Busunternehmen und Logistikbetriebe suchen dringend Fahrer. Damit ÖPNV und Warenverkehr nicht bald zum Erliegen kommen, sollen nun Geflüchtete zum Brummi-Fahrer ausgebildet werden. Auch Frauen sind die neue Zielgruppe der verzweifelten Unternehmer.
Melanie Deuschle startete 2012 beim Unternehmen DU: willkommen in der Umwelt eine Lehre zur
Berufskraftfahrerin. Wie einst ihr Papa. Damit gehörte die Zellerin zu einer Minderheit, weniger als fünf Prozent aller Bus- und Brummifahrer sind weiblich, sagt eine Studie des ETM-Verlags. Weiteres großes Problem: Kraftfahrer sind im Schnitt 46 Jahre alt, etwa 40 Prozent sind älter als 50. Viele von ihnen werden in den nächsten Jahren in Rente gehen oder aus gesundheitlichen Gründen
ausscheiden. Der Nachwuchs ist aber spärlich.
Mehr Busfahrer ausbilden!
Den eklatanten Mangel an Busfahrern will ein Fahrlehrer aus Stuttgart beheben. Der Unternehmer will bis 2023 an bundesweit vier Standorten 200 Fahrlehrer beschäftigen, die zigtausende Migranten und klassische Umschüler ausbilden. Um diese Fahrlehrer zu bekommen, die derzeit oft branchenfremd arbeiten, wird Burkhard Mülln nicht wie branchenüblich 3200, sondern 4500 Euro bezahlen. Zudem bildet er dann im Zwei-Schicht-Betrieb aus, was den Fahrlehrern kompakte und damit attraktive Arbeitszeiten ermöglicht – und die Busse und Lkw besser auslastet.
„Nur“ an der Ausbildung liegt es aber gar nicht. Laut Umfragen hat der Beruf des Kraftfahrers einen zu schlechten Ruf – und daher zu wenige Bewerber auf offene Stellen. Lange Arbeitszeiten, oft über Nacht, weg von der Familie zu sein und schlechte Bezahlung bei dreckigen Fahrzeugen und langen, einsamen Strecken – das sind die Vorurteile gegenüber dem „Sitz auf dem Bock“. Dass Fahrerkabinen heute Palästen ähneln, Massagesitze, Betten mit Federkernmatratze und
überdurchschnittliche Gehälter winken, wissen die meisten nicht. Auch gibt es viele Fahrer, die nur Teilstrecken abdecken und abends, wie jeder andere auch, daheim bei der Familie sind.
Vorurteile gegenüber Beruf stimmen nicht.
Die Lösung, Langzeit-Arbeitslose und Migranten für den Job zu qualifizieren, sei ein guter Ansatz, aber nicht ganz unproblematisch: „Viele Teilnehmer sind nur bedingt belastbar oder tun sich enorm schwer mit der Sprache.“ Deshalb denkt der 57-Jährige Fahrschulinhaber an flankierende Maßnahmen. Das können Ehrenamtliche aus Kirchengemeinden sein, die die Umschüler sozial betreuen oder ihnen Nachhilfe in Deutsch geben; aber auch Busunternehmer, die im Rahmen ihrer
Möglichkeiten den Erfolg flankieren und die Kandidaten motivieren. „Wir sollten ein Interesse haben, dass diese Menschen in Arbeit kommen und damit die Volkswirtschaft stärken und die
sozialen Netze entlasten,“ so Mülln. Arbeit bedeute auch Wertschätzung und soziale Teilhabe an der Gesellschaft.
Unter den bundesweit 16.000 Fahrschul-Absolventen pro Jahr wächst die Gruppe der Migranten. Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (bdo), dessen Mitglieder im Schnitt 28 Fahrer beschäftigen, hat dieses Frühjahr erstmals eine Umfrage unter seinen Mitgliedern gemacht zum Thema Fahrermangel. Demnach bleiben in 78 Prozent aller Betriebe Lenkräder unbesetzt. Im Schnitt fehlen 2,2 Fahrer, was bundesweit 4415 Stellen entspricht. Zum Vergleich: Alle bdo-Mitglieder zusammen, beschäftigen 30.626 Fahrer, von denen zudem 54,6 Prozent älter als 50 Jahre sind. „Da rollt auch demographisch ein Problem auf uns zu,“ sagt Dr. Witgar Weber, Geschäftsführer des Württembergischen Verbandes wbo, dem 500 Betriebe angehören, die 70 Prozent der Branche repräsentieren. Allein im Südwesten fehlten den Mitgliedern 800 Fahrer. Und: Bundesweit haben
alle bdo-Betriebe zusammen gerade 802 Auszubildende für den Beruf des
Busfahrers, das sind 0,4 je Betrieb.
Fachkräftemangel: Fahrer gehen in Rente
Ähnlich sieht es bei den Lkw-Fahrern aus, von denen es laut Bundesverband Güterverkehr und Logistik (BGL) bundesweit 555.000 gibt. Jährlich scheiden demnach gut 30.000 Lkw-Fahrer aus und 16.000 kommen nach. „Mit 15,5 Prozent aller Lkw-Fahrer behelfen sich die Spediteure mit Arbeitskräften aus Osteuropa,“ sagt Mülln. Das sei wegen des lokalen Bezugs der Einsätze und des Publikumsverkehrs in deutscher Sprache bei den Busfahrern nicht möglich. Viele Arbeitgeber hätten vor diesem Hintergrund seit 2016/17 die Gehälter um 15 bis 20 Prozent erhöht, um
die Jobs attraktiver zu machen.