Wie Chefinnen die Anforderungen ihrer Mitarbeiter erfüllen müssen
Immer mehr Manager fühlen sich zum Umdenken gezwungen. In
Zeiten des Fachkräftemangels bestimmen die Wünsche der Mitarbeiter die Führungskultur. So fallen nach und nach die Hierarchien.
Mehr Kommunikation, weniger Macht
Komplett auf Hierarchie zu verzichten, geht Björn Lamprecht zu weit. Der Geschäftsführer des Anbieters von ganzheitlichen Energielösungen Goldbeck Solar bemerkt aber durchaus, dass seine Leute heute anders ticken als noch vor zehn Jahren. „Ja. Mitarbeiter haben steigende Ansprüche an ihre Chefs, beispielsweise was Mitsprache und Transparenz betrifft. Wir reagieren darauf
mit einem veränderten Führungsstil.“ Der Wunsch nach mehr Demokratie ist schon lange nicht mehr nur Thema der Generation Y. Denn auch die Über-35-Jährigen kennen ihren Wert als Arbeitskraft. Hat ein Unternehmen viele offene Stellen, muss es sich nach den Wünschen der Jobinhaber richten. Auch wenn diese mit einem Mehr an Kommunikationsaufwand und einem Weniger an Macht einhergehen. Genau das meint Lamprecht nämlich, wenn er von
transparenten Entscheidungen spricht. „Wir machen heute nicht mehr nur Ansagen, sondern wir müssen unsere Strategie auch erklären“, weiß der 51-Jährige. Der Vorteil an dieser Vorgehensweise sei, dass seine Belegschaft mehr wissen und mehr verstehen wolle. „Das macht letztlich jeden Einzelnen zu einem Unternehmer im Unternehmen“, weiß der gebürtige Schwabe, der seit 2012 beim Solarunternehmen arbeitet. Auch wenn intensive Absprachen den Aufwand erhöhen, profitiert das Energie-Unternehmen enorm davon, Arbeitnehmer zu involvieren. „Beispielsweise nutzen wir bei der Ideenfindung das Wissen im Betrieb. Quasi als Schwarmintelligenz.“
Mitarbeiter als Schwarmintelligenz nutzen
Neue Management-Methoden nehmen in der Projektarbeit einen höheren Stellenwert ein, so eine Studie des Personaldienstleisters Hays und der PAC-Unternehmensberatung aus dem vergangenen Jahr. Bereits zwei Drittel der befragten Unternehmen halten Agiles Management für wichtig und 40 Prozent nutzen es sogar zu Teilen. Allerdings gibt es Widerstände: Konkurrenzdenken einzelner Fachbereiche verhindert vernetztes Handeln (72 Prozent). Auch die geringe Akzeptanz bei den Mitarbeitern (55 Prozent) steht der Veränderung im Weg. „Technisch gesehen ist die Industrie 4.0 relativ weit“, urteilt Frank Schabel. Doch die Firmenkultur entwickle sich nicht parallel, beobachtet der Hays-Sprecher. Drei Aspekte seien wichtig. Zum ersten benötigen Unternehmen eine andere Art von Führung – eher einen Coach und Moderator, der nicht mehr fachlich führt. Zum zweiten bedürfe es einer hohen Flexibilität und einer ausgeprägten Lernkultur. Und zum dritten müsse in Unternehmen transparenter kommuniziert und die Mitarbeiter stärker einbezogen werden. Den Dreh bekommen Unternehmen nicht durch Leitbilder hin, die oft auch noch von der Führungsebene „verordnet“ werden, findet Schabel. Erfolgreicher sei eine Strategie der kleinen Schritte: angefangen von flexiblen Arbeitszeiten, bis zum Vorstand, der in der Caféecke ansprechbar ist oder einem kollektiven Bonus. „Die Mitarbeiter müssen die Transparenz und Authentizität spüren“.
Mentoring statt Hierarchie
„Machtorientierte Führung hat ausgedient“, konstatiert Johannes Woithon. Er
hat die Software orgavision entwickelt, mit der Unternehmen eigentlich bloß
ihre Dokumente lenken. Doch mit diesem Tool geht auch ein Wandel in der
Firmenkultur einher, wie der Geschäftsführer beobachtet. Den Auslöser des
starken Mitentscheidungsdrangs der jungen Generationen sieht der 48-Jährige in der Digitalisierung. „Web 2.0-Techniken, die im Privaten selbstverständlich
sind, stellen alte Beziehungsmuster zwischen Chefetage und Mitarbeitern in
Frage“, meint er. Denn das Internet bestehe nicht aus Stufen – sondern aus
Knoten. An diesen treffen Ideen, Impulse, Wissen, Innovationen, Mitarbeiter und
Führungskräfte aufeinander und tauschen Informationen aus. „Und weil sich
Informationsflüsse noch nie kontrollieren ließen – wir denken an den guten,
alten Flurfunk – ist die Essenz einer werteorientierten, vernetzten und
digitalen Führungskultur Vertrauen“, erläutert der Experte. Die richtigen
technologischen Strukturen unterstützen partizipative Führung und machen sie
erlebbar, so seine These. In seiner Software treffen deshalb Prinzipien der
sozialen Medien auf Dokumententenablage. Verändert sich ein Prozess – etwa in
der Produktion – werden betroffene Mitarbeiter per Nachricht informiert und
können wie bei Facebook & Co direkt über Kommentar- und
Bewertungsfunktionen reagieren. Der Dokumentersteller sieht das. So kann er
Bedenken, Vorschläge oder Korrekturen seiner Kollegen miteinbeziehen. Diese
Features ermöglichen eine Kulturrevolution. Statt wie üblich, von oben zu
regieren, können von der Aushilfskraft bis zum Vorstand alle an
Arbeitsprozessen mitgestalten. Engagierte Mitarbeiter sind sichtbar,
Entscheidungen nachvollziehbar.