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Gleichberechtigung: Nein, Nettsein hilft Frauen nicht – aber lauwarme Ratschläge auch nicht, Frau Giffey!

In ihrer Rede auf einer Bundeskonferenz der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in der Nähe von Karlsruhe hatte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey für junge Frauen einen Rat: Mit Nettsein kommt man nicht weit. Schön und gut – aber wie wäre es, wenn die Politik denn Ball nicht weiterspielt, sondern selbst ihre Hausaufgaben macht?

 

Gleichberechtigung: Macht ihr mal!

Wie sieht es mit der Gleichberechtigung in unserem Land aus? Die Bundesfamilienministerien Franziska Giffey bewertete das auf der 25. Bundeskonferenz der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in Rheinstetten bei Karlsruhe folgendermaßen: Gleichberechtigung sei auch hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts nicht selbstverständlich und gerade jungen Frauen will sie mitgeben, sich zu engagieren. „Mit Nettsein kommt man nicht immer sehr weit.“ 

Stimmt, ja. Und doch ist es ein Appell, der einen gewissen Nachgeschmack hinterlässt. Statt (jungen) Frauen zu sagen: Kümmert euch doch mal und traut euch, unbequem zu sein, würden sicher viele, gerade junge Frauen, gerne hören, was die Ministerin und ihre Regierungskolleg*innen denn ihrerseits für mehr Gleichberechtigung tun wollen. Denn so viele Frauen sind jeden Tag unbequem, engagieren sich, versuchen, für ihre Rechte einzustehen oder vielmehr, nicht in ihnen beschnitten zu werden – und doch stehen wir eben da, wo wir momentan stehen.

Wie auch nicht, denn liegt es tatsächlich an den „netten“ Frauen, dass der Fortschritt eine Schnecke ist, wie es die Ministerin formuliert? Liegt es am fehlenden Mut der Frauen, wütend zu sein, dass wir einen Gender-Pay-Gap haben, dass Frauen mit der gläsernen Decke zu kämpfen haben, dass Kinder für Frauen im Job zum Hindernis werden und für Männer nicht? Oder, dass Frauen insgesamt und insbesondere Alleinerziehende ein höheres Risiko für Altersarmut tragen? Liegt es an der Freundlichkeit der Frauen, dass es Ärzt*innen verboten ist, Frauen über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren oder dass Hebammen die Ausübung ihres Berufes schwergemacht wird? Liegt es an ihnen, dass nur ein Drittel der Abgeordneten im Bundestag weiblich ist? Dass große Medienhäuser in etwa in einem Verhältnis von etwa 80 zu 20 Prozent über Männer und Frauen berichten und Frauen so aus Diskursen ausschließen oder ihnen die Sichtbarkeit nehmen?

All das erzählt doch nicht etwa davon, dass Frauen einfach zu nett für die Welt sind, sondern davon, dass unsere Gesellschaft von patriarchale Strukturen getragen wird, die Sexismus bedingen. Dass der Fortschritt hier eine Schnecke ist, hat doch auch damit zu tun, dass sich die Politik scheut, wirklich einzugreifen. Etwa durch eine Frauenquote, die nicht nur angeraten, sondern festgesetzt wird. Natürlich ist es wichtig, dass wir uns alle engagieren – aber ist es wirklich richtig, eine Forderung an andere zu formulieren, wenn man selbst in einer Machtposition ist und selbst noch nicht genug Verantwortung für das Thema übernimmt? Zu viele Kompromisse zugunsten des Friedens in der Partei oder des*der Koalitionspartner*innen eingeht?

Gleichberechtigung fängt nicht erst bei der „Chefetage“ an

Zudem ist es wirklich müßig, im Kontext der Gleichberechtigung immer wieder zuerst das Thema der „Chefetagen“ zu bemühen. Ja, wir brauchen Gleichberechtigung auf Entscheidungsebene, aber was dabei ausgeklammert wird: Die Diskussion darüber geschieht in einem extrem privilegierten Kontext, ebenso wie die Aufforderung „nicht so nett“ zu sein. Sich zu wehren und sich zu erlauben, laut zu sein ist, auch das ist etwas, was meist vor allem aus einer privilegierten Position heraus möglich ist. Aus einer, in der klar ist, welche Rechte man hat, aus der klar ist, dass man nicht abgesägt wird, nicht marginalisiert, nicht diffamiert, nicht verleumdet, nicht für hysterisch, sondern für mutig deklariert wird, wenn man sich lautstark für sich einsetzt. Wie viele Frauen in Deutschland haben diese Position inne? Und wie nutzen sie sie? Gleichberechtigung beginnt nicht alleine oben in der Gesellschaft, nicht alleine in der Mitte.

Wer echte Gleichberechtigung will, muss Grundsätzliches ändern, damit alle Frauen der Gesellschaft profitieren, muss mit Veränderungen beginnen, die alle Frauen starkmacht. Und das heißt in erster Linie: Frauen durch eine bessere Bezahlung, Veränderung von Steuergesetzen für Alleinerziehende und eine ernstzunehmende Entlohnung von Care-Arbeit aller Art, die mehrheitlich bei Frauen liegt, unabhängiger zu machen. Und natürlich jenen eine Stimme geben, für jene einzustehen, die (noch) keine haben, die sich nicht trauen, als unbequem aufzufallen, weil auch das ihnen wieder angekreidet würde.

Bevor also noch einmal nett gemeinte Ratschläge die Runde machen, die den Ball von den Verantwortlichen wegspielt: Wie wäre es, wenn all die Frauen und Männer, denen das Thema Gleichberechtigung am Herzen liegt und die Teil dieser Bundesregierung sind, sich mal mit aller Ernsthaftigkeit entsprechenden Themen widmen? Und nicht vergessen: dabei bitte nicht so nett sein zu Parteikolleg*innen und keine falschen Kompromisse mit Regierungspartner*innen schlucken, um den Frieden zu wahren. Denn damit kommen wir nun wirklich nicht weiter!

Und falls die Ideen fehlen, wo anzusetzen ist: Ein Blick in den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung gibt schon mal einiges an Aufschluss.

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