige Mann, der sich eine andere Ordnung herbeisehnt. Der Ostmann ist nur der lautesten unter den Männern mit kriselnder Identität.
Aber das letzte, was ihm hilft, ist ein fürsorgliches Über-den-Rücken-Streicheln. Er hat keine andere Wahl, als sich aufzulehnen gegen eine Gegenwart, in der er sich sozial, kulturell und sogar sexuell impotent fühlt. Soll er machen! Er wird sich daran die Zähne ausbeißen, bis er merkt, dass er sich selber positiv definieren muss. Dazu gehört auch, seine Würde als Mensch nicht allein durch den Ausdruck männlicher Potenz sicherzustellen.
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