Unsere Redakteurin wundert sich über die Transfeindlichkeit mancher Menschen und blickt mit Sorge auf derzeitige Entwicklungen. In ihrer Voices-Kolumne erklärt sie, weshalb wir uns alle mit diesem Thema auseinandersetzen sollten.
Ich war am Wochenende zu Besuch in meiner Heimatstadt Basel, um Zeit mit Herzensmenschen zu verbringen. Zwischen Cappuccino mit meinem Bruder und Cocktails mit einer Freundin huschte ich auf die Toilette im Lokal Klara und machte eine Entdeckung: Neben einem Klo für Frauen und einem für Männer gab es dort noch eine dritte Option für Menschen, die sich anderweitig im Spektrum der Geschlechter verorten.
Für die Mehrheit der Gesellschaft mag so ein Angebot jenseits der binären Geschlechterkategorien Mann/Frau keine Relevanz haben. Für andere mag es ein vermeintlicher Grund sein, sich über „Gendergaga“ zu echauffieren. Doch für trans, nicht-binäre oder intergeschlechtliche Menschen kann genau diese weitere Option über ihr Wohlergehen entscheiden. Das zeigt der Fall von Nex Benedict, der in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen sorgte und mich seither nicht loslässt.
Solltest du dir ausführlichere Definitionen für hier verwendete Begriffe wünschen, findest du hier ein Glossar feministischer Wörter.
Der nicht-binäre Teenager wurde von drei Mitschülerinnen auf der Mädchentoilette einer Schule im US-Bundesstaat Oklahoma verprügelt – und starb am Tag darauf durch Suizid. Dieser Angriff auf Nex und die daraufhin folgende, noch größere Tragödie ereigneten sich nicht in einem Vakuum, sondern in einem Klima zunehmender Queer- und Transfeindlichkeit. Laut Medienberichten wurde Nex vor seinem Tod monatelang von Mitschüler*innen aufgrund der nicht-binären Geschlechtsidentität gemobbt.
Begonnen hatte diese Odyssee laut Nex‘ Familie kurz nachdem in Oklahoma ein Gesetz in Kraft getreten war, das trans Jugendlichen verbietet, jene Schultoilette zu nutzen, die ihrer Geschlechtsidentität entspricht. Das bedeutet: Sie müssen das Klo besuchen, das jenem Geschlechtseintrag entspricht, der ihnen bei der Geburt aufgrund ihrer äußerlich sichtbaren Genitalien zugeordnet wurde.
Zunahme queer- und transfeindlicher Angriffe
Solch eine Regelung ist nicht „nur“ Schikane, sondern setzt trans Menschen realer Gefahr aus. Vor mittlerweile fünf Jahren beschrieb der Autor und trans Mann Linus Giese bei uns im Magazin, wie schräg er angeschaut wird, wenn er – Bart und Herrenhemd tragend – aus alter Gewohnheit eine Frauentoilette betritt.
Argwöhnische Blicke sind dabei noch eine der harmloseren Auswirkungen, mit denen trans Personen rechnen müssen, wenn sie eine Toilette betreten, deren Kategorie in den Augen anderer nicht zu ihrem Erscheinungsbild passt.
Im schlimmsten Fall kommt es zu verbalen Anfeindungen oder gar körperlichen Übergriffen. Sowohl in der Schweiz, wo ich diese dritte Toilettenoption vorfand, als auch in Deutschland verzeichnet man eine Zunahme queer- und transfeindlicher Angriffe.
Das kommt nicht von ungefähr, sondern ist die logische Konsequenz einer Gesellschaft, in der gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wieder sagbarer scheint und in regelmäßigen Abständen Abgesänge auf sogenannte „Wokeness“ in den großen Zeitungen erscheinen. Genderneutrale Sprache im fünfhundertsiebzehnten Meinungstext abzuwerten, mag manch eine*r als einfallslosen Schachzug mittelalter Männer abtun, die Deutungsverlust fürchten. In Wahrheit aber füttert das einen Diskurs, der den Wunsch nach Selbstbestimmung diverser Geschlechter als Nichtigkeit abtut.
Transfeindliche Stimmen werden lauter
Diese Stimmungsmache gegen Selbstbestimmung lässt sich auch beim gleichnamigen Gesetz, das die Ampel-Regierung als Ersatz für das sogenannte Transsexuellengesetz plant, beobachten. Längst hätten mit der Neuregelung die Rechte von trans, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen gestärkt werden können. Doch die Regierung verschleppt das Selbstbestimmungsgesetz weiter, während transfeindliche Stimmen lauter werden und trans Menschen in Deutschland auf zahlreiche Hürden im Alltag stoßen.
Wenige Tage nach der Nachricht über den transfeindlichen Angriff auf Nex Benedict vermeldeten zahlreiche Medien, dass die Harry Potter-Autorin J.K. Rowling mehr als 80.000 Euro an eine Organisation spendet, welche die Rechte von trans Frauen in Großbritannien einschränken will. Die Millionärin ist längst nicht mehr nur für ihre magischen Bestseller bekannt, sondern auch für ihr weniger zauberhaftes politisches Engagement, das geprägt ist von Transfeindlichkeit. Und während ich diese Zeilen tippe, flackert Papst Franziskus über die Bildschirme, der die „Genderideologie“ als schlimmste Gefahr der heutigen Zeit bezeichnet. Nicht die Klimakrise, Konflikte, Kriege, Armut oder Rechtsextremismus.
Als Oberhaupt der patriarchalen Organisation schlechthin ist so eine Aussage nicht weiter erstaunlich, doch sie bildet weiteren Nährboden für Diskriminierung. Laut dem Papst mache die „Genderideologie“ alle gleich und hebe Menschlichkeit auf. Dabei ist es doch vielmehr so, dass die hierarchische, binäre Geschlechterordnung Menschlichkeit verhindert, weil sie sämtliche im Patriarchat marginalisierten und diskriminierten Gruppen – ja, also auch Frauen – unterdrückt.
Unmittelbare Angst
Als nahe Familienangehörige zweier transgeschlechtlicher Menschen mag mein Bezug zur Thematik ein anderer sein als der jener, die mit Menschen außerhalb der etablierten Geschlechterkategorien bisher kaum Berührungspunkte hatten. Doch bereits lange bevor diese beiden Menschen in meiner Familie offen über ihre Geschlechtsidentität sprachen, wunderte ich mich über die Feindseligkeit, die trans Menschen entgegengebracht wird. Den einzigen Unterschied, den diese familiären Bezugspunkte machen, ist die unmittelbare Angst, die ich für diese Menschen verspüre, wenn ich an die Welt denke, durch die sie sich bewegen.
Ich bin eine cisgeschlechtliche Frau, fühle mich also wohl in dem Geschlecht, das mir bei der Geburt zugeschrieben wurde. Womit ich mich allerdings nicht wohlfühle als cis Frau, sind Geschlechternormen und damit einhergehende Benachteiligungen. Und spätestens da kommt der Punkt, an dem auch Menschen ohne Bezug und Interesse an trans Rechten erkennen könnten, dass wir unter den gleichen Mechanismen leiden. Um es mit den Worten der Autorin Sibel Schick, die wir kürzlich im Interview hatten, zu sagen: Durch das Festhalten an einem „starren Geschlechterverständnis von ,männlich‘ und ,weiblich‘ werden eins zu eins die patriarchalen Beschreibungen von Geschlecht reproduziert und wird an veralteten Normen festgehalten, die vielen Menschen schaden.“
Weltbilder geraten ins Wanken
Wir wissen mittlerweile um die Zwänge veralteter Rollen- und Geschlechtervorstellungen und das Leid, das diese auslösen. Warum nicht das Schubladendenken aufgeben und durch einen Katalog an Möglichkeiten ersetzen, aus dem jede*r frei wählen kann? Mir erschließt sich überhaupt nicht, warum trans und nicht-binäre Menschen eine Bedrohung sein sollen und ich ärgere mich sehr über entsprechende Framings. Vielleicht sollten sich diese feindseligen cisgeschlechtlichen Menschen mal fragen: Warum habe ich ein Problem damit, dass andere Menschen sie selbst sein wollen?
Die einzige Erklärung, die ich finden kann, ist folgende: Das Weltbild mancher Menschen gerät ins Wanken, wenn vermeintliche Abweichungen von der Norm sichtbar werden. Das wiederum macht Menschen Angst, gibt ihnen ein Gefühl der Orientierungslosigkeit. Und in einer zunehmend komplexen, von Krisen geplagten Welt, wünschen sich Menschen Vertrautes und Eindeutigkeit. Aber ist die Begegnung mit Unbekanntem und daraus möglicherweise entstehende Unsicherheit wirklich so schlimm bzw. schlimm genug, um andere wieder in eine Ordnung zu pressen, die so viel Leid auslöst?
Banden bilden
Die Kämpfe, die wir für Gleichberechtigung zu führen haben, lassen sich oftmals auf die gleichen Punkte zurückführen: Gleichberechtigung, freie Selbstentfaltung, Selbstbestimmung. Wenn wir uns dafür einsetzen, kommt das nicht nur trans Personen zugute – obwohl das aus meiner Sicht wirklich reichen sollte als Argument – sondern allen Menschen. Am Ende sind es nämlich die gleichen Akteur*innen, die sich gegen die Selbstbestimmung von trans Personen stemmen, die sich auch gegen Freiheiten wie beispielsweise das Recht auf Schwangerschaftsabbruch einsetzen.
„Antifeministische Strömungen werden immer stärker. Sie haben nicht nur die finanziellen Mittel, um Fortschritt zu verhindern, sondern sind gut vernetzt. Wenn wir dem standhalten wollen, müssen wir zusammenstehen. Effektiv können wir das nur tun, wenn wir uns mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen“, sagte mir die Autorin Sibel Schick im Interview. Gedanken, die mich seither begleiten und den Wunsch in mir wecken, zu rufen: Lasst uns Banden bilden, denn gemeinsam sind wir stärker als vereinzelt!
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Jede Woche teilt darin ein*e EDITION F-Autor*in ihre ganz persönlichen Gedanken zu Themen wie Sex, Gesellschaftspolitik, Vereinbarkeit, Popkultur, Mental Health und Arbeit.